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Schweizer Aggiornamento?
In der Leitung der schweizerischen Außenpolitik ist der umgekehrte Vorgang zu verzeichnen wie in Wien: in Bem ist das Politische Departement (so heißt in Helvetien das Außenministerium) von bürgerlichen in sozialistische Hände übergegangen. Als der mit der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei verbundene Minister Wahlen am Silvester 1965 den bisherigen Verkehrsminister Dr. Willy Spühler seinen Mitarbeitern als neuen Chef vorstellte, fragte sich die Schweizer Presse, ob dieser personelle und parteipolitische Wechsel an der Spitze des Außenministeriums auch einen Kurswechsel zur Folge haben werde.
Schweizer Blauhelme
Nonkonformistisch orientierte Publizisten witterten eine Gelegenheit für eine vermehrte „Aktivierung“ der Außenpolitik. Die einen warfen die Frage in die Diskussion, ob nun nicht der Moment gekommen sei, der „Maginotlinie“ der integralen Neutralität auszubrechen. Andere stellten eine Überprüfung der schweizerischen Integrationsund EFTA-Politik zur Diskussion, wobei sie an eine gewisse Affinität der schweizerischen Zurückhaltung in Integrationsfragen zur Politik des „Vaterlandes der Vaterländer“ General de Gaulles erinnerten. Jungpolitiker, sekundiert von angesehenen Publizisten mittlerer und älterer Jahrgänge, forderten, daß der Beitritt zur UNO neu erwogen und daß in die Prüfung die Frage einbezogen werde, ob nicht in Anlehnung an das österreichische und schwedische Beispiel eine mit der immerwährenden schweizerischen Neutralität vereinbare Form der Mitgliedschaft erreicht werden könnte. Auf eine neutralitätspolitisch nicht weniger heikle Aktivierung der Außenpolitik tendierten und tendieren sodann jene, die sich als Anhänger der von Bundesrat Wahlen in seinem Schwanengesang vor dem Parlament zur Debatte gestellten beiden Postulate bekennen, nämlich: Errichtung eines Rüstungspools mit den beiden anderen europäischen Neutralen Schweden und Österreich sowie aktivere Beteiligung an UNO-Friedensaktionen durch Aufstellung eines Kontingents schweizerischer Blauhelme.
Die Reaktion auf die beiden letztgenannten Vorschläge ist betretene Verlegenheit. Eine lebhafte und gründliche Diskussion hat hingegen das Postulat des UNO-Beitritts gefunden. Ausgelöst durch eine Pro und Kontra abwägende Artikelserie der „Neuen Zürcher Zeitung“, ist in der Presse seit Monaten ein lebhaftes Streitgespräch über die UNO und die Tunlichkeit eines schweizerischen Beitritts im Gange.
Die „guten Dienste“
Wer — je nach Standort — geglaubt oder befürchtet hatte, der Sozialist Spühler werde, anknüpfend an die früher so viel bemühte Idee des sozialistischen Internationalismus, Postulate wie die Intensivierung der schweizerischen Vermittlertätigkeit in internationalen Konflikten aufgreifen oder im europäischen Integrationsstreit aktiv werden oder die Idee der Blauhelme der Realisierung entgegentreiben oder gar den Beitritt der Schweiz zur UNO forcieren, der sieht sich heute, nach der Beendigung der Startphasen Spühlers, ernüchtert oder — je nachdem — erleichtert. Den in der sozialistischen Presse namentlich der Westschweiz bei Amtsantritt Spühlers laut verkündeten Prophezeiungen, daß nunmehr der sozialistische Internationalismus maßgeblich auf die Gestaltung der helvetischen Außenpolitik Einfluß nehmen, sie aus ihrer angeblichen Lethargie herausreißen und in kühnere Bahnen lenken werde, stand offenbar eher der Wunsch als Vater des Gedankens Pate als die Kenntnis der Eigenarten und Eigenschaften Spühlers. Dieser gehörte nie zu der ausgesprochen kämpferischen oder gar revolutionären Sorte von Sozialdemokraten. Nüchtern (um nicht zu sagen: trocken), kühl, seine Worte vorsichtig abwägend, präsentiert der neue Schweizer Außenminister eher den Typ des klugen, besonnenen Pragmatikers als des ideenreichen und leidenschaftlichen politischen Idealisten. Man hat von ihm kaum je ein heftiges Wort, aber auch noch nie eine mitreißende Rede gehört.
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