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Wetterwinkel Bauernhof

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In Oesterreich sind rund 200.000 Arbeiter in der Land- und Forstwirtschaft hauptberuflich beschäftigt, davon rund 160.000 als Landarbeiter. Sie stellten somit rein zahlenmäßig eine der stärksten Berufsgruppen dar. Ihre wirtschaftliche Bedeutung ist noch weit höher, da von ihrer Arbeit die Sicherung der Ernährung, damit der Ausgleich der Handels- und Zahlungsbilanz und der Fortbestand der Konjunktur abhängt.

Diese Bedeutung findet aber weder in den wirtschaftlichen Verhältnissen noch in der öffentlichen Bedeutung dieses Standes Ausdruck. Die Vorgänge innerhalb der Landarbeiterschaft lassen die Oeffentlichkeit fast völlig unberührt. Die Folge ist, daß Gefahren heranreifen, die eines Tages schwerwiegende Entscheidungen fordern werden.

Seit Jahren befindet sich die Landarbeiterschaft in Bewegung. Sie dokumentiert sich nicht in Demonstrationen und füllt darum nicht die Schlagzeilen der Tagespresse. Ihre nach außen sichtbaren Symptome sind die Landflucht und der Kampf der Landarbeiterorganisationen um die Vormachtstellung in den gesetzlichen Interessenvertretungen.

Die Landflucht hat in diesem Jahr einen Höhepunkt erreicht. Gegenüber dem Vorjahr hat sich allein die Zahl der pflichtversicherten Landarbeiter um 10.000 verringert. Seit 1950 haben 30.000 Landarbeiter ihren Beruf aufgegeben. Das bedeutet eine Abwanderung von 16 Landarbeitern pro Tag. Dazu kommt das Heer der durch die Versicherung nicht erfaßten Bauernkinder. Das Wichtigste aber: Die Abwanderung geht fast ausschließlich auf Kosten der Dienstnehmer in den bäuerlichen Betrieben, jener Dienstnehmer also, die mit dem Arbeitgeber in Hausgemeinschaft leben.

Die Landflucht ist eine soziale Erscheinung, die durch die Konjunktur in anderen Berufen verstärkt wurde. Sie kann endgültig nur durch die volle soziale Angleichung beseitigt werden. Nicht die Stadt lockt die Landarbeiter, sondern der höhere Verdienst, vor allem aber die größere Freiheit. Der Landarbeiter will ebenfalls seine eigene Persönlichkeit entfalten und flieht daher die Unfreiheit der patriarchalischen Lebensgemeinschaft, die überdies durch maßlose Arbeitszeiten bei schlechten Löhnen sozial überbelastet ist. Die Landflucht ist daher nur durch volle Lohn-und Arbeitszeitangleichung und Schaffung von Wohnverhältnissen zu lösen, die auch dem Landarbeiter das berufliche Dasein eines Industriearbeiters ermöglichen. Kein Hinweis auf Schlagworte wie Agrarpreise, Preisstabilität und so weiter kann den Landarbeiter zurückhalten, um so weniger, als der Staat und die Volkswirtschaft sich gerade in diesen Tagen bei den Verhandlungen über das neue Sozialversiche-rungsrecht nicht bereit zeigen, dem Landarbeiter in Form einer bescheidenen Mindestrente sein lebenslanges Lohnopfer auch nur teilweise zu entgelten. Die eventuell noch denkbare Lösungsmöglichkeit, daß ein Abklingen der Konjunktur die Menschen aufs Land zurücktreibt, ist weder der Landwirtschaft und noch weniger dem österreichischen Volk zu wünschen.

Diese soziale Situation beherrscht auch das Organisationsleben und bestimmt damit die politische Haltung der Landarbeiterschaft. Eä ist naheliegend, daß zunächst der Sozialismus und seine Organisationsformen hier ein Betätigungsfeld und die Möglichkeit wahrnehmen, über 150.000 Landarbeiterstimmen die Mehrheit im Parlament zu erlangen. Ihr Hauptkampfmittel ist die Gewerkschaft der Land- und Forstarbeiter, die unter straffer sozialistischer Führung steht, neben der die wenigen nichtsozialistischen Funktionäre politisch bedeutungslos sind und höchstens dazu dienen, das Widerstreben der christlichen Landarbeiter gegen diese instinktiv als „rot“ empfundene Organisation zu überwinden. Es ist richtig und nicht zuletzt auch dem Einfluß dieser Funktionäre zuzuschreiben, daß ein nicht geringer Teil der Gewerkschaftsmitglieder nicht sozialistisch ist, aber es ist ebenso unleugbar, daß mit der Mitgliederzahl der Gewerkschaft die Wahlaussichten der SPOe steigen.

Das war die Ursache, warum sich die in ihrer Mehrheit politisch noch immer konservativen Landarbeiter in den Land- und Forstarbeiterbünden eigene wirtschaftliche Organisationen geschaffen haben, um unter eigener Führung nach eigenen Grundsätzen die notwendige soziale Reform durchzuführen. Es zeigte sich, daß der Weg richtig war, wenn es diesen Organisationen gelang, auch tatsächlich wirtschaftliche Erfolge für ihre Interessengruppe zu erzielen. In den Ländern Tirol, Salzburg, Vorarlberg und Oberösterreich haben die Landarbeiter bünde bzw. die unter ihrer Führung stehenden Landarbeiterkammern in echter, initiativer

Sozialpolitik die Lohnfrage aufgerollt. Sie stellen eine wirksame Interessenvertretung des einzelnen Landarbeiters sowohl gegenüber seinem Arbeitgeber als auch gegenüber der staatlichen Autorität auf allen Lebensbereichen dar, und nehmen schließlich aktiv auf die Gesetzgebung Einfluß. Die Landarbeiterkammerwahlen brachten den Landarbeiterbünden einen eindeutigen Vertrauensbeweis. In Oberösterreich erhielten bei den Landarbeiterkammerwahlen im Jahre 1949 die Sozialisten nur 19,4 Prozent der Stimmen, in Salzburg 195 5 bei den Landarbeitern nur 21,7 Prozent und insgesamt (einschließlich der Forstarbeiter) 28,1 Prozent und in Tirol 1955 nur 8,6 Prozent. In Vorarlberg kandidierten sie 1955 überhaupt nicht.

In den übrigen Bundesländern dagegen liegen die Verhältnisse anders. Soweit dort Landarbeiterbünde bestehen, entfalten sie zum Teil nur eine geringe sozialpolitische Aktivität. Das Organisationsleben ist entsprechend. Dazu werden sie gelegentlich noch von gesinnungsverwandten Organisationen, wie der Fraktion christlicher Gewerkschafter oder der Landarbeitersektion des OcAAB, offen oder geheim bekämpft. Es darf daher nicht wundernehmen, wenn das sozialpolitische Schwergewicht in diesen Ländern bei der Gewerkschaft und damit trotz allen Mitbeteiligtseins der christlichen Gewerkschafter bei den Sozialisten liegt, um so mehr, als es diesen ein leichtes ist, unter solchen Verhältnissen auch mehr Einfluß auf die Landarbeiterkammern zu erlangen, als ihnen allein nach den Wahlergebnissen zustehen würde. Die Wahlergebnisse: In Niederösterreich erhielten 1951 die Sozialisten 46,3 Prozent der Stimmen, in der Steiermark 1952 42,6 Prozent und in Kärnten 195 5 sogar 55,5 Prozent und damit die Herrschaft über die Kammer und die Landarbeiter.

Daraus ergibt sich, daß sowohl eine objektive wie eine politische Betrachtung der Landarbeiterfrage zu der Erkenntnis führt, daß ohne aktive, zielbewußte und energische Sozialpolitik weder die Landflucht aufgehalten werden kann noch eine Linksradikalisierung der Landarbeiter m verhindern ist. Daraus folgert weiter zwangsläufig, daß jede organisatorische Lösung, die — aus welchen Gründen immer — an einer nachhaltigen wirtschaftlichen Interessenvertretung gehindert wird, nicht zum Ziel führen kann. Darum wird sowohl dem politischen Patriarchalismus, der die Interessenvertretung der Landarbeiter im Rahmen der Bauernorganisation befürwortet, auf die Dauer kein Erfolg beschieden sein. Aber auch der Versuch, nur auf dem Wege über Parteiorganisationen die Landarbeiter zu erfassen, wird scheitern, da diese Organisationen auf viel zuviel Interessen Rücksicht nehmen müssen. Was allein das Vertrauen der Landarbeiter gewinnen kann, ist eine eigene Organisation mit klaren wirtschaftlichen Zielen und einer bewußten Interessenvertretung, die weder an politische Weisungen noch an wirtschaftliche Interessen anderer Personengruppen und schon gar nicht an politische Ambitionen einzelner gebunden ist.

Das klingt selbstverständlich, ist es aber nicht, denn sowohl eine eigene aktive christliche Sozialpolitik als auch eine eigene christliche Berufsvereinigung hat sich nicht nur gegen den Ansturm des hier als kompakte sozialistische Einheit auftretenden Gewerkschaftsbundes zur Wehr zu setzen, sondern auch gegen Widerstände dort, wo Hilfe erwartet werden dürfte.

Denn die aktive Sozialpolitik schafft Divergenzen zu Arbeitgeberkreisen, von denen manche und nicht immer einflußlose das 20. Jahrhundert um jeden Preis vom Bauernhof fernhalten wollen. Eigene gewerkschaftliche Organisationen — etwas anderes können wirtschaftliche Interessenvertretungen der Dienstnehmer nicht sein — rufen aber den Widerstand von Vertretern anderer Pläne wie auch manchmal von Inhabern bedrohter Posten hervor. Das Ergebnis sind Programme, die zwar die christliche Sozialpolitik bejahen, aber glauben, sie mit ideenfremden Organisationen durchführen zu können oder, was ebenso paradox ist, eigenständige Organisationen befürworten, sie aber in ihrer sozialen Aktivität zu begrenzen versuchen.

Demgegenüber steht eindeutig die bisher gemachte Erfahrung: Solange eine soziale Interessengemeinschaft keine durchgreifenden Erfolge zu erzielen hat, wird der Landarbeiter zur Landflucht getrieben. Wo der Träger der Sozialpolitik nicht eine eindeutige nichtmarxistische Organisation ist, faßt der Sozialismus Fuß. Daß der abwandernde Landarbeiter in den meisten Fällen sozialistischer Parteigänger wird, ist eine bekannte Erfahrungstatsache. Die Zukunft der Volkspartei hängt daher sehr wesentlich auch von der Lösung der Landarbeiterfrage ab. Es würde sich daher lohnen, sowohl dem Kampf der Interessenvertretungen als auch den sozialpolitischen Forderungen der Landarbeiterschaft größere Beachtung zu schenken als dies an manchen Orten geschieht.

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