Jeder Selbstmordattentäter zögert

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Sich in die Luft zu sprengen, ist eine Urfantasie, die schon bei Rumpelstilzchen beschrieben ist, sagt der Münchner Psychoanalytiker wolfgang schmidbauer. Doch erst der moderne Sprengstoff macht den Narzissten zu einer menschlichen Bombe.

Die Furche: Können Selbstmordattentäter aufgehalten werden?

Wolfgang Schmidbauer: Ja, wer so etwas plant, ist bis zum absoluten Vollzug aufhaltbar. Die Entwicklung von Terroristen ist ein Prozess, der gruppendynamischen und kulturellen Einflüssen unterliegt, daneben spielen Freundschafts- und Liebesbeziehungen eine große Rolle. Und dieser Prozess ist auf jeder Stufe umkehrbar. Es gibt ja auch ein großes Zögern in jedem Menschen, so etwas zu tun. Da muss viel Druck ausgeübt werden, verinnerlichter oder äußerer Druck, um auf diese dramatische Weise suizidal zu werden. Wie bei anderen Selbstmördern hat man hier ebenfalls die Chance, jemanden aufzuhalten.

Die Furche: Lassen sich Selbstmordattentäter charakterisieren?

Schmidbauer: Je stärker große Gruppen, große Organisationen anfangen, Selbstmordattentate als militärische Strategie zu definieren, desto schwerer tut man sich, bei den Tätern psychologische Anomalien zu finden. Grundsätzlich lässt sich aber sagen, dass Selbstmordattentäter in ihrem Selbstwertgefühl verletzte, gekränkte Menschen sind, die keine Vorbilder verinnerlichen konnten, wenig innerliche Struktur haben und deswegen für narzisstische Reaktionen verführbar sind.

Die Furche: In Ihrem Buch beschreiben sie Selbstmordattentäter als "explosive Narzissten" - was bringt narzisstisch gestörte Personen dazu, dass sie explodieren?

Schmidbauer: Sich in die Luft zu sprengen, ist eine Urfantasie, die schon im Märchen von Rumpelstilzchen beschrieben ist: Das Männchen reißt sich ja voller narzisstischer Wut auseinander. Die menschliche Psyche wurde durch die Entwicklung von Sprengstoffen verändert. Dynamit ist verführerisch: Diese Möglichkeit, sich von einem Augenblick auf den anderen aufzulösen - das haben die Konstrukteure unserer Psyche nicht vorausgesehen.

Die Furche: Der Sprengstoff schafft erst explosiven Narzissmus?

Schmidbauer: Die Disposition zu diesem explosiven Narzissmus, zu dieser Fantasie der Selbstauflösung im Dienst einer Sache hat latent in unserer Seele geschlummert. Und dann erfindet die Technik ein Mittel, um diesen Zustand des sich selbst quälenden Bewusstseins, des sich selbst quälenden Ichs mit einer grandiosen Explosion zu beenden. Das ist eine neue psychologische Konstellation, da ist eine neue seelische Figur entstanden. Das psychische Problem ist ja klassisch, da braucht man nur an den Monolog in Shakespeares "Hamlet" zu denken. Da denkt Hamlet als Individuum darüber nach, sich umzubringen, aber er kann sich natürlich nicht auflösen, sondern er müsste sich erstechen oder erhängen - das ist aber sehr viel weniger großartig und weniger schnell und weniger radikal.

Die Furche: Warum fürchten Selbstmordattentäter den Tod nicht?

Schmidbauer: Zur narzisstischen Dynamik gehört, dass die realen Grenzen aufgehoben sind - auch die Grenzen zwischen Leben und Tod. Jemand, der sich in einer starken narzisstischen Fantasie umbringt, hat nicht die Vorstellung, dass sein Leben damit beendet ist. Er lebt dann in den Erinnerungen weiter - er lebt anders weiter, er lebt besser weiter, erlöst vom Schmerz der Realität lebt er um vieles grandioser weiter.

Die Furche: Spielt dabei eine Rolle, dass den Tätern ein Weiterleben im Paradies versprochen wird?

Schmidbauer: Das gehört für mich zur Gegenpropaganda: Als ob diese Menschen völlig verblendet wären und sich nur für ein fiktionales Paradies umbringen. Das ist nicht die wesentliche Seite der Motivation. Wichtiger ist die Fantasie, einen als unerträglich erlebten Zustand auf grandiose Weise zu beenden. Diese Menschen können sich selbst im Dienste einer idealisierten Sache auflösen. Das ist viel entscheidender als die Geschichte mit den Jungfrauen im Paradies, denn die würde eine viel reifere Psyche voraussetzen, die an Sexualität orientiert ist, sich über etwas freuen kann - das glaube ich nicht. Diese Täter haben kaum die Fähigkeit, sich des Lebens zu freuen, sich lustvoll zu orientieren.

Die Furche: Wenn eine immer größere Grandiosität der Selbsttötung eine Rolle spielt - ist dann eine qualitative und quantitative Steigerung dieses Terrors wahrscheinlich?

Schmidbauer: Das ist dem Terrorismus immanent: Er ist sich ja klar darüber, dass er keine Aussicht hat, politisch etwas durchzusetzen. Als eigentliches Bestreben bleibt dann, immer wichtigere Ziele zu treffen, immer mehr Leute zu verletzen, immer größere Aufmerksamkeit zu erzielen.

Die Furche: Welche Rolle spielen da die Medien?

Schmidbauer: Das ist ein ganz großes Dilemma: Wenn es die Berichte über den Terror nicht gäbe, dann gäbe es auch viel weniger Terrorismus. Inzwischen haben die Terroristen erkannt, wieviel Aufmerksamkeit man durch Selbstmordterrorismus erreichen kann. Wie eindrucksvoll das für die Welt ist, wenn sich Menschen für ihre politischen Ziele opfern.

Die Furche: Was entgegnen Sie auf den Vorwurf, Sie würden einen politischen Konflikt psychologisieren und damit verharmlosen?

Schmidbauer: Das wird einem immer unterstellt, wenn man eine psychologische Untersuchung zu so einem Phänomen macht. Psychologisieren ist für mich, wenn man versucht, die Erklärungshoheit zu gewinnen und wenn man sagt, es geht nur um psychologische Faktoren. Das ist genauso unsinnig, wie wenn man behauptet, es gehe in diesen Fragen nur um politische Konflikte und die Täter seien völlig normale Menschen - das stimmt auch nicht. Es gehört eine Persönlichkeitsdisposition dazu, und es braucht einen politischen Konflikt, damit es zu solchen Terrorakten kommt. Erst wenn man alle Faktoren berücksichtigt, und die Psychologie ist ja nur eine Teildisziplin, kann man den Prozess wirklich verstehen.

Die Furche: Und wenn wir den Konflikt, die Täter verstehen - was können wir dann tun?

Schmidbauer: Die größte Gefahr bei der Auseinandersetzung mit Terrorismus sehe ich darin, dass sich die Leute, die dagegen kämpfen, von der Geisteshaltung anstecken lassen und auch aufhören zu differenzieren. Die Gruppe, aus der die Täter kommen, wird als ganze dämonisiert. Sie wird daher kein Interesse mehr haben, mit anderen Gruppen zusammenzuarbeiten. Auf diese Weise können die Täter in der sich defensiv schließenden Gruppe untertauchen. Wenn wir die Täter und die Tat und die Vorgeschichte der Tat aber analytisch betrachten, dann haben wir eine Chance, die wirklichen Ursachen herauszufinden, dagegen vorzugehen - und wie gesagt: Selbstmordattentäter sind auch aufhaltbar.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

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