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Dänische Sorgenwahlen

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„Ein Gespenst geht um in Westeuropa, das Gespenst einer Norwegenwahl!“ — so möchte man den fast in Vergessenheit geratenen Karl Marx abwandeln, wenn man die Stimmung und die Situation in einigen sozialdemokratischen Parteien betrachtet. Dieses Gespenst war bei den deutschen Bundestagswahlen im vergangenen September bedrückend gegenwärtig, es lugte — trotz aller Fanfaren — hinter den Siegessicherheit vortäuschenden Wahlplakaten der SPÖ am 6. März hervor, und es saß unsichtbar, doch unverrückbar neben den Versammlungsleitern in den Wahlveranstal tungen der dänischen Arbeiterpartei, deren Sprecher kaum mehr zu versichern wagten, daß es in Dänemark zu keiner „Norwegenwahl“ kommen werde. Doch knapp vor der Wahl des 8. März hatte zumindestens die Führungsspitze der dänischen SP ihre Angst vor einer solchen Norwegenwahl bereits verloren: Niemand wagte mehr zu hoffen, daß Jens Otto Krag so gut wegkommen würde wie Einar Gerhardsen in Norwegen im September 1965!

Es überraschte deshalb auch niemand, als Krag nach Bekanntwerden des Wahlergebnisses sagte, daß er in keiner Weise über das Resultat der Kommunalwahlen verwundert sei, um so weniger aber war man geneigt, ihm die Behauptung zu glauben, daß eben dieses Resultat innenpolitisch nichts zu bedeuten habe.

Problematische Minderheitsregierung

Seit den Wahlen im September 1964 verfügt die Arbeiterpartei im Folketinget über 77 von 179 Sitzen. Die Regierung wird jedoch von den zehn Sozialliberalen und zwei freistehenden bürgerlichen Abgeordneten unterstützt, so daß sie sich gerade noch über Wasser halten kann; die Hilfe der zehn Volkssozialisten hat Krag wiederholt zurückgewiesen; bei vielen wichtigen Abstimmungen erzielte die Regierung gerade nur eine Stimme Übergewicht. Es liegt auf der Hand, daß ein solches Kräfteverhältnis im Parlament die Handlungsfreiheit einer Regierung äußerst beschränken muß. Krag dachte auch niemals daran, sich bei seiner Regierungstätigkeit etwa des sozialdemokratischen Parteiprogrammes als Richtschnur zu bedienen und beschränkte sich im wesentlichen darauf, den dänischen Staatskahn durch die gefährlichsten Klippen zu steuern und mit viel Geschick sich selbst am Ruder zu halten.

Der frühere kleinere Koalitionspartner, die „Radikale Venstre“, hatte bereits vor den letzten Parlamentswahlen erklärt, daß sie nur dann zu einer weiteren Regierungszusammenarbeit bereit sein würde, wenn die Wahl ihr einen Erfolg bringen werde. Die Wahl brachte jedoch den Verlust eines Mandates, und die Radikalen lehnten auch die weitere Regierungsverantwortung ab. In der seither verflossenen Zeit entfernten sie sich von Krags Arbeiterpartei immer mehr, und vor den jüngsten Kommunalwahlen erklärten sie, daß sie unter keinen Umständen zu einer Zusammenarbeit bereit sein würden, die Wahl möge wie immer für sie ausgehen. Krag brauchte jedoch für die Durchführung seiner Steuerpläne die Unterstützung einer oder einiger bürgerlicher Gruppen, er fand diese bei den Liberalen (Venstre), mußte diese Unterstützung jedoch mit der Zustimmung zu einer schrittweisen Freigabe der Mietzinse bezahlen, die von den Bürgerlichen seit langem gefordert wird.

Krag hatte damit zwar sein Kabinett wieder einmal gerettet, gleichzeitig aber weitere Anhänger am linken Flügel seiner Partei verloren. Der Anteil der Arbeiterpartei fiel von 39 Prozent bei den letzten Kommunalwahlen auf 36,19 Prozent; bei den Parlamentswahlen vom September 1964 hatte man sogar — nach einem geringfügigen Verlust — noch 41,9 Prozent erhalten. Im Gegensatz dazu erhielten die Volkssozialisten Axel Larsens 1962 5 Prozent, 1964 5,8 Prozent und nun 7,3 Prozent. Der Zug ist unverkennbar: Je mehr Krag gezwungen ist, sich auf Grund der geführten Politik auf Hilfe von rechts zu stützen, um so mehr verliert er nach links! Bei der Deutung des Wahlresultates wird in Dänemark dem Abkommen über die Mietzinse (das mit Erhöhung der Steuern für einige Genußmittel verbunden war!) große Bedeutung zugemessen. Diese Deutung erscheint etwas zu einfach; es ist eher das Nichtvorhandensein einer eigenen Linie in der Regierungspolitik, das ständige Lavieren zwischen verschiedenen Standpunkten, das Abgleiten nach rechts und die Passivität auch in der Frage der NATO-Mitgliedschaft, die die Anhängerschaft der Arbeiterpartei abbröckeln lassen.

Es muß besonders für die alten Sozialdemokraten äußerst peinlich sein, feststellen zu müssen, daß sie auf Grund dieser Taktik vier von ihren 27 Mandaten im Kopenhagener Stadtparlament verloren haben und daß weitere fünf Bürgermeister im Gebiet von Kopenhagen nunmehr nur mit Hilfe der Volkssozialisten werden weiter amtieren können, jener Volkssozialisten, deren Unterstützungsangebote Krag bisher strikt abgelehnt hat.

Prosperität bis zum bitterfen Ende

Bei der Betrachtung der . wirtschaftlichen Gesamtsituation, die als Vorwand für so viele unpopuläre Maßnahmen herhalten muß, fällt zuerst einmal auf, daß Dänemark im letzten Jahrzehnt eine sehr erfolgreiche Entwicklung erlebt hat. Im Hinblick auf den Lebensstandard nimmt Dänemark den vierten Platz In Europa ein; Industriezweige, die erst nach Kriegsende geschaffen worden sind, erreichen ansehnliche Exporterfolge.

Die junge dänische Industrie hat 1965 einen Produktionswert von 30 Milliarden Kronen erreicht, um 10 Prozent mehr als 1964 (während Schwedens Produktionserhöhung nicht einmal 4 Prozent erreicht hat!). Die Ausfuhr von Industrieprodukten stieg um 15 Prozent auf acht Milliarden Kronen. Und die dänische Handelsschiffahrt konnte einen Valuta Überschuß von zwei Milliarden Kronen melden.

Wenn die Einkünfte stiegen, so erhöhten sich die Ansprüche an diese Wirtschaft um so mehr! Die sogenannten gleitenden (nicht tarifgebundenen) Lohnerhöhungen waren vom Juli 1964 bis zum Juli 1965 fast dreimal so hoch wie die vom Juli 1962 bis zum Juli 1963 verzeichneten Lohnsteigerungen! Das Resultat der Lohn- und Preisentwicklung unter vier Jahren brachte den männlichen Arbeitern eine Reallohnerhöhung von 16 Prozent, den weiblichen Angestellten eine solche von 25 Prozent. Am 1. März 1966 wurde die Arbeitszeit um eine weitere Stunde verkürzt, und die Löhne erfuhren eine entsprechende Erhöhung. Zu Beginn des Jahres verzeichnete man mit 400.000 Arbeitern — oder um 4800 mehr als vor einem Jahr — den höchsten bisher in Dänemark erreichten Beschäftigtenstand. Das ist die lichte Seite, doch es gibt auch eine andere!

Die Kehrseite der Medaille

Allein im Monat Jänner 1966 kaufte Dänemark um 334 Millionen Kronen mehr im Ausland, als es selbst exportieren konnte; im Jänner 1965 hatte der Unterschuß sogar 414 Millionen Kronen betragen. Vom Gesamtexport von 1286 Millionen Kronen betrug der landwirtschaftliche Anteil nur noch 478 Millionen Kronen; die Einfuhr erreichte dage gen 1621 Millionen Kronen. Und dieses Verhältnis ist seit Anfang 1965 ungefähr immer das gleiche!

Dänemark kann zweifellos eine gesunde und lebensfähige Wirtschaft erhalten, doch wird das nicht möglich sein ohne ein gehöriges Maß an Selbstbeschränkung und eine zielbewußte und ehrliche Politik, die die Grenzen des Erreichbaren erkennt und diese dem Volk auf zeigt. Das hat das Regime Krag bisher weder getan noch auch nur einmal versucht! Dagegen erlebte man immer und immer wieder Angriffe auf Bonn, weil es nicht alle dänischen Wünsche in Brüssel durchdrücken konnte, Klagen über die EFTA-Partner Finnland, Österreich und die Schweiz, die den Dänen angeblich zuwenig entgegenkommen, Beschwerden über England, die in Genf abgehandelt werden mußten, und Klagen sogar über die Aufnahmefähigkeit des schwedischen Lebensmittelmarktes, obwohl Schweden seine Landwirtschaft in einem beängstigend raschen Tempo abbaut. Selbstkritik wird in Dänemark immer mehr zu einer Mangelware. Die „Norwegenwahl“ vom 8. März dürfte nicht die letzte unangenehme Überraschung gewesen sein!

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