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Demokratie in Bild und Ton

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Vor Jahren hat eine Wiener Redaktion einen damals noch sehr jungen österreichischen Autor aufgefordert, über die Krise des Rundfunks in Österreich zu schreiben und seine Ideen zu unterbreiten, wie diesem geholfen werden könnte. Der Artikel wurde fertig, er war sehr lang und enthielt Reformvorschläge in äußerst präziser, detaillierter Form. Man konnte daran merken, daß dieser Autor wirklich nachgedacht hat und daß er außerdem noch von dem Metier auch wirklich etwas versteht. Seine Vorschläge zur Änderung des Programms und dergleichen schienen gut und brauchbar, sie waren aber doch nicht restlos überzeugend. Fast überall hätte man in Klammern hinzufügen können: Ansichtssache.

In diesen Tagen hört man und vor allem liest man viel von Rund-funkreförm. Drei, dann 16 — heute sind es an die 40, wenn nicht mehr — österreichische Zeitungen, die sich unabhängig nennen, weil sie dem direkten Einfluß keiner politischen Partei unterliegen, haben sich angesichts der Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit, daß die beiden Koalitionsparteien ihre Im Arbeitsübereinkommen vom 29. März 1963 niedergelegte und auch heute noch gültige Zusage, bis zum 30. Juni 1964 „einvernehmliche Vorschläge“ für eine „dauernde Lösung der Gesamtprobleme von Rundfunk und Fernsehen“ aus^ zuarbeiten, nicht werden einhalten können oder gar wollen, zu einem Aktionskomitee zusammengeschlossen, dem die selbstgestellte Aufgabe obliegt, ein Volksbegehren in Sachen Rundfunk und Fernsehen vorzubereiten.

Die Leser dieser Zeitungen und darüber hinaus die gesamte Öffentlichkeit haben also zur Kenntnis genommen, daß es den unabhängigen Zeitungen um eine „echte Lösung des Rundfunkproblems“ geht und daß sie entschlossen sind, für den Fall, daß das im Arbeitsübereinkommen der Koalition vorgesehene Ministerkomitee zu dem ihm gestellten Termin zu keiner „echten Lösung des Rundfunkproblems“ gelangt, am 1. Juli gemeinsam das Volksbegehren einzuleiten und zum frühestmöglichen Termin durchzuführen. In der diesbezüglichen Erklärung, die 38 österreichische Zeitungen und Zeitschriften, darunter auch die „Furche“, am letzten Wochenende unterschrieben haben, wird dazu gesagt:

„Hiermit bekennen wir uns ebenso wie die im Aktions- und

Exekutivkomitee tätigen Journalisten zur direkten Demokratie, wie sie in der Verfassung vor vier Jahrzehnten vorgesehen, bisher aber noch nie praktiziert wurde ...

Wir anerkennen die Bedeutung der Parteien für die Demokratie. Unsere Aktion richtet sich in keiner Weise gegen eine bestimmte Partei oder die Parteien insgesamt und ist in diesem Sinn keine politische Aktion. Sie bezweckt vielmehr die Schaffung eines österreichischen Rundfunks, der seine Kultur- und Informationsaufgabe in Freiheit, Unabhängigkeit und Selbstverantwortung erfüllen kann.

Die Aktion richtet sich nicht gegen die derzeit laufenden Verhandlungen zwischen den Regierungsparteien. Wir wünschen aufrichtig deren Erfolg innerhalb der der Öffentlichkeit verbindlich zugesagten Frist (30. Juni). Im Falle eines Mißerfolges dieser Verhandlungen wünschen wir jedoch sicherzustellen, daß die dringend notwendige Rundfünkreform dennoch durchgeführt wird...“

Aus dieser Erklärung, die bisher die letzte ist, geht, trotz der in diesem Stadium der Dinge unvermeidlichen apodiktischen Kürze, klar hervor, was die sich zur Aktion Volksbegehren — oder zur Aktion Rundfunk — zusammengeschlossenen unabhängigen Zeitungen wollen und was sie nicht wollen beziehungsweise was sie zunächst als Problem untergeordneten Ranges außer acht lassen.

Sie wollen offensichtlich nicht, daß über Programm, Personal- oder Budgetprobleme der beiden Institutionen Hörfunk und Fernsehen, die laut Gesellschaftsvertrag vom 11. Dezember 1957 in der „österreichischen Rundfunk G. m. b. H.“ vereinigt sind, verfrühte und zum Fenster hinaus geführte Diskussionen entstehen. Solche Diskussionen haben erfahrungsgemäß die fatale Eigenschaft, sich unversehens in ein Sandkastenspiel zweier einander feindlich gegenüberstehender Generalstäbe zu verwandeln, in dem es zuletzt — und sehr bald schon — um den Schlüssel zur Aufteilung von Sendeminuten und von Planposten für die „Raumpflegerinnen“ geht. Man kann also sicher sein: Den Journalisten schwebt keine Reform in der Art des eingangs erwähnten Planes vor. Nicht, daß sie weniger phantasiebegabt oder fachkundig wären als der junge Schriftstellerkollege von damals, aber sie denken politisch. Sie halten eine Rangordnung ein, und sie verteilen die Akzente demgemäß anders. Ihnen geht es vor allem um den Geist, und zwar um den demokratischen Geist eines kommenden Rundfunkgesetzes, dem sie, wenn es sein muß, durch ein Volksbegehren den Weg ebnen wollen. Kurz: Es geht ihnen um die Demokratie in Österreich, deren Zustand sich heute ganz besonders im Zustand von Institutionen wie Funk und Fernsehen widerspiegelt. Es geht ihnen zweifellos auch um ein „gutes“ Programm. Aber was ist „gut“? Markennamen wie Dode-rer oder Karajan wären nur Renommierartikel, die sich dann und wann jeder Greißler leisten kann. Es geht um anderes und um mehr.

Man weiß, daß die Journalisten die Zeit bis zum 30. Juni nicht nutzlos verstreichen lassen wollen. Hinter den Kulissen sind eifrige

Beratungen mit namhaften Juristen, Rundfunkfachleuten des In- und Auslandes und nicht zuletzt auch mit zuständigen Politikern im Gang. Bereit sein ist alles. Und wenn dadurch „Druck ausgeübt wird“, wie dies gewisse Kommuniques unlängst klagend feststellten — ja, warum denn nicht? Ist die öffentliche Meinung, die zu einem Großteil in diesem Fall die unabhängigen Zeitungen zweifellos repräsentieren, nicht befugt, auch außerhalb von Wahltagen in der Zwischenzeit auf die gewählten Mandatare Druck auszuüben? Ist denn ein Volksbegehren, wie es im Bundesgesetz vom 10. Juli 1903 endlich zureichend präzisiert wurde, etwas anderes als die — wenn auch sorgsam verklausulierte — Möglichkeit für den Staatsbürger, in das Geschehen direkt einzugreifen, indem er sich an seine gewählte Vertretung im Nationalrat wenden und sie veranlassen kann, nach dem Rechten zu schauen?

Die Zeichen an der Wand müssen die gewählten Mandatare des Volkes freilich richtig lesen können, denn sonst entstehen Mißverständnisse, und das Ärgernis wird noch größer. Ein Blick in den Text des Arbeitsübereinkommens der Koalitionsparteien kann darüber Auskunft geben, was hier gemeint ist. Das „Ubereinkommen Rundfunk— Fernsehen“ enthält, nach einigen Klarstellungen über Kompetenz-und Organisationsfragen, etwa solche — einigermaßen wohl pikante — Details:

„Bei grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung des Gesellschaften eschlusses betreffend die Richtlinien .für die Gestaltung des Rundfunk- und Fernsehprogramms sind die ... Funktionäre sowie deren Stellvertreter berechtigt, eine einverständliche Entscheidung zu beantragen, falls

die Beilegung des Streitfalles nicht intern mit den jeweiligen Fachdirektoren möglich ist.

In einem solchen Fall soll die Entscheidung des Generaldirektors und des Generaldirektor-Stellvertreters (oder der von diesen hiezu nominierten Vertreter) herbeigeführt werden.

Wenn durch die vorgenannte Entscheidung sinstanz einverständlich eine Verletzung des Geseüschafterbeschlusses durch eine Sendung in einem Einzelfall festgestellt wird, soll zunächst auf Grund einer einverständlichen Entscheidung eine Eliminierung der beanstandeten Sendung versucht werden; sollte dies nicht möglich sein, ist eine Ausgleichssendung gleichen Umfan-ges und gleicher Bedeutung innerhalb von zwei Wochen anzuberaumen.“

Diese Sätze muß man, trotz ihrer holprigen Diktion, nicht zweimal lesen. Man versteht gleich, was sie bedeuten. Man bedenke: Diese Regelung und noch einige ähnlichen Inhalts mehr stehen bereits außer Debatte. Sie wurden vor mehr als einem Jahr einvernehmlich beschlossen. Worüber heute noch diskutiert wird, sind nur mehr letzte Feinheiten, es werden Spitzenleistungen im Feinmeßwesen von Politikern abverlangt, die einst vielleicht andere Vorstellungen von der Kunst der Politik gehabt haben. Im Licht des obigen Zitates verliert der Satz in der Erklärung der Zeitungen, wonach diese die Schaffung eines österreichischen Rundfunks anstreben, „der seine Kultur- und Informationsaufgabe in Freiheit, Unabhängigkeit und Selbstverantwortung erfüllen kann“, seinen allgemeinen Charakter und wird zu einer Kampfansage. Man kann sicher sein, daß die Zeitungen, wenn sie „aufrichtig“ den Erfolg der laufen-

den Parteienverhandlungen wünschen, keinen solchen Erfolg meinen, der sich „würdig“ und dem Geiste nach adäquat dem oben zitierten Text des Arbeitsübereinkommens des Vorjahres anschließt. Wer solches meint, denkt bewußt zynisch oder unterliegt einem bedauerlichen Mißverständnis.

Die Liebe zum Detail unserer Politiker — wie dies das Arbeitsübereinkommen oder gar noch der Text des Volksbegehrengesetzes offenbart — kennt kaum Grenzen. Und der Leser dieser Texte kann nicht umhin, zu befürchten, daß hier der ursprünglich doch gewünschte Sinn des Ganzen verloren gebt oder eine bestimmte Drehung erfährt. Gewiß, das Leben selbst, die Praxis, muß den Raum zwischen den Buchstaben des Gesetzes füllen. Aber die Erfahrung lehrt, daß die Buchstaben nur die ersten Vorboten einer Gesinnung sind, die sich dann, durch diese Buchstaben gedeckt, später, im politischen Alltag, wie es so vielversprechend heißt, nur um so mehr austoben kann. Beide also, Praxis wie Buchstaben, müssen geändert werden, sonst wird oder vielmehr bleibt die ganze Reform leeres Gerede.

Während die Zeitungen zur Sammlung blasen, während die Parteien mehr oder weniger vorsichtig hintanhaltende Manöver vollführen und, übrigens aus leicht erklärlichen Gründen, nicht in ihre Aufmarsch-toder heißt es vielmehr:. Rückzugs-?) plane blicken lassen, wären Mutr maßungen über Gelmgen oder Mißlingen der Aktion und über den Inhalt der Reform selbst noch verfrüht. Vielleicht ist es aber im Sinn der Aktion selbst, einen kurzen Blick auf den Zusammenhang zu werfen, der sich da auftut: auf den Zusammenhang zwischen der Initiative der Zeitungen, die sich auf vielfache Unmutsäußerungen der Staatsbürger stützt, und dem allgemeinen Zustand unserer Demokratie selbst. Es ist gewiß kein Zufall, daß die instinktsicheren Initiatoren der Aktion gerade die Rundfunkkrise als jene Stelle ausgewählt haben, wo der Einbruch und der Vorstoß zum Krisenherd unserer Demokratie versucht werden soll. Denn sie sprechen zwar vom Rundfunk, meinen aber Demokratie. Welche Demokratie ist es denn? Man nennt sie auch „Tele-Demokratie“ und zwar aus gutem Grund. Die wachsende Entfremdung zwischen Öffentlichkeit und Koalitionspolitik, zwischen Wähler und Mandatar kommt gut zum Vorschein am Abend, wenn der Staatsbürger in seinem eigenen „Patschenkino“ sitzt und zwischen zwei Unterhaltungsnummern zur Abwechslung seine Politiker „sich einmal anschaut“. Er sieht sie ganz nahe vor sich agieren, er hört die Worte, bleibt aber davon seltsam unberührt. Es ist ein Schaustück, das jenen Dialog, der die Demokratie erst lebendig macht, ausschließt. Die Kluft zwischen Politiker und Publikum wird größer, das Unbehagen, das Gefühl des Betrogenseins, der Ohnmacht „unten“ wächst, aber auch die „oben“ laufen Gefahr, den Kontakt mit denen da „unten“ zu verlieren. Die Krise liegt wohl auch tiefer, sie wird aber für die, die vor dem Bildschirm sitzen oder atn Apparat lauschen, sichtbar und hörbar.

Demokratie ohne Erziehung der Wähler und der Politiker muß schiefgehen. Zur Erziehung sind unter anderem Hörfunk und Fernsehen da. Diese steoken aber ebenfalls in der Krise drin. Der Kreis schließt sich. Trotzdem: der Versuch lohnt sich, das Übel gerade hier am Schopf zu packen. Patentlösungen darf niemand erwarten. Aber was ist Demokratie anderes, als ein Versuch,.der nie erlahmen darf?

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