Maidan - © Foto: Getty Images / Giles Clarke

Euromaidan in der Ukraine: „Himmlische Hundertschaft“

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Bei den „Euromaidan“-Protesten vor zehn Jahren forderte ein Großteil der Ukrainer einen Regierungswechsel ein. Nicht zuletzt ging es darum, Russlands Einflusssphäre zu beschränken. Ein Rückblick.

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Bei den „Euromaidan“-Protesten vor zehn Jahren forderte ein Großteil der Ukrainer einen Regierungswechsel ein. Nicht zuletzt ging es darum, Russlands Einflusssphäre zu beschränken. Ein Rückblick.

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Es gibt Häuser in und um Wien, in denen scheint so gut wie nie Licht. Villen sind das, Palais oder Anwesen in nobler Lage und mit teils großer Geschichte. Oft handelt es sich um Liegenschaften, über die in der Nachbarschaft gemunkelt wurde, dass sie diesem oder jenem Geschäftsmann aus Russland gehörten. Wenn in diesen Liegenschaften dann Licht brennt, wenn dann Autos vor diesen Anwesen parken, dann kann man das als Indiz dafür werten, dass irgendwo der Hut brennt.

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Janukowitsch ließ sich ein Anwesen samt Zoo und goldenen Kloschüsseln errichten. Monatliche Kosten: vier Millionen Euro.

So geschehen vor zehn Jahren. Ende 2013, Anfang 2014 brannte in vielen dieser Anwesen und Villen Licht. Autos parkten davor. Und Villen, die über Jahre verlassen schienen, die nur Handwerker oder Hausbesorger von innen gesehen hatten und über die die Kunde ging, da seien die Wasserhähne aus Gold, wurden zu Bienenstöcken. Kisten unbekannten Inhalts wurden da hin und her geschleppt. Vielen sickerte erst da: Das sind gar nicht Russen, das sind Ukrainer.

Und plötzlich hatten all diese Hausherren Namen: Mykola Azarov (Premierminister der Ukraine), Andrij Klujev (Erster Vize-Premier der Ukraine und Vorsitzender des Nationalen Sicherheitsrates) und später dann auch Dmytro Firtasch (Haus-und-Hof-Unternehmer des Präsidenten). Es hatte einen guten Grund, dass sie nun alle in Wien ihre Palais bezogen: In der ukrainischen Hauptstadt war ihre Zeit abgelaufen; eine Revolution war im Anschwellen. Die Tatsache, dass ein paar Hunderttausend Menschen auf der Straße Forderungen erhoben, war ein Indiz für das politische Ende gewisser Personen.

Das schnelle Geld

Präsident Viktor Janukowitsch hatte die Ukraine geführt wie einen Gangsterklan. Posten, Staatsunternehmen, Aufträge gingen an Freunde und Vertrauensleute. Gewinnbringende Projekte wurden verfolgt, weniger gewinnbringende, wie die Sozialpolitik, vernachlässigt. Die Exekutive wurde zum Apparat, wenn es darum ging, Widersacher einzuschüchtern, Budgettöpfe zu Territorien. Demokratie, freie Meinungsäußerung, Bürgerrechte – das waren für Viktor Janukowitsch lästige Störfaktoren. Er folgte dem schnellen Geld – und das war in Russland.

Es gab in der Ukraine immer wieder den Punkt, an dem mit einem Schlag Konsens war, dass es reicht. Als sich Viktor Janukowitsch dazu entschied, einen Protest auf dem Maidan in Kiew mit der Begründung niederzuschlagen, dort müsse ein Christbaum aufgestellt werden, war ein solcher Punkt erreicht. Aus einem kleinen Protest mit ein paar Dutzend Leute wurde peu à peu ein Massenaufstand. Der Anlass: der Umstand, dass sich Janukowitsch zuvor dazu entschieden hatte, ein ausverhandeltes Assoziierungsabkommen mit der EU nicht zu unterzeichnen. Doch was die Menschen wirklich mobilisierte, war die Dreistigkeit, mit der der Präsident einen Baum vorschob, um Widerrede niederzuknüppeln.

Dabei war Janukowitsch eine historisch durchaus vorbelastete Person. Ein Emporkömmling aus dem Donbass. Zweimal verurteilt wegen Diebstahls und Körperverletzung. Automechaniker – und plötzlich ein großer Fisch in der Politik in Donezk. Mit einem Mal war er auch Doktor der Wirtschaftswissenschaften sowie Professor und Mitglied der Akademie der Wissenschaften. Als Leonid Kuchma 2004 einen Nachfolger suchte, fiel die Wahl auf Janukowitsch – ein ungelenker, hölzern wirkender Tollpatsch. Einer seiner ersten Auftritte als Kandidat war 2004 an der Seite Leonid Kuchmas und Wladimir Putins bei einer Militärparade. Damals bot Janukowitsch Putin auf der Tribüne ein Zuckerl an. Putin lehnte ab, grinste, als würde er sich still die Hände reiben. Dann versank Janukowitsch nach der Orangen Revolution im Winter 2004/2005 rund um die gefälschte Präsidentenwahl in der Versenkung. Schließlich wurde er aber Premier – und 2010 tatsächlich Präsident.

Regentschaft à la Sonnenkönig

Dabei regierte Janukowitsch wie ein Sonnenkönig. Zunächst raffte er alle Amtsbefugnisse an sich, ließ die nach der Orangen Revolution geänderte Verfassung rückbauen. Dann ließ er sich ein Anwesen samt Zoo, Saunalandschaft und goldenen Kloschüsseln errichten. Monatliche Betriebskosten: vier Millionen Euro. Politische Kontrahenten wurden inhaftiert, Proteste unterdrückt. Die Christbaumcausa auf dem Maidan brachte das Fass zum Überlaufen: Bei minus 15 Grad wochenlang auf der Straße auszuharren, auf die Straße zu gehen, wenn in Vorstädten Schlägertrupps des Regimes Jagd auf die Opposition machen, bedingt Entschlossenheit. An solcher mangelte es den Ukrainern auch damals nicht. Da gab es die Jungs in den Ritterrüstungen, deren Foto um die Welt ging und die sich zu Unrecht vor den Vorhang gezerrt fühlten, weil sie ja nicht wirklich etwas ausgerichtet hätten. Von ihren Vätern bekamen die beiden ordentlich eines auf den Deckel. Da gab es den Wirtschaftsjournalisten und Offizier der Reserve mit den ordentlich gekämmten Haaren, der zu einem Kommandanten der Maidan-Verteidiger wurde. Da gab es den intellektuellen Buchverleger, der den Konflikt schon damals in der Tradition ukrainischer Bauernaufstände einreihte. Da gab es die Aktivisten, die gemeinsame Patrouillen von Polizei und Bürgern organisierten, um Angriffe auf Streifenpolizisten in Vorstädten zu verhindern. Sie verstanden, dass man die Polizei brauche. Da waren Priester, Rabbis, Imame, Musiker, Linksradikale, Rechtsradikale, sehr viele Liberale, Unpolitische, Menschenrechtler, Homosexuellenaktivisten, Historiker, Künstler, Hooligans und Traditionalisten. Auf den Schilden der MaidanKämpfer aufgesprayt war nebst vielen anderen Ikonen der ukrainischen Geschichte der Nationalist Bandera; ebenso Nestor Machno, ein Anarchosyndikalist und Ikone der Linken.

Einigen konnte man sich auf Ukrainisch wie Russisch auf dem Maidan auf eines: So darf eine Regierung mit Bürgern nicht umgehen. Denn von Anfang an hatte das Regime auf Gewalt gesetzt. Erst der Tumult um den Baum, dann die Polizeigewalt bei Straßenschlachten; zudem wurden Aktivisten entführt, geschlagen und bei klirrenden Minusgraden nackt in den Wäldern ausgesetzt. In Vorstädten lauerten in Zivil gekleidete Schlägertrupps des Regimes den Maidan-Aktivisten auf. Und letztlich entschied sich das Regime ab Jänner 2014 dazu, auf die Menge schießen zu lassen.

108 Zivilisten und 13 Polizeibeamte starben im Zuge der Revolution – heute als die „Himmlische Hundertschaft“ bezeichnet. Tausende wurden verwundet. Andere wurden willkürlich angeschossen – etwa ein Maler, der sich mit seiner Freundin in eine U-Bahn-Station geflüchtet hatte. Er hatte Glück und verlor nur ein Auge.

Aktivist als Kriegsgefangener

Politische Allianzen und Haltungen bildeten sich in diesen Tagen, die heute noch bestehen. Vor allem aber auch eine Kultur, Differenzen auszutragen. In den späteren Tagen des Maidan, als das System Janukowitsch bereits Geschichte war und diverse Gruppen Ministerien und Behörden besetzten, da stand Maksym Butkevych in einem Hinterhof am Rande des Zentrums, rauchte, zitterte. Auch er hatte auf dem Maidan demonstriert, war damals Menschenrechtsaktivist in Asylfragen. Seine NGO organisierte Rechtsbeistand für Asylwerber. Nun wollte Butkevych die Einwanderungsbehörde aufsuchen. Unter Janukowitsch war den Anwälten seiner Organisation entgegen existierendem Recht Akteneinsicht verwehrt worden. Jetzt marschierten Maksym und seine Juristen in die Einwanderungsbehörde ein, besetzten sie – um sich Akteneinsicht zu verschaffen. Später kümmerte er sich um intern Vertriebene aus dem Donbass. Und: Er kritisierte lautstark die Behörden – vor allem das Innenministerium. Ein Pazifist sei er, betonte er damals. Kämpfen sei nichts für ihn.

Doch knapp neun Jahre später, nach Russlands Einmarsch, meldete sich Maksym Butkevych beim Militär als Freiwilliger. „Wenn wir diesen Krieg verlieren und Russland gewinnt und sein System auf die Ukraine pflanzt, dann waren 18 Jahre meiner Arbeit für nichts – dann existieren keine Menschenrechte mehr“, begründete er seine Entscheidung.

Im Juni 2022 wurde Maksym vom russischen Militär gefangen genommen. Die russische Propaganda nannte ihn einen Spion und Neonazi. Einige Male war er abgemagert und ergraut auf Videos zu sehen. Schließlich wurde er in Kriegsgefangenschaft zu 13 Jahren Haft verurteilt (was einen Verstoß gegen die Genfer Konvention darstellt). Dann verschwand er in Russlands Lagersystem. Der Kontakt zu ihm ist abgebrochen. Niemand weiß, wo er sich befindet.

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