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Gedanken zum Sozialisierungsproblem

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Im nachstehenden geben wir dem vornehmen Volkswirtschaftslehrer mit Ausführungen das Wort, die für ein gegenwärtig vielerörtertes Thema das Feld grundsätzlich und praktisch abstecken. Unparteiisch und leidenschaftslos, wenn es sich um einen Widerstreit von Interessen handeln könnte, darf die Wissenschaft an erster Stelle Gehör beanspruchen. „Die Furche“ wird einer sachlichen Diskussion über den Gegenstand offenstehen.

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Im nachstehenden geben wir dem vornehmen Volkswirtschaftslehrer mit Ausführungen das Wort, die für ein gegenwärtig vielerörtertes Thema das Feld grundsätzlich und praktisch abstecken. Unparteiisch und leidenschaftslos, wenn es sich um einen Widerstreit von Interessen handeln könnte, darf die Wissenschaft an erster Stelle Gehör beanspruchen. „Die Furche“ wird einer sachlichen Diskussion über den Gegenstand offenstehen.

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Die heutige Zeit ist eine Zeit der Grenzenveränderung, auch auf dem Gebiete der Anschauungen. Vieles das sich einst nahestand, ist auseinandergegangen; es haben sich aber auch auf manchen Gebieten diametral entgegenstehende Ansichten einander angenähert. Deutlich tritt dies in der Frage der Sozialisierung in Erscheinung. Früher war sie eine Flaggenfrage, jetzt tritt man häufiger unter praktischen Gesichtspunkten an sie heran. Man hat den Eindruck, daß einstige prinzipielle Gegner heute nicht mehr jegliche Sozialisierung verurteilen, daß aber andererseits auch viele ihrer früheren prinzipiellen Befürworter sie nicht unter allen Umständen durchgeführt wissen wollen. Dies gibt uns Anlaß, einige Grundsätze in Erinnerung zu bringen, die befolgt werden müssen, soll die neue Wirtschafts-■estaltung zum Wohl Österreichs aus--4ilagen.

Da steht nun an der Spitze die Frei heit und ihre Bedeutung für die menschliche Persönlichkeit Gewiß sind wir weit entfernt von jenem extremen Liberalismus, der Freiheit um der Freiheit willen, auch auf Kosten menschlichen Glückes, forderte; aber die letzten Jahre der Unterdrückung haben uns allen doch wieder die Augen für richtige Würdigung der Freiheit geöffnet. Man erkennt wieder die Bedeutung der Freiheit für die menschliche Persönlichkeit und damit für das menschliche Glück. Diese Erkenntnis hatte ja schon immer die sozialen Enzykliken der Päpste durchzogen. In der Weihnachtsbotschaft 1942 sagt Pius XII. dann wieder, daß „der ursprüngliche und wesentliche Zweck des sozialen Lebens die Erhaltung, Entwicklung und Vervollkommnung der menschlichen Persönlichkeit sei“. — Unter diesem Gesichtspunkt muß alles abgelehnt werden, was die Würde und Freiheit der menschlichen Persönlichkeit bedroht, Eine der mächtigsten Schutzwehren ist aber nun das Privateigentum, gerade luch das an Produktionsmitteln. Eine völlige Sozialisierung aller Produktionsmittel, die ja tatsächlich eine Verstaatlichung wäre, müßte dem Staat gegenüber den einzelnen eine furcht-bare Macht in die Hand geben. Was Staatsomnipotenz bedeutet, haben wir in den letzten Jahren schaudernd erlebt, schon ohne Verstaatlichung aller Produktionsmittel. Sie hätte sich noch weit schlimmer ausgewirkt, wenn die Staatsmacht durch völligen Besitz der Produktionsmittel ins Uferlose gesteigert worden 'wäre. Totale Sozialisierung würde den totalen Staat bedeuten; daher muß sie ebenso wie dieser gerade nach den Erfahrungen der letzten Jahre abgelehnt werden.

Nun steht aber heute praktisch bei uns nicht die allgemeine Sozialisierung zur Diskussion, sondern nur die einzelner Wirtschaftszweige. Eine solche wird man unter dem Gesichtspunkt der Persönlichkeitswahrung nicht ohneweiters ablehnen dürfen; man wird vielmehr jeweils im einzelnen Falle prüfen, ob sie unter den im folgenden zu betrachtenden Gesichtspunkten angemessen erscheint. Immerhin wird man auch bei derartigen Teilsozialisierungen sich darüber klar sein, daß sie die Macht des Staates steigern; man wird daher um so mehr auf Schutz der Persönlichkeit gerade auch gegenüber diesem wachsenden Staat bedacht sein müssen.

Im übrigen wird für die Entscheidung, ob einzelne Wirtschaftszweige sozialisiert werden sollen, die Frage von größter Bedeutung sein, ob durch solche Maßnahmen auch die Produktivität erhöht oder gemindert wird. In der heutigen Zeit einer gewaltig drohenden, aber von der Allgemeinheit wohl noch nicht genügend erfaßten Verarmung müssen diese Erwägungen besonders stark ins Gewicht fallen. Nun läßt sich hier eine allgemeingültige Entscheidung nicht treffen. Der Lieblingsgedanke des Sozialismus, daß mit der Zentralisierung der Produktion die Produktivität ungemessen steigen würde, weil nunmehr alle Produktionsfaktoren in eine Richtung gelenkt wären und nicht mehr gegeneinander arbeiten würden, und weil die Sozialisierug gleichzeitig auch den Weg zur größten und damit produktivsten Betriebs- und Unternehmungsgröße bedeuten würde, wirkt faszinierend und hat manche gute Köpfe der Sache des Sozialismus gewonnen, läßt sich aber in dieser Form nicht halten. Denn er vergißt, daß der wirtschaftliche Erfolg nicht bloß von der wirtschaftlichen Form, sondern auch vom wirtschaftlichen Handeln abhängt, und daß dieses Handeln von viel stärkeren Motiven angetrieben wird, wenn ob beim einzelnen so eng mit dem Erfolg verknüpft ist, wie dies im allgemeinen in privatwirtschaftlicher Ordnung der Fall ist. Auch ist man heute doch von der einseitigen Überschätzung des größten Betriebs abgekommen. Wohl ist sehr vielfach der größere Betrieb produktiver als der kleinere. Aber keinesfalls läßt sich behaupten, daß jeweils der größte Betrieb der produktivste sei. Vielmehr wird man sagen können, daß unter bestimmten äußeren Umständen in einem bestimmten Wirtschaftszweig immer eine Betriebsgröße die optimale sei. Wird sie überschritten, so arbeitet der Betrieb wieder unter ungünstigeren Umständen.

So kann keinesfalls allgemein behauptet werden, daß durch die Sozialisierung das Sozialprodukt gesteigert würde. Ja man muß infolge der Verringerung der Wirt-sdiaftsmotive für manche Wirtschaftszweige eine erhebliche Minderung befürchten. Erwägt man, daß ein so wichtiger Ansporn, wie der Wettbewerb es ist, ganz stark zurücktreten müßte, wenn er nicht überhaupt verschwinden würde, und' daß der' Bürokratismus gewiß kaum geeignet erscheint, die fehlenden Wirtschaftsmotive zu ersetzen, so muß man von einer Sozialisierung zumindest für alle jene Bereiche Schlimmstes befürchten, in denen individuelle Qualitätsarbeit bisher durch persönliche Wirtschaftsführung zum Erfolg gebracht wurde. Dazu werden nicht nur alle Ge-sthmacksindustrien gehören, sondern überhaupt die meisten Exportindustrien.

Nun haben freilich die aktuellen SoziaH-sierungswünsche meist solche Industrien und Bergwerksbetriebe im Auge, die in Massenproduktion arbeiten und ohnedies schon stark zentralisiert sind. Man wird einräumen müssen, daß es da Fälle gibt, in denen die Sozialisierung mit der Produktivität vereinbar erscheint. Das gilt insbesondere von solchen Fällen, in denen die Konzentration schon zu einem monopolartigen Zustand geführt hat. Wenn auf diese Weise d,er Wettbewerb auch in der Privatwirtschaft wirklich nicht mehr existiert (meist ist er doch wenigstens latent vorhanden!), dann wird sich unter dem Gesichtspunkte der Produktivität nicht mehr viel gegen eine Sozialisierung einwenden lassen. Ja sie mag erwünscht sein, wenn man vermuten kann, daß der Staat besser wirtschaftet als die frühere Privatwirtschaft. Das wird sich freilich kaum von vornherein mit Bestimmtheit sagen lassen.

Nun müssen aber außer der Produktivität auch noch andere Gesichtspunkte herangezogen werden. Zu berücksichtigen ist vor allem auch das Interesse der Arbeiter, die in zu sozialisierenden Betrieben beschäftigt sind. Da stehen wir nun vor der merkwürdigen Erscheinung, daß weithin gerade die Arbeiter die Sozialisierung fordern und sie damit wohl auch als in ihrem Interesse gelegen ansehen. Ist diese Meinung richtig? /

Wir werden da zunächst auf unsere bisherigen Betrachtungen hinweisen müssen und feststellen, daß eine Sozialisierung, durch die etwa die Produktivität verringert würde, schwerlich im Interesse der Arbeiter dieses Wirtschaftszweiges gelegen wäre; denn letzten Endes lebt der Arbeiter doch von der Produktivität seiner Arbeit.

Wir wollen nun aber im folgenden von der Produktivitätsgestaltung absehen und ohne deren Berücksichtigung zur Frage Stellung nehmen, ob voraussichtlich die Lage des Arbeiters durch eine Sozialisierung seines Betriebs gebessert würde“

Sozialisierung bedeutet praktisch in unseren Fällen“ Verstaatlichung oder wenigstens Überführung der Unternehmung i n allergrößte Staatsnähe. Wir können mithin wohl die Frage so stellen, daß wir die Staatsarbeiter mit den Arbeitern der Privatwirtschaft vergleichen. Es wäre nicht uninteressant, solche Vergleiche in bezug auf die bestehende Wirtschaft durchzuführen. Sie würden freilich kaum zu ganz einwandfreien Ergebnissen führen, weil man ja nur gleichwertige Arbeiten vergleichen könnte. Immerhin ist wohl nicht anzunehmen, daß sie allgemein eine bessere Lage der Staatsarbeiter aufzeigen würden. •

Von vornherein spricht manches gegen die Annahme einer besonders günstigen Lage der Arbeiter in den Staatsbetrieben. Die Unternehmerseite erscheint hier besonders stark, und zwar schon deshalb, weil der Staat als Unternehmer dem Arbeiter gegenüber von vornherein in der günstigen Lage des Monopolisten ist. Wenn es bisweilen für Arbeiterorganisationen angenehmer sein mag, mit einem Gegenkontrahenten als mit vielen zu, verhandeln, so wird man doch“ die Tatsache nicht aus der Welt schaffen können, daß dieser eine marktmäßig sich in viel vorteilhafterer Position befindet, als wenn kein Monopol bestünde. DuTch die Sozialisierung von Wirtschaftszweigen, die vorher nicht zentralisiert waren, wird aber solch günstige Lage für den Unternehmer erst geschaffen. Das muß sich auch gegenüber den Arbeit- f nehmern äußern.

Diese Lage des Unternehmers wird dadurch noch erheblich verstärkt, daß die gesamte Staatsmacht hinter ihm steht, ja daß er mit dem Staat zusammenfällt. Einem solchen Unternehmer gegenüber hat der Arbeiter unvergleichlich weniger zu sagen als einem Privatunternehmer. Das muß sich um so mehr geltend machen, je mehr Bereiche von der Sozialisierung erfaßt sind und je ausgebreiteter daher die Wirtschaftsmacht des Staates ist.

Nun werden freilich olche Gedankengänge den meisten Vertretern des Soziali-sierungsgedankens recht ferne liegen. Sie werden ihren Widerspruch dagegen mit der engen Verbundenheit zwischen Staat und Arbeitern begründen, die von der kommenden Gesellschaft erhofft werden kann. Nun, wir wünschen sehnlich, daß ein Gewaltstaat, wie wir ihn in den letzten Jahren erleben mußten, nicht wiederkehrt. Aber ist es den Arbeitern unter allen Umständen sicher, daß sie den Staatfürall- Zei.teninderHand haben werden? Auch wenn wir als sicher annehmen, daß kein Faschismus wiederkehrt, so muß man sich doch darüber im klaren sein, daß die Arbeiter nur einen Teil der Bevölkerung ausmachen. In einem demokratischen Staat werden daher die Arbeiter so viel zu sagen haben, als ihrem Anteil an der Bevölkerung entspricht. Das gilt nicht bloß von der Arbeiterschaft im ganzen, sondern auch von der Arbeiterschaft eines Wirtschaftszweiges, die meist nur einen kleinen Bruchteil der Gesamtbevölkerung repräsentieren wird. Steht sie dem Staat gegenüber, so kann es in einzelnen Fällen sehr wohl sein, daß ihre etwa auf Lohnerhöhung gerichteten Interessen nicht ohneweiters mit denen der übrigen Bevölkerung zusammenfallen. Ereignet sich solches, so wird der Staatsbetrieb sich vermutlich viel intensiver und mit stärkeren Machtmitteln gegen die Arbeiterwünsch wehren als viele Privatbetriebe.

Die dargelegte Gefahr, daß der Staat als Unternehmer nicht immer die Ar eiter-wünsche befriedige, ist nun derzeit besonders groß. Denn es ist zu fürchten, daß er sie vielfach nicht wird befriedigen können. Unsere nächste Zukunft ist Verarmung. Verarmt wird vorab der Staat sein. Er wird daher voraussichtlich am allerwenigsten in der Lage sein, seine Arbeiter wirtschaftlich zu bevorzugen. Auch die Privatwirtschaft wird verarmt sein. Aber manche ihrer Zweige werden vielleicht doch eher in der Lage sein, Arbeiterwünschen entgegenzukommen, besonders wenn es sich um Exportindustrien mit starken ausländischen Beziehungen handelt.

Es ergibt sich also, daß die landläufige Meinung, die eine Sozialisierung gerade aus dem Arbeiterinteresse heraus anstrebt, keinen festen Boden unter den Füßen hat. Es 'spricht vieles für die Ansicht, daß gerade in heutiger Zeit eine Sozialisierung nicht dem Arbeiterinteresse entsprechen würde. * *

Zum Schlüsse unserer Betrachtungen sei noch auf einen Punkt hingewiesen, der von überragender Bedeutung ist: Wird sozialisiert, so dürfen Recht und Gerechtigkeit nicht außer acht gelassen werden. Wir haben Jahre ohne Gerechtigkeit ?rlebt; wir wollen nicht in die Methoden dieser Zeit zurückfallen. Es ist durchaus möglich, sozialisier rungsreife Betriebe der Sozialisierung zuzuführen, wenn das Gemeinwohl dies erheischt. Aber die Gerechtigkeit verlangt angemessene Entschädigung der Eigentümer, wofern diese nicht etwa durch strafrechtliche Ahndung begangener Verbrechen ihres Eigentums verlustig erklärt werden* Nur auf dem Boden der Gerechtigkeit soll sich die neue Wirtschaft erheben.

Unsere Untersuchung hat gezeigt, daß das ,'Sozialisierungsproblem des heutigen Österreich viel verzweigter ist, als es in früheren Zeiten erscheinen mochte. Gegen Sozialisierung einzelner Wirtschaftszweige läßt sich prinzipiell nichts einwenden, praktisch kann man manches zu ihren Gunsten anführen. Aber man wird bei jedem einzelnen Wirtschaftszweig genau prüfen müssen, ob er gerade in heutiger Zeit für die Sozialisierung geeignet ist; dabei wird man auf manche zunächst nicht beachtete Hemmnisse stoßen, die es fraglich erscheinen lassen, ob seine Sozialisierung derzeit im Interesse seiner Arbeiterschaft und in dem der Allgemeinheit liegt. Man wird jedenfalls nur da sozialisieren dürfen, wo solches Interesse gegeben erscheint. Denn die Sozialisierung darf nur insoweit erfolgen, als sie dem Gemeinwohl dient. Ihre Durchführung aber darf nur so geschehen, daß sie der Gerechtigkeit entspricht.

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