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Grenzziehungen in Frankreich

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Während in Frankreich das flache Land bereits weitgehend einer erschreckenden religiösen Gleichgültigkeit erlegen ist, erweist sich ein hoher Prozentsatz der jungen Intelligenz und auch der Arbeiterschaft, soweit diese von der größten Jungarbeiterorganisation Frankreichs, der JOC (Katholische Arbeiterjugend) in den vergangenen zwei Jahrzehnten erfaßt wurde, als Sammelpunkt der gläubigen und aktiven Christen. Die Haltung dieser jungen Generation unterscheidet sich wesentlich vom bürgerlichen Christentum der älteren. Aus dem Geist des Evangeliums will man das ganze Leben des modernen Menschen neu und christlich gestalten, sein Familienleben, seine Arbeitsbedingungen, aber auch seine kulturell-soziale Gesarntatmosphäre.

Diese Kreise nennen sich Catholiques s o c i a u x — Sozialkatholiken — im bewußten Gegensatz zu den Catholiques con-servateurs, die, nach der Kritik der Jungen, an einer vergangenen bürgerlichen Gesellschaftsordnung und am überkommenen Glauben wie an einer Art Versicherung für einen glücklichen Lebensausgang festhalten, und im übrigen in der Kirch? nicht zuletzt eine wichtige Stütze ihres Patriotismus und des Eigentums sehen. In praktischen Fragen, wie Löhne, -Streiks, Gewerkschaft, Jugendschutz, aber auch Kolonialpolitik, Spanienpolitik, Kollaboration mit den Deutschen und ähnliches, war und ist der Gegensatz zwischen Catholiques conser-vateurs und sociaux oft größer als zwischen Sozialkatholiken und Marxisten. Die einen kämpften in der Widerstandsbewegung Seite an Seite mit Kommunisten und Sozialisten und sind auch heute noch bereit, deren guten Willen anzuerkennen und in konkreten sozialen Fragen zusammenzuarbeiten, während die anderen zum Teil im Lager Petains standen oder dem nationalistischen Offizierstyp De Gaulies nahestehen. Man darf abeY auch die religiössoziale Bewegung der Catholiques sociaux nicht mit der politischen MRP identifizieren, wenn auch ly.'ide teilweise auf denselben Menschen und Grundanschauungen fußen.

Dieser kämpferischen und aktivistischen Generation der Sozialkatholiken, die sich im „T 6 m o i g n a g e C h r 6 t i e n“ („Christliches Zeugnis“) ein hervorragendes Wochenorgan geschaffen haben, gelten nun die Annäherungsversuche der Kommunisten, die eigens zu diesem Zweck ihren Hausphilosophen und Spezialisten für religiöse Fragen, Roger G a r a u d y, auf eine Versammlungskampagne durchs ganze Land geschickt haben, um die militanten Katholiken zu überreden, daß sie ihr Ziel, nämlich die Vernichtung der kapitalistischen Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, nur in den Reihen der Kommunistischen Partei verwirklichen können. In diesem Sinne wurde auch von Garaudy den sympathisierenden Linkskatholiken ein Manifest vorgelegt, das die Hakung jener Katholiken zusammenfassen sollte, die innerhalb der Kommunistischen Partei für ihre sozialen Ziele kämpften. Wir zitieren: „Wir sind Christen und halten deshalb das kapitalistische System für unvereinbar mit unserer Auffassung von der Menschenwürde. Da nur der Kommunismus dieses System wirksam bekämpfen kann und deshalb jeder Antikommunismus nur Ausdruck von Klasseninteressen ist, verurteilen wir die Stellungnahme der kirchlichen Hierarchie, die Klasseninteressen dient, indem sie dem Antikommunismus religiöse Weihe gibt und so die kapitalistischen Positionen stärkt, die Grenzen zwischen politischem und geistlichem Bereich verwischt und die nationale Einheit, die die Kommunistische Partei durch ihre religiöse Toleranz gewährleistet, gefährdet.“

Selbstverständlich wurde dieses Manifest und ähnliche Erklärungen „christlicher“ Kommunisten zunächst für einen Propa gandatrick gehalten und als Versuch gebrandmarkt, den katholischen Widerstand gegen die materialistische Weltanschauung und den totalitären Staat der Kommunisten durch innere Zwistigkeiten zu schwächen Es gab aber in dieser Pressediskussion eine peinliche Überraschung, als der ehemalige Chefredakteur dös „Temoignage Chreuen“ aus der Verbotszeit, Andre Mandouze, sich als Mitverfasser obigen Manifestes bekannte und bekräftigte, daß es tatsächlich von einer Gruppe Katholiken verfaßt sei.

„Temoignage Chn?tien“ und mit ihm die überwältigende Mehrheit der Sozialkatholiken haben sich dadurch nicht beirren lassen. Sie anerkennen, daß der Kommunismus die Christen ein- für allemal aus ihrer komfortablen Zufriedenheit ihres guten Gewissens aufgerüttelt hat, sie sind aber nicht bereit, die bisweilen notwendige Zusammenarbeit mit einer Trennung von der Kirche zu bezahlen. Zuerst muß man innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft das Sozialprogramm der Päpste und Bischöfe radikal und vollständig zu erfüllen trachten, bevor man von außen her kritisieren darf.

Im übrigen hat der Wechsel öffentlicher Briefe zwischen Garaüdy und dem Hauptredakteur des „Temoignage Chreuen“ zu programmatischen Stellungnahmen beider Teile geführt. Jener heißt Christen, die das oben erwähnte Manifest unterschreiben würden, als Mitkämpfer in der Kommunistischen Partei willkommen, und verspricht ihnen religiöse Toleranz für ihren „intimen“ Glauben. Er hält zwar unbedingt an der materialistischen Philosophie als der einzig wissenschaftlichen fest, meint aber, daß dies für die priktische Zusammenarbeit kein Hindernis bilden könne, da die entscheidende Frage die sei, ob die kommende kommunistische Gesellschaft für die Katholiken weniger tragbar sei als die gegenwärtige kapitalistische.

Demgegenüber hat der „Temoignage Chretien“ seine Haltung und die de.- jungen katholischen Generation in der Frage der Zusammenarbeit mit den Kommunisten klar formuliert. Mit den Kommunisten ver bindet die Katholiken das Bewußtsein, daß der liberale und individualistische Kapitalismus, der Unrecht. Haß und soziale und internationale Wirren schaffe, endlich beseitigt werden müsse. Mit ihnen bekämpfen

Sri Ramaktishna (1 836 bis 188 6)

Ein Neuankömmling In einer Stadt sollte sich zuerst einen behaglichen Platz zum übernachten sichern, und nachdem er dort sein Gepäck untergebracht hat, kann er die Stadt besichtigen gehen. Sonst mag es ihm im Dunkel der Nacht schwer werden, einen Rastplatz zu finden. Ähnlicherart mag ein Neuankömmling in dieser Welt, nachdem er sich um einen Ruheplatz in Gott gekümmert hat, ohne Bangen an sein Tagwerk gehen. Andernfalls wird er, wenn die dunkle furchtbare Nacht des Todes über ihn kommt, großen Schwierigkeiten und Leiden begegnen.

Saradamani, Gattin SriRamakrishnas (1 8 5 3 b i s 192 0)

Selbst das V/asser, das das natürliche Bestreben hat, abwärts zu fließen, wird durch die Sonnenstrahlen gegen Himmel gezogen. In gleicher Weise hebt Gottes Gnade den Geist empor, ^der die Neigung hat, Sinnenzielen zu folgen.

Aus dem Englischen übertragen von Emil Rainer, Innsbruck sie den Primat des Geldes und bekennen sich zum Ethos und zur Würde der Arbeit. Mit oder ohne sie wollen sie eine gerechtere und brüderlichere Gesellschaft schaffen, in der der Arbeiter zu maßgebender Stellung auf allen Gebieten gelangen kann Dies fordern sie im Namen der christlichen Religion und Menschenwürde.

Aber die „christliche Revolution“ ist nicht in erster Linie eine politische und wirtschaftliche, sondern eine, die den ganzen Menschen erfaßt. Sie proklamiert die Freiheit des Menschen all Ebenbild Gottes und in Bindung in sein Gesetz und die Gerechtigkeit. Eine Revolution der Freiheit muß den vermittelnden Gemeinschaften, der Familie, dem Betrieb, den Gewerkschaften und Berufs-tänden, den kulturellen und geistigen Vereinigungen eigenes Leben und Kraft geben. Demgegenüber erscheint der kommunistische Wunsch, das kapitalistische Eigentumsrecht und die Anonymität des privaten Trusts durch die Anonymität des Staatseigentums und des Staatstrustj zu ersetzen, als wesenhaft reaktionär, da an der tatsächlichen Unfreiheit des Menschen nichts geändert wird, sondern dieser im Gegenteil dem vollkommenen Zwang des totalitären Staates ausgeliefert wird. Der Arbeiter soll vielmehr zu eigenem Miteigentum und Mitbestimmungsrecht in einem Betrieb gelangen können.

Der Mensch kann zudem sein Glück nicht in der Besserung bloß seiner materiellen Lage finden, sondern nur in der Erkenntnis seiner wahren Stellung in der göttlichen Lebensordnung, Es genügt nicht, gegen das Übel in der Gesellschaft anzukämpfen, sondern man muß dem Menschen vor allein lehren, über das Obel in sich selbst zu triumphieren. Die Menschen sind nicht auf der Welt, um sich gegenseitig zu bekämpfen, sondern um einander ZU verstehen, zu helfen und zu lieben.

Deshalb lehnen die Katholiken die marxistische Doktrin und die machiavellisrische Kampfweise der Kommunisten-als unvereinbar mit ihrer Religion ab, desgleichen den Primat der zeitlichen Güter, die Vergewaltigung der Gewissen durch den Staat der Diktatur des Proletariats und den Geist der Gewalttätigkeit und des Hasses. Sie wenden sich aber audi gegen den blinden Antikommunismus, der fälschlich im Kommunismus die einzige zu bekämpfende Gefahr und die Existenzfrage sieht, da er zu einem Kampf gegen die Arbeiterklasse als solche auszuarten droht und nicht mehr zwischen Ideologie und Mensdien unterscheiden kann. Die Katholiken sind überhaupt nicht „smti“, das heißt gegen, sondern „für“ etwas, nämlich für die Freiheit und Würde des Menschen und die soziale Gerechtigkeit, vor allem weil sie für Einen sind, für Christus. In diesem Sinn und unter diesen Bedingungen erklärten sie sich auch jederzeit zu nutzbringender und loyaler Zusammenarbeit mit alten Menschen guten Willens bereit, wenn es um das zeitliche Wohl der Arbeiter-sdiaft geht.

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