Milliarden für die Autokraten-Gnade

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Jeder Vertrag der Union mit Präsident Erdog an trägt wegen dessen Unberechenbarkeit das Risiko des Scheiterns und - finanziell -des Totalverlustes in sich.

Eine der verkündeten Absichtserklärungen der EU-Staats-und Regierungschefs bei ihrem Sondertreffen in Brüssel zur Flüchtlingsfrage war eine bekannte Formel, mit der mittlerweile in Österreich, der Tschechischen Republik und Ungarn Wahlen gewonnen wurden: Die EU braucht einen funktionierenden Schutz der Außengrenzen und vertragliche Regelungen mit Staaten, die Ausgangs-oder Durchgangsländer für Flüchtlinge sind. Als Vorbild wird der "Türkei-Deal" genannt, der seit 2016 in Kraft ist, und seit dessen Inkrafttreten die Zahl der Ankommenden unbestreitbar drastisch gesunken ist.

Aber diese plakative Feststellung hat einige Pferdefüße, die sich auf die Kosten des Abkommens beziehen. Das beginnt schon mit der Einsätzung des Partners für den Deal. Recep Tayyip Erdog an ist ein Autokrat, der im Alleingang und ohne Berater entscheidet. Das macht jeden Vertrag mit ihm zu einem Unternehmen mit hohem Totalverlust-Risiko.

Gerald Knaus, der Chef des Thinktanks European Stability Initiative, der Ideengeber des EU-Türkei-Deals, erhoffte sich von der Türkei so etwas wie staatspolitische Rationalität im besten Sinn. Die Türkei müsse Interesse an einem Flüchtlingsabkommen haben, um bessere Karten in Europa zu haben. Doch mit dem Putsch 2016 und der Entmachtung rechtsstaatlicher Institutionen ist der Grundsatz der Verlässlichkeit nicht mehr gegeben. Erdog an hat selbst schon mehrmals gedroht, das Abkommen scheitern zu lassen und mehr als einmal, den Preis (drei Milliarden Euro) nach oben zu treiben. Mit anderen Regimen in der Region wird Europa ähnliche Probleme der Launenhaftigkeit und der Erpressbarkeit haben.

Damit bleiben als verlässliche Partner in diesem Raum nur drei bis vier Länder übrig: Libanon, Tunesien, Marokko und mit Abstrichen Algerien. Da die Ressourcen dieser Länder aber deutlich beschränkt sind, müsste Europa intensiver als bisher über kontrollierbare Lösungen auf eigenem Territorium nachdenken.

Die Flüchtlinge scheinen jedenfalls nach wie vor aus der Türkei nach Europa zu kommen. 35.000 waren es 2017. Und es werden immer dann merkbar mehr, wenn Ankara gerade mit der Kündigung des Abkommens droht, wie 2016, als die Zahl von durchschnittlich 50 pro Tag auf über Tausend stieg.

Zudem funktioniert bei jenen, die ohne Asylgrund übergesetzt haben, die Rückführung kaum bis gar nicht. Von 15.000 Personen, die aus der Türkei seit Beginn des Abkommens auf die griechischen Inseln übergesetzt hatten, wurden nur 580 zurückgebracht. Insgesamt zählte das UNHCR von April 2016 bis zum Ende des Jahres 2017 1484 Rückführungen aus Griechenland in die Türkei.

Umstrittene Neuansiedlungen

Als vollkommen wirkungslos hat sich die "Neuansiedelungsregelung" herausgestellt. Demnach sollte für jeden zurückgebrachten Flüchtling ein syrischer Flüchtling in die EU aufgenommen werden. Nicht nur, dass sich in der Union die Aufnahmebereitschaft auf fünf Staaten beschränkte. Es hielt sich auch die Türkei nicht an den vereinbarten 1:1-Schlüssel. Zuletzt wurden fünfmal mehr Menschen nach Europa geschickt, als zurückgenommen wurden. Und auch innerhalb der Gruppe derer, die nach Europa dürfen, geht die Türkei einen willkürlichen Weg. So bleibt Akademikern der Weg nach Europa versperrt. Die Zahlungen der EU und die Verhandlungsabstimmung müssen wesentlich besser koordiniert werden. So hatte Deutschland in bilateralen Verhandlungen mit der türkischen Regierung einfach das Doppelte der von der EU zugesagten drei Milliarden Euro aus dem gemeinsamen Haushalt versprochen, was den übrigen Mitgliedern erst bewusst wurde, als das Geld im Frühjahr ausbezahlt werden sollte.

3000 Euro pro Kopf für Ankara

Der verdoppelte Preis führt zur Kalkulation, dass -sollten sich tatsächlich zwei Millionen Flüchtlinge auf türkischem Boden befinden -die EU bisher 3000 Euro pro Kopf für die Unterbringung und Infrastruktur bezahlte. Gemessen an den Berichten über die türkischen Lager ist das ein hoher Betrag.

Aber was geschieht damit? Offensichtlich nicht nur unumstritten Positives. Im Oktober 2017 veröffentlichte die Universität Amsterdam einen Bericht, in dem die von Europa mitfinanzierten Lager für zurückgewiesene Flüchtlinge als "Gefängnisse" beschrieben werden, mit Einzelzellen und Verbot der Kontaktaufnahme zur Außenwelt. Nach internationalem Recht garantierter Schutz für die Flüchtlinge, so der Bericht, "ist extrem selten. Die meisten Gefangenen sehen sich klaren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt".

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