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Mut zum Parteienstaat

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Wir leben unter einem ganz und gar fiktiven Begriff der Demokratie der auf der Grundlage der Philosophie des 18. Jahrhunderts von Juristen geschaffen wurde. „Regierung des Volkes durch das Volk“, „Herrschaft der Nation durch ihre Repräsentanten“ — das sind schöne Formulierungen, dazu angetan, Begeisterung zu erwecken und rednerische Kunst zu entwickeln; schöne Formulierungen ohne jede Bedeutung.

Maurice Duverger

Daß eine moderne Demokratie ohne politische Parteien nicht existieren kann, diese Einsicht ist schon lange ein selbstverständlicher Bestandteil der verschiedenen politischen Theorien und auch der politischen Wissenschaft. Die Parteien sind in der modernen Demokratie zur - entscheidenden Vermittlumgs- instanz zwischen dem demokratischen Souverän, dem Volk, und den Spitzen der drei Staatsgewalten geworden. Um so erstaunlicher ist es, daß die österreichische Verfassung, die höchste innerstaatliche Stufe im Stufenbau der Rechtsordnung, diese dominierende Rolle der Parteien nicht berücksichtigt, daß die politischen Parteien in die Verfassung gewissermaßen nur durch eine Hintertür geschlüpft sind. Die österreichische Bundesverfassung nimmt von den Parteien gerade noch Notiz. In den Artikeln 26, 35, 55 und 81a B.-VG. werden die Parteien als „Wahlparteien“ akzeptiert; das ist eine juristische Konstruktion, denn funktional kann zwischen politischen Parteien schlechthin und „Wahlparteien“ kein Unterschied bestehen. In einem einzigen Fall, im Art. 147 B.-VG., werden die Parteien auch in einer anderen Form als in der von „Wahlparteien“ erwähnt, und es ist bezeichnend, daß dies in einer negativen Aussage geschieht. Durch Art. 147 B.-VG. werden „Angestellte oder sonstige Funktionäre einer politischen Partei“ von der Mitgliedschaft beim Verfassungsgerichtshof ausgeschlossen.

Theorie und Wirklichkeit

Die österreichische Bundesverfassung sieht also an der politischen

Realität der Parteien, die de facto die wichtigsten Zentren der Machtausübung und der Machtverteilung sind, vorbei. Nun ist aber ein zu starkes Auseinanderklaffen von Verfassungstheorie und Verfassungswirklichkeit niemals günstig. Eine Verfassung, weldhe die tatsächlichen politischen Gegebenheiten nicht in den Griff bekommt, versäumt letztlich ihre Hauptaufgabe, die Politik zu kanalisieren, teilweise zu verxecht-

lichen. Außerdem verzerrt eine solche Verfassung den Blick auf die Politik. Wer die formalen Prinzipien der Verfassung begriffen hat, etwa die Trennung der Gewalten, neigt dann oft dazu, diese formalen Grundsätze für das wirkliche Um und Auf der Politik zu halten; wenn er dann früher oder später entdek- ken muß, daß die tatsächlichen politischen Entscheidungen in ganz anderen Gremien und auf ganz andere Weise fallen, als dies die Verfassung vorsieht, so wird er das dann der Demokratie überhaupt und nicht seinem eigenen, unrealistischen Demokratiebegriff anlasten.

Überholtes Verfassungsdenken

Das alles weist darauf hin, daß unsere Verfassung auf organisatorischen Prinzipien aufgebaut ist, die sich in der Zeit und für die Zeit der konstitutionellen Monarchie entwik- kelt haben; und wenn schon nicht unsere Verfassungsstruktur als Ganzes in den Kategorien der konstitu tionellen Monarchie stecken geblieben ist, so ist es zumindest das Ver- fassungsdenken, die allgemein vorherrschende Einschätzung von Begriffen wie „Demokratie“, „Parteien“ und „Staat“.

Um dafür nur ein Beispiel zu geben: Die Trennung von Legisla tive und Exekutive wird nach wie vor als einer der wesentlichsten organisatorischen Grundsätze unserer Demokratie angesehen. In Wirklichkeit ist diese Trennung schon längst zu einer bloß formal-äußerlichen geworden, während funktional zwischen der Parlamentsmehrheit und der von dieser abhängigen Regierung keine Trennung, sondern unlösbare Einheit herrscht. Daß die Trennung von gesetzgebender und vollziehender Gewalt ein Gedankengut der konstitutionellen Monarchie ist, hat schon Hans Kelsen ausführlich begründet. Und Walter Bagehot bezeichnete es geradezu als das Charakteristikum der britischen Demokratie, des Ur- und Vorbildes des Parlamentarismus, daß Regierung und Parlament eins sind — die Regierung ist Vollzugsausschuß der Parlamentsmehrheit.

Einem überholten Verfassungsdenken entspricht es aber auch, den heutigen Parlamentarier ausschließlich als einen nur seinem Gewissen und seinen Wählern verpflichteten Mandatar hinzustellen, der möglichst frei von allen Einflüssen — sei es von Interessenverbänden, sei es von anderen Gruppierungen — agieren soll. Gewiß, der Parlamentarier soll und muß auch heute als letzte Instanz sein Gewissen und nur sein Gewissen haben. Aber es wäre naiv, die faktischen Einflüsse, die auf die Mitglieder der gesetzgebenden Körperschaften einstürmen, zu negieren, „weil nicht sein kann, was nicht sein darf“. Entscheidend wird aber der Parlamentarier in seinen Handlungen von der Partei geprägt, der er angehört und der er auch verpflichtet ist. Was nun aber diese entscheidenden Instanzen, genannt „Parteien“, sind, welche Aufgaben ihnen zukommen, darüber schweigt die österreichische Rechtsordnung. Die Parteien sind, etwas überspitzt formuliert, vom Rechtsstaat ausgeschlossen.

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