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Streit am Tor der Tränen

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Am „Bab el-Mandeb“ („Tor der Tränen“), mehr als tausend Kilometer entfernt vom Kriegsschauplatz Palästina, entspann sich soeben ein weiterer vorderorientalischer Konflikt. Saudi-arabische und südjemenitische Infanterie, Panzereinheiten und Kampfflugzeuge lieferten sich in einem entlegenen Wüstenareal an der nicht genau festgelegten Grenze zwischen beiden Ländern blutige Gefechte. Sie arteten inzwischen aus in einen regelrechten Bewegungskrieg.

Glaubt man der Kairoer Staatszeitung „El-Achram“ („Die Pyramiden“), ginge es bei der Auseinandersetzung um möglicherweise große Erdölvorkommen. Tatsächlich erhielt die „Aramco“ 1956 eine Schürfkonzession der Regierung in Er-Riad. Die Bohrungen wurden jedoch schon ein Jahr später abgebrochen, ehe festgestellt werden konnte, ob sie fündig werden würden. Großbritannien hatte ein Beduinenkorps entsandt, um den nach seiner Auffassung nicht eindeutig zu Saudi-Arabien gehörenden Gebietsstreifen für die „Südarabische Föderation“ zu reklamieren. Konig Saud I. unterließ wirksame Proteste, Südjemen betrachtet das Areal folglich als sein Hoheitsgebiet. Nach 1957 vergaben die Kolonialbehörden an britische Interessentengruppen ihrerseits Bohrrechte. Die Suche wurde jedoch gleichfalls aufgegeben, diesmal wegen zu geringer Erfolgsaussichten.

Den Staatsbankrott vor Augen, schloß die südjemenitische Regierung vor einiger Zeit, trotz der schlechten britischen Erfahrungen, mit der staatlichen algerischen Erdölgesellschaft „Sonatrach“ ein neues Schürfabkommen. Bisher kam es jedoch noch nicht einmal zu Probebohrungen. Saudi-Arabien konzentrierte aber plötzlich in dem knapp 500 Kilometer nördlich von Aden gelegenen Gebiet Truppen. Neutrale Beobachter zweifeln daran, daß Er-Riad der Angreifer ist. Dabei geht es König Feisal um weitaus mehr als die denkbar unsichere Aussicht auf neue Erdölvorkommen

an der Südgrenze seines in dem schwarzen Gold schwimmenden Reiches oder um den Gebietsanspruch auf einen ansonsten ziemlich wertlosen Wüstenstreifen.

Saudi-Arabien betrachtet die revolutionär-sozialistisch regierte Volksrepublik vor seinen Toren als latente Gefahr für seine Vormachtstellung auf der Arabischen Halbinsel und für sein eigenes gesellschaftliches und politisches System. \den unterstützt seit zwei Jahren nicht nur die revolutionären Bewegungen im benachbarten Emirat Muskat und Oman und in den 1971 unabhängig werdenden Scheich-

tümern am Persischen Golf, sondern auch die innersaudische Opposition gegen die Monarchie. Vor allem jungen Offizieren und ölarbeitern der „Aramco“ ist das von König Feisal angeschlagene Reformtempo zu langsam.

In Er-Riad weiß man, daß eine revolutionäre Entwicklung in dem Kleinstaatengürtel zwischen Aden im Süden und den Golfscheich-tümern im Norden das Kernland der Halbinsel isolieren und die revolutionären Umtriebe gegen seine Monarchie erheblich verstärken würde. Dies ist zweifellos das wichtigste außenpolitische und ideologische Ziel der roten Herren am „Tor der Tränen“. An seiner Verwirklichung hinderte sie gegenwärtig nur wirtschaftliche Armut und militärische Schwäche. Fänden sie auf ihrem Boden öl, wären sie aller Sorgen ledig.

Saudi-Arabien möchte das natürlich verhindern. Deshalb beansprucht es ein Gebiet, dessen ölfündigkeit sehr bezweifelt wird. Deshalb riskiert es einen Grenzkonflikt, der es vor allen Mitgliedstaaten der Arabischen Liga ins Unrecht setzt. Ägypten, das fürchten muß, Er-Riad streiche im Fall einer Verurteilung durch die Ligamehrheit die Subventionen für Abdel Nasser, unternimmt fieberhafte Vermittlungsversuche. Der Revolutionär vom Nil unterstützt den Feudalisten von Mekka gegen die Revolutionäre am „Bab el-Mandeb“.

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