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Zur „Eskalation“ ermutigt

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General Ghaletos Nachrichtenhändler bestärkten noch bis vor knapp vierzehn Tagen diese Illusionen. Erst die scheinbar plötzliche Mobilisierung sechs arabischer Armeen zerstörte sie und rückte die geheimen Abmachungen zwischen dem ägyptischen Präsidenten und dem sowjetischen Außenminister in ein anderes Licht. Dämpfte Gromyko seinen Verhandlungspartner vielleicht gar nicht, sondern ermutigte er ihn zur „Eskalation“, in der Hoffnung, die dadurch hervorgerufene explosive Lage begünstige erfolgreiche sowjetische Vermittlungsbemühungen? Mit anderen Worten: ein vorderorientalisches Taschkent?

Arabische Diplomaten signalisierten schon frühzeitig die Krise. Vor weniger als einem Monat lief durch eine europäische Hauptstadt das Gerücht, noch in diesem Jahr gebe es einen neuen Krieg zwischen den Arabern und Israel. Sein Urheber war ein höherer Kairoer Liga-Beamter. Man hielt seine Behauptung für eine arabische Übertreibung. Inzwischen weiß man, was er meinte. Dennoch gibt es sehr wahrscheinlich keinen neuen Waffengang.

Wahre Absicht des Aufmarsches scheint eher zu sein, die Guerillataktik der palästinensischen Untergrundorganisationen so abzusichern, daß israelisohe Vergeltungsmaßnahmen nur noch um den Preis direkter Konfrontation mit den regulären gegnerischen Streitkräften gewagt werden können. Das wäre ein Risiko, das die schwache Regierung Eschkol kaum eingehen dürfte. Vielleicht ist das arabische Spektakulum ohnehin nur ein Ablenkungsmanöver, und der ägyptische Diktator hat ehrgeizigere Pläne. Darüber rätseln gegenwärtig Kenner der Verhältnisse. Richtet sich die Mobilmachung nur scheinbar gegen Israel, und in Wirklichkeit etwa gegen Aden, winkt Abdel Nasser vielleicht ein spektakulärer Erfolg. Die britischen Truppen in Südarabien sind kaum stark und kampfwillig genug, sich lange gegen einen konzentrierten ägyptischen Ansturm zu behaupten.

Man mag sich fragen, wozu Ägypten dieses kräftezehrende Abenteuer wagen sollte? Der Gegner wäre immerhin eine westliche Großmacht. Sie ist entschlossen, ihren letzten nahöstlichen Stützpunkt demnächst ohnehin preiszugeben. Doch in ägyptischen Augen ist es ein grundlegender Unterschied, ob das freiwillig geschieht oder unter militärischem Druck. Die ehemalige Kolonialmacht England weckt im ganzen Nahen Osten immer noch wilde Emotionen. Ein direkter militärischer Sieg über sie müßte das bodenlos abgerutschte panarabische Prestige Abdel Nassers zwangsläufig wiederherstellen. Besäße Ägypten erst die britische Kronkolonie, könnte es leicht den Akaba-golf abriegeln und die lebenswichtige südliche israelische Schiffahrtsroute lahmlegen. Es könnte das Ziel, Israel entscheidend zu treffen, also ohne direkte Konfrontation mit dem gefürchteten Gegner erreichen.

Mit Israel aber hat die Sowjetunion vermutlich noch andere Pläne: Es ist der einzige mit Sicherheit dauerhaft westlich gesinnte nahöit-liche Staat. Doch schon kurz nach der sowjetischen Vermittlung im indisch-pakistanischen Konflikt erhob zuerst der israelisohe Außenminister Abba Eban den Ruf nach einem „vorderorientalischen Taschkent“. In Moskau nahm man sich ihn anscheinend zu Herzen. Gelänge der Sowjetunion, was die Westmächte seit zwei Jahrzehnten halbherzig vergeblich versuchten — eine erfolgreiche arabisch-israelische Vermittlung —, würde Moskau den Westen endgültig als einzige nah-östliche Großmacht ablösen, und Israels Beziehungen zum Westen würden abhängig vom sowjetischen Veto. Israel würde ein nahöstliches Finnland.

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