Radikale und Naive - Die Kapitol-Stürmer vom 6. Jänner 2021 waren eine sehr gemischte Truppe: paramilitärisch organisierte Radikale, genauso wie naiv Hineingeratene, die sich mitreißen ließen. Zumindest für die zweite Gruppe rechnet Johannes Thimm damit, dass die harten Strafen in Zukunft eine abschreckende Wirkung zeigen. - © Getty Images / Samuel Corum

US-Experte Johannes Thimm: „Die linken Medien lügen nicht so schamlos“

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Die US-Justiz verhängte harte Strafen gegen die Kapitol-Stürmer, während rechte Verschwörungstheorien den Angriff verharmlosen. Indes steigt die Gefahr, dass auch die Demokraten auf einen knappen Wahlausgang 2024 mit Gewalt reagieren, meint der deutsche US-Experte Johannes Thimm.

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Die US-Justiz verhängte harte Strafen gegen die Kapitol-Stürmer, während rechte Verschwörungstheorien den Angriff verharmlosen. Indes steigt die Gefahr, dass auch die Demokraten auf einen knappen Wahlausgang 2024 mit Gewalt reagieren, meint der deutsche US-Experte Johannes Thimm.

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Dass US-Präsident Joe Biden keinen anderen demokratischen Präsidentschaftskandidaten zulässt, nennt Johannes Thimm einen Fehler. Bei einer Wiederwahl Trumps hält der deutsche Experte für US-Politik ein „Schreckensszenario“ für möglich.

DIE FURCHE: Herr Thimm, der genau drei Jahre zurückliegende Sturm aufs Kapitol in Washington hat zu hunderten Verurteilungen mit teils hohen Strafen gegen die Rädelsführer geführt. Genügt das, um künftig ähnliche Eskalationen zu verhindern?

Johannes Thimm: Das Bild der Beteiligten am 6. Januar 2021 war sehr gemischt. Das reichte von paramilitärischen Radikalen bis zu naiv Hineingeratenen, die sich mitreißen ließen. Eine Bandbreite gab es auch bei den fake electors, den illegitimen Wahlleuten, die Donald Trump unterstützten. Die US-Justiz hat sich unnachgiebig gezeigt – und ich meine, die gravierenden juristischen Konsequenzen entfalten eine abschreckende Wirkung. Dass sich in einer ähnlichen Situation wieder viele Menschen beteiligen, ohne zu wissen, was sie tun, halte ich für nicht mehr möglich.

DIE FURCHE: Das wäre eine gute Nachricht, denn ein knapper Wahlausgang scheint auch bei der kommenden US-Präsidentenwahl wahrscheinlich.

Thimm: Was mir Sorge macht, ist, wenn der Wahlausgang beim nächsten Mal so knapp wird, dass man diesen legitimerweise anfechten kann. Ich denke an eine Wiederholung des Szenarios vom Jahr 2000 bei der Wahl zwischen George W. Bush und Al Gore. Da ist es in Florida um einige Hundert Stimmen gegangen. Am Ende hat der Oberste Gerichtshof eine zweifelhafte Entscheidung getroffen und Bush zum Wahlsieger gemacht. Das ging damals nur deshalb so glatt über die Bühne, weil Gore diese Gerichtsentscheidung trotz großer Zweifel am Richterspruch zum Wohl der Demokratie akzeptiert hat.

DIE FURCHE: Das wäre heute anders?

Thimm: Ja – und ich denke, auf beiden Seiten. Sollte Trump wiedergewählt werden, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass das wieder mit einer Minderheit der absoluten Stimmen geschieht; dass er also die Mehrheit der Wahlleute gewinnt, ohne dass die Mehrheit der Bevölkerung für ihn gestimmt hätte. Ich bin mir nicht sicher, ob die demokratische Wählerschaft eine solche Konstellation ohne weiteres schlucken würde und es nicht eher zu Unruhen käme.

DIE FURCHE: Gibt es auf demokratischer Seite einen ähnlich radikalen Flügel, wie wir ihn von den Trump-Anhängern kennen?

Thimm: Nicht im gleichen Maße: Die radikalen und stark bewaffneten Milizen sind auf der rechten Seite viel stärker verbreitet. Gewaltbereite radikale Linke hat man zwar vereinzelt bei den „Black Lives Matter“-Protesten gesehen. Doch es ist ein Trend, dass sich die Amerikaner quer durch alle politischen Richtungen und auch die Minderheiten vermehrt bewaffnen. Da beobachte ich auch eine Veränderung auf der linken Seite. Die möchte ich nicht mit den militärartigen Übungen und Waffenarsenalen der radikalen Rechten gleichsetzen, aber das Potenzial für Unruhen, die von links ausgehen, wächst. Der große Unterschied ist: Die linke Seite ist eher faktenbasiert, Verschwörungstheorien grassieren viel stärker unter den Rechten.

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