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Von der Ersten zur Zweiten Republik

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So ist die Frage unserer Staats-bejahung, unseres Staatsbewußtseins, unseres Patriotismus, aber auch die vermeintliche oder wirkliche Mission Österreichs im Donauraum und damit letztlich das innere Wesen unserer Neutralität, also die Perspektive der Betrachtung, sowohl der westeuropäischen Integration wie auch einer echten Ostpolitik, eindeutig eine Frage des inneren Verhältnisses der Österreicher zu diesem Staate und damit gleichzeitig auch eine Frage des Ausmaßes der Bewältigung unserer großösterreichischen oder nationalsozialistischen Geschichtsepochen. Hingegen die Kritik an den Parteien, am Parlament — sie gehört in den Bereich des Verhaltens des Staatsbürgers zum parlamentarischen Parteienstaat. Die Antwort auf diese beiden Problemkreise kann nur aus einem Vergleich des ideologischen Standortes der Österreicher in der Ersten und der Zweiten Republik gewonnen werden.

In der Ersten Republik fehlten Staatsbejahung und Staatsbewußtsein deshalb, weil das Staatsgebiet nicht mit dem der Monarchie identisch war. Der tiefe Gegensatz zwischen der staatlichen Realität Neuösterreichs und dem nach wie vor wirksamen Großraumdenken dei Bürger dieses Kleinstaates „wider Willen“ mußte zwangsläufig innenpolitisch brisante Folgen haben. Die Republiken Frankreich und Italien waren und sind eben als Staaten ident mit den vorangegangener Königreichen Frankreich und Italien, während die Republik Österreich als Staat nicht ident war mi der Monarchie Österreich. Noch bis vor wenigen Tagen spielte dieses Geburtsproblem unseres Staates wenn auch entschärft, entgiftet, s< doch noch eine aktuelle Rolle ir unserer Innenpolitik, nämlich be der Diskussion um das Datum de Staatsfeiertages.

Lassen Sie mich nun einen fas zinierenden Gedanken aussprechen Die Geschichtsbilder der Vergangen heit sind zwar tot, mögen sie nui unter einem schwarzgelben, einem schwarzrotgoldenen, einem schwarz-weißroten oder dem Hakenkreuz — Vorzeichen gestanden sein. Das Großraumdenken des Österreichers aber ist nicht tot, es hat sich lediglich strukturell gewandelt. Der Österreicher sieht heute im Großraum nicht mehr ein staatsrechtliches Gebilde, sondern eine ideelle Größe. Und damit bewältigt er alle Spielarten unserer Vergangenheit, einschließlich großdeutscher Sehnsüchte; so werden der Staat Österreich, aber auch die Staatsform der Republik in seinem Bewußtsein unproblematisch, zur bejahten Realität und wird gleichzeitig — ein Phänomen! — dieser Staat in seinem Denken auch Träger einer überstaatlichen Funktion auf der West-Ost-Waage im Donauraum. Deshalb sagt man in Festreden so gerne, Österreich sei mehr als ein Staatsgebiet, es sei eine Idee! Aber was beinhaltet diese Idee, ist sie nicht ein überflüssiger, ja gefährlicher Ballast?

Die Drehscheibe

Wieder stelle ich eine Nichtiden-tität fest, nämlich die Nichtidentität dieser so interpretierten Staatsidee mit den Staatsideen anderer Staaten. Im Geschichtsbewußtsein etwa Schwedens oder der Schweiz, alsc zweier ebenfalls neutraler Staaten, befindet sich keine Vorstellung einer besonderen Mission, also einer über das Staatsgebiet hinausreichender Staatsidee. Wenn die oft gehörte Feststellung, daß Europa mehr se: wie der Westen, es vom Atlantik bis zum Ural reiche und daß in diesen; europäischen Gesamtraum Österreich — was geschichtlich und geographisch richtig ist — im Zentrurr liegt, so darf deshalb die politische Tatsache nicht vergessen werden daß durch diesen Zentralraum di&#171; ideologische und machtpolitische West-Ost-Grenze verläuft.

Österreichs Ostpolitik kann dahei nur, wenn sie nicht lediglich Redensart sein soll, in ihrem komplexer Zusammenhang mit der westeuropäischen Integration gesehen werden. Nur ein politisch unabhängiges Österreich kann echte Ostpolitik betreiben, denn nur aus der Selbständigkeit ergibt sich die Möglichkeit der Ausübung einer internationalen Funktion, die allerdings niemals illusionär die eines Gernegroß sein darf, der auf die wirtschaftliche Verflechtung mit und die politische Rückendeckung durch den freien Westen vergißt. Deshalb ist die österreichische Neutralität nicht lediglich ein Produkt der Staatsräson, um den Staatsvertrag zu erlangen, nichts Aufoktroyiertes, sondern etwas, das im sinnvollen Zusammenhang mit der österreichischen Idee zu sehen ist. Österreichs Außenpolitik hat realpolitisch ihren Spielraum im Koexistenzwillen des Westens und des Ostens; innerhalb dieses aber eine reichhaltige Palette von Möglichkeiten zu seiner Aufrechterhaltung, Ausweitung und Vertiefung. Österreich kann deshalb tatsächlich zu einer Art Drehscheibe im zentraleuropäischen Raum werden und somit in bester altösterreichischer Tradition einen echten Friedensbeitrag leisten. Beide Weltmächte wollen ein krisenfreies Österreich, einen krisenfreien Raum und hier liegen die Chancen und die Aufgabe Österreichs. Das Großraumdenken der Österreicher, noch in der Ersten Republik das Denker eines verarmten Aschenbrödels, ha1 in der Zweiten Republik seine Vergangenheit bewältigt, indem es diesen ursprünglich verneinten Staa' bejaht und für ihn gleichzeitig eine neue Aufgabe, gleichsam eine moderne Variante der großösterreichischen Vergangenheit, gefunder hat

Staatsbürger und Parlament

Nun einige Worte zum Problemkreis Staatsbürger und parlamen tarischer Parteienstaat. Die Frag lautet klipp und klar, ob die sogenannte Malaise, von der mai spricht, die Kritik, die an manch&#171; Erscheinungen unseres politische! Lebens geübt wird, sekundäre Ober flächenerscheinung und somit heil bar oder ob sie strukturbeding ist. An und für sich ist es doch ei mysteriöses Phänomen, daß siel auch in unserer pluralistischen Ge Seilschaft, der doch im politische] Bereich die parlamentarische Regie rungsform wie keine andere wesen haft entspricht, Malaise und Kritil zeigen. Ich will, die Antwort vor wegnehmend, sagen, daß die Kritil an der Zweiten Republik nicht s wie in der Ersten Republik struktur bedingt ist. Denn der Pluralismus dieser zwar viel zitierte, jedoci wenig definierte Zustand, ist kei: Zufall, sondern die Folge eine geistigen Entwicklung in der abend ländischen Gesellschaft; er bezeich net eine Phase der Toleranz, di mehr ist als ein Zustand der Erschöpfung nach dem Wüten dei Totalitarismen.

Die Wandlung der Parteien

Das Stigma unserer Zeit, al&#187; unserer sogenannten pluralistische! Gesellschaft, liegt im allmählicher Entstehen eines neuen Gemein Schaftsbewußtseins, wodurch auto matisch die politischen Parteiei den totalitären Ausschließlichkeits anspruch verlieren. Sie verwandeil sich zwangsläufig in echte „partes' also Teile eines gesellschaftliche! Gesamtbewußtseins. Ich sehe darii den kardinalen Unterschied zwi sehen der Ersten und Zweiten Repu blik und ziehe daraus den be ruhigenden Schluß, daß die heutig Malaise und Kritik nicht struktur bedingt sind. Für den tagespoliti sehen Bereich ist dieses Phänome: die unbewußte, letzte Ursache de ständigen Programmdiskussionen in den politischen Parteien, die seit 1945 am laufenden Band beobachtet werden können. In allen drei historisch überlieferten politischen Weltanschauungsgruppen — dem Sozialismus, dem Liberalismus und der christlichen Demokratie — wird ständig diskutiert, vollzieht sich ein Wandel in der Bewertung der ursprünglichen Vorbilder, eine Anpassung an die modernen Gegebenheiten. Deshalb spricht man heute irrtümlich von einer sogenannten „Entideologisierung“ der Programme, ein Prozeß, den ich lieber als eine „Umideologisierung“ bezeichnen möchte. Die Parteien verzichten nämlich lediglich auf ihren Totalitätsanspruch, nicht aber auf die Gültigkeit gewisser Prinzipien, die sich aus ihren gesellschaftspolitischen Auffassungen ergeben. Der Pluralismus ist ein Gesellschaftszustand, in dem die politischen Weltanschauungen gleichberechtigt, jedoch verschieden und anderswer-tig sind. Aus der Gleichberechtigung ergeben sich die Spielregeln der Toleranz, aus der für sich in Anspruch genommenen Höherwertigkeit nach wie vor die Konkurrenz.

In ihren geistigen Hintergründen gehören Erste und Zweite Republik zwei verschiedenen Epochen der abendländischen Kultur an. Eine tiefe Zäsur trennt die Epoche des Individualismus von der Epoche einer neuen Bindung, die der Tota-litarismus mit Gewalt versuchte und die uns im Pluralismus im Geist der Toleranz als Aufeabe Bestellt ist.

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