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Die Rettung des Abendlandes

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Inmitten der materiellen und tiefen geistigen Not unserer Gegenwart wird die Entscheidung über Sein oder Nichtsein der abendländischen Kultur fallen. Univ.-Prof. D. W. Sas-Zalosiecky deckte in seinem in der Katholischen Akademie gehaltenen, weite Perspektiven eröffnenden Vortrag: „Der christliche Humanismus und seine universale Bedeutung“, die Wurzeln jener für die abendländische Geistesgeschichte so verhängnisvollen Entwicklung auf, die ihren Ursprung in der Abwendung von den geistigen Grundlagen des christlichen Humanismus hat und im geistigen Chaos der Gegenwart, in der akuten Krise des Abendlandes gipfelt. Der Vortragende sieht in einer von tiefem Verantwortungsglauben erfüllten Menschenerziehung die brennendste Frage der Gegenwart, von der die Zukunft nicht nur unseres Landes, sondern des ganzen europäischen Kontinents abhängen wird.

Immer wieder tauchen in Zeiten katastrophaler Umwälzungen am Horizont der abendländischen Geschichte zwei Zeugen ihrer großen Vergangenheit auf: das Christentum als religiöse Idee und geistige Macht und die Antike als gestaltender Kulturfaktor; diese Rückbesinnung entspricht nicht einer Laune der Geschichte, sondern einer historischen Notwendigkeit, die zu der Frage zwingt, welche Rolle diesen Grundfundamenten der abendländischen Kulturgeschichte in der geistigen Verwirrung unserer Gegenwart zukommt. Die folgenschwerste Veränderung im geistigen Leben des Abendlandes ging von der unheilvollen Abwendung vom geistig gebundenen universalen mittelalterlichen Weltbilde aus. Mit dem heidnischen Humanismus der Renaissance vollzog sich eine Spal-, tung der Synthese von Mensch, Natur, Welt und Gottesidee. An die Stelle des mittelalterlichen theozentri-schen Universalismus, mit seinem hochscholastischen Ordogedanken und der hierarchischen Abstufung, rückte allmählich das auf autonomen Vernunftgrundlagen und unabhängigem Willen ruhende antikhumanistische Menschheitsideai, und in dieser sogenannten Befreiung des Individuums liegt die seit dem Ausgang der Antike bedeutendste geistige Revolution der abendländischen Geschichte, die in ihrer äußersten Konsequenz nicht nur die Gottesidee durch ein anthropozentrisches Weltbild ersetzte, sondern auch die gesellschaftlichpolitische Struktur der europäischen Völker von Grund aus wandelte. Diese Umwälzung zeitigte große Entdeckungen und das Antlitz der Erde umformende technische Fortschritte, aber dieser Prozeß gipfelt heilte in einer geistigen Anarchie und einem seelischen Nihilismus, und seine selbstvernichtenden materiellen Tendenzen wirken wie ein Hohn auf die Selbstherrlichkeit und den Triumph eines technischen Zeitalters.. In der Abwendung vor, den metaphysischen Bindungen der mittelalterlichen Weltanschauung befreit sich der Mensch von allen moralischen und ethischen christlichen Grundsätzen und erhebt sich selbst zum Mittelpunkt der Schöpfung. Von der Schwelle der Neuzeit über die Französische Revolution führt ein direkter Weg zu den geistigen Erscheinungen unserer Zeit: Der anthropozentrische Geist mit seinem optimistischen Glauben an die Fortschritte der Menschheit und an die Lösbarkeit aller Probleme aliein durch die autonome menschliche Vernunft führte zum Zusammenbruch, und statt der Klarheit stehen wir heute vor einem dunklen Chaos. Es mutet wie eine tragische Ironie an, wenn ein Zeitalter, das einem entfesselten Dämonismus im Menschen freisten Lauf läßt, das ganze Mittelalter als „dunkles Jahrhundert“ bezeichnen möchte. Der stolze Freiheitsbegriff des Humanismus hat sich also gegen die Freiheit des Menschen selbst gerichtet und die seinen Händen entglittene Technik triumphiert heut, über seine weit zurückgebliebene Ethik; die seit der Renaissance immer mehr von seinem Schöpfer abgogenen und auf ausschließlich die äußere Welt beherrschenden wissenschaftlichen und technischen Mittel konzentrierten Kräfte des Menschen führten nicht zu seiher Freiheit, sondern zu seiner innerlichen Kapitulation und drohen auch seine edlen Werke zu vernichten. Die jüngste Vergangenheit, mit ihrer Verabsolutierung der Nation und des Staates, brachte die gänzliche Beherrschung des freien Invidu-ums und war der Endpunkt des Kapitulierens vor dem Begriff des Menschentums und der Menschlichkeit; die engen Beziehungen zwischen Machiavellismus, einem vulgarisierten Nietzscheanismus und Nationalsozialismus lassen sich leicht aufdecken.

Diese geschichtliche Analyse kann in der gegenwärtigen Situation helfen, nach dem Zusammenbruch des individualistischen Weltbildes einen neuen geistigen Ausgangspunkt zu finden zu einer besseren Weltordnung auf den Grundlagen des christlichen Humanismus, an deren Wiedererrichtung aktiv mitzuwirken wir verpflichtet sind; das schließt . aber keineswegs die Wiederaufnahme antiken Erbgutes aus, das außer dem heidnischen Individualismus auch einen ewiggültigen Humanismus aufweist, aber dieser Neuhümanismus muß von dem höheren christlichen Humanitätsprinzip überbrückt und gekrönt werden. Aus den unvermeidlichen Spannungen des Abendlandes ist gerade in Krisenzeitaltern stets eine Synthese von antikem und christlichem Humanismus hervorgegangen.

Dem Geiste des christlichen Humanismus verdankt das Abendland die mannigfaltige Differenzierung und die jeder Nivellierung und Gleichmacherei entgegenwirkende Ausbildung der menschlichen Persönlichkeit, in welcher der Hauptunterschied zu dem verschwommenen unprofilierten, sich ins All verströmenden orientalisch-asiatischen Menschentypus liegt. Daß aber das Abendland trotz dieses unendlichen Differenzierungsprozesses nicht auseinänder-fiel, beruht auf dem großen Prinzip seines Universalismus. Sooft sich Europa von ihm abwendet, begibt es sich an die Grenzen seiner Existenz und die Entfernung von den christlichen Grundlagen der' abendländischen Kulturentwicklung führt zugleich mit seinem nationalen Individunli-sierungsprinzip zum-Zusammenbruch des abendländischen Universalismus. Diesen aber als eine positive fruchtbare Idee höherer und organischer Ordnung wieder zu erneuern, steht als zukunftweisende Aufgabe vor uns.

Durch die positive Idee des christlichen Humanismus kann die Zerrissenheit der abendländischen Kultur überwunden werden, wenn sie von einem im Metaphysischen verankerten Jenseitsglauben getragen wird und nicht nur von wissenschaftlichen Erkenntnissen allein, denn die Religion bildet das Aroma, welches die Wissenschaft vor der Zersetzung rettet, wie ein englischer Naturforscher richtig behauptete. In der Umkehr vom welthch-paganen Humanismus und seinem entfesselten Dämonismus zu einem christlichen Humanismus, der dem Menschen eine ihm angemessene Stellung zwischen der Schöpfung und seinem Schöpfer sichert, liegt das Geheimnis unserer Zukunft. E. P.

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