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Der einsame Mensch

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VON DER EINSAMKEIT DES MENSCHEN IN DER MODERNEN AMERIKANISCHEN GESELLSCHAFT. Von Dieter Oberndorfer. Verlag Rombach, Freibure im Breiseau. 222 Seiten.

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VON DER EINSAMKEIT DES MENSCHEN IN DER MODERNEN AMERIKANISCHEN GESELLSCHAFT. Von Dieter Oberndorfer. Verlag Rombach, Freibure im Breiseau. 222 Seiten.

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Eine kultursoziologische Analyse, welche an die großen Vorbilder heranreicht. Tiefe Einsichten in die Wirklichkeit des Gesellschaftlichen werden mit einer profunden Kenntnis der bestimmenden geistigen Erscheinungen verbunden. Das Darstellungs- objekt ist die amerikanische Gesellschaft; sie ist dem Verfasser in der Gegenwart die Gesellschaft schlechthin", hat sie doch den glatten und abgeschliffenen Menschen hervorgebracht, den Meister der Anpassung, der als Typ eines dem Kollektiv spontan verfallenen Menschen angesehen werden muß, jenen Menschen ohne Halt, der die Bindung an das Religiöse weithin aufgegeben hat. Ohne Glaubenskraft verliert sich der Mensch an die Gesellschaft, auch wenn er glaubt, sich in der Psychologie oder in der Soziologie einen dürftigen Religionsersatz beschafft zu haben.

Im Rahmen seiner Untersuchungen geht der Verfasser keineswegs, weil Soziologe, voraussetzungslos an seine Arbeit. Eine Wertefreiheit in der soziologischen Analyse scheint dem Autor ein Ding der Unmöglichkeit. Wo aber eine solche Voraussetzungslosigkeit behauptet wird, dient sie ohnedies nur dazu, den eigenen Wertprämissen den Schein einer strengeren Wissenschaftlichkeit zu verschaffen. Nach Ansicht des Verfassers muß man soziologische und geisteswissenschaftliche Phänomene zusammen sehen und klassifizieren.

In seinem Befund der US-amerikanischen Gesellschaft stellt der Autor fest, daß es drei Faktoren sind, welche das Wesen der industriellen Gesellschaft bilden (und auf diese Weise auch das Bild der in ihr befindlichen Menschen): die Mobilität der Massen in horizontaler wie in vertikaler Richtung, der nun besondere Charakter der Arbeit sowie die an ihre Ergebnisse wie an ihre Ausmaße gebundene Freizeit.

Die Menschen in der vom Autor analysierten Gesellschaft haben nur noch quantitative Kontakte, sie berühren sich, kommen aber zu keiner Bindung. Der Mensch ist nun ohne Eigenstand, aber auch ohne Chance auf einen gesellschaftlichen Stand. Das nun einmal natürliche Rangstreben findet seine Befriedigung in den unterschiedlichen Vereinigungen, die an die Stelle der Hierarchien der Ortsgemeinden treten. Mit dem Schwund der Sozialstruktut kommt es zu einer Sinnkrise in der westlichen Welt. Am Beginn’’dieser Sinnkrise steht die Frage nach Gott. Das Göttliche wird in der Welt des Westens entthront. Die Sinnkrise führt weiter zur Vereinsamung des Menschen, der nun völlig beziehungslos ist. Um der Einsamkeit zu entgehen, wird der Mensch zum Konformisten, ein Techniker aller möglichen Formen von Geselligkeit. Die Mitmenschen sind da, um zu nützen und um benützt zu werden, Gegenstand einer eigensüchtigen Manipulation. Die Mittel der Geselligkeit werden zum Selbstzweck. Die Liebe ist durch Sexualität ersetzt, der Pansexualismus pervertiert das geistige Leben und bildet den Index einer Flucht des Menschen aus der Einsamkeit. Das Sexuelle wird zum Kon summittel im konformistischen Wett bewerb.

Wo Religiosität als kirchlich praktizier wird, ist es weithin so, daß auch di religiöse Betätigung zu einer Art von Kon sum geworden ist. Man geht, nach Mei nung des Verfassers, so regelmäßig zu Beichte, wie man ins Bad geht.

Alles gesellschaftliche Verhalten, sowei es auf den einzelnen bezogen ist, wird au die Bildung von „Persönlichkeit“ fixiert Dabei entsteht der Typ des „Verkäufers“ des Sichverkäufers, eines Menschen, de sich bis zum Lächeln, zur Haarmode un zum Witz ständig an die Umgebung an paßt und anpassen muß. will er einen Ran in seinem Beruf gewinnen oder halten. Di Soziologie, die sich eitel als voraus setzungslos ausgibt, versagt und flieh schließlich in einen krankhaften Optimis mus und lagert sich in weiter Distanz vo der Realität. Das Ende ist ein relbstkon struiertes Kollektiv.

Alles im Leben wird mit Psycholog! oder mit den Maßstäben der Biologie ge messen. So entsteht die Groteske eine

Heiratswissenschaft, die bereits zum Rang eines ordentlichen Lehrgegenstandes an den Hochschulen erhoben wurde, es kommt zur Sexologie, in welcher die Liebe wie das Leben überhaupt versachlicht wird. Was die anderen tun (Kinsey-Report), ist, weil es viele tun, gut und wird zur Norm erhoben. Der Statistik wird ein moralisches Gewicht verliehen.

Wohl regen sich die Gegenkräfte. In einer gewissen, wohl in der Herkunft des Autors begründeten Voreingenommenheit sieht er die Gegenkräfte, sieht sie aber nur durch zwei evangelische Theologen repräsentiert (Niebuhr und Tillich), während die Kräfte des Katholizismus geflissentlich übersehen werden.

Das Buch ist eine hervorragende Analyse, auch sprachlich, ein Buch, über das die Kultursoziologie nicht mehr hinwegsehen kann. Bemerkenswert ist der Versuch, die Soziologie in ihren Aussagen mit einem hohen Ethos zu verbinden und dennoch nichts von der hohen Wissenschaftlichkeit der Darstellung abzustreichen.

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