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Die Thesen hör ich wohl...

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In den „Bamberger Thesen“, die „Die Furche“ (Nr. 29/1965) zur Diskussion stellt, erhebt Bundesminister s. D. Dr. Heinrich Drimmel seine „Stimme von rechts her“, die „fraktionelle Stimme eines katholischen Politikers“ — wie er schreitot.

Klarerweise sucht er als „katholischer Politiker“ vor allem das Ohr des katholischen Wählers zu erreichen, um diesen von seinen „Bamberger Thesen“ zu überzeugen, denn „Bamberger Thesen“ sind im gegenständlichen Fall eben genausogut Wiener, Grazer oder Linzer Thesen, wenn auch vielleicht mit etwas anders gesetzten Akzenten. So erscheint es wohl nicht so ganz unangebracht, wenn ein österreichischer katholischer Wähler seine sehr persönlichen Überlegungen hiezu anstellt. Er kann dabei nicht umhin, das Mosaik von Dr. Drimmels politisch-gesellschaftlichen Kaleidoskopbild etwas zu stören.

Es mag vielleicht überraschen: Der „katholische Wähler“ stolpert gleich eingangs über den Terminus „katholischer Politiker“. Wenn nämlich Dr. Drimmel Richard Hey sarkastisch zitiert: „Was ist denn eine .wirklich christliche Regierung'?“, so hat diese Fragestellung 1965 doch durchaus eine gewisse Berechtigung. Man fragt sich: Was ist ein katholischer Politiker? Ist die Politik, die irgendein beliebiger Vertreter aus der Reihe der „katholischen Politiker“ betreibt, sozusagen selbstverständlich schon eine „christliche Politik“? Ist der Politiker, der vorgibt, christliche Politik zu betreiben, von vornherein auf den Kreis der sogenannten katholischen Politiker beschränkt?

Der Kritiker befindet sich seit rund zwei Jahrzehnten auf der Suche nach „christlichen Politikern“. Liegt es ausschließlich am Suchenden, daß er bekennen muß, daß er bis heute nur wenige Exemplare dieser Kategorie gefunden zu haben glaubt? Er muß hinzufügen, daß er bis zum heutigen Tag auch die „christliche Partei“ — wie er sich persönlich eine solche vorstellt — weder diesseits noch jenseits der österreichischen Grenzen zu entdecken vermochte.

Das gestörte Image

Natürlich empfiehlt der katholische Politiker gängiger Art die Österreichische Volkspartei als die christliche Partei. Und er tut dies durchaus mit gutem Gewissen, steht doch zum Beispiel schon im ersten Satz des sogenannten „Klagenfurter Manifestes“ das programmatische Bekenntnis zur christlichen Weltanschauung. Die Partei weist sich ausdrücklich als „christliche Partei“ aus. Nun, gut! Doch leider wirkt der folgende Satz der programmatischen Erklärung auf den Leser wie ein Fausthieb und stört das von den Verfassern angestrebte Image arg, nämlich wenn es da heißt: „Das christliehe Menschen- und Gesellschaftsbild ist unsere Antwort auf den demokratischen und totalitären Sozialismus dessen EncHösungen nicht nur materialistisch, sondern gottlos sind...“ Da werden Mauern aufgelichtet, die für ewige Zeiten unüber-sfceigbar bleiben sollen. Propagandistische Gemeinplätze, Verdrehtheiten %md Pauschaleinschätzungen stehen doch einer „christlichen Partei“ schlecht zu Gesicht. Oder glauben es die Verfasser des Manifestes tatsächlich, daß die Unterschiede zwischen einem totalitären und demokratischen Sozialismus so unbedeutend sind, daß man beide unbekümmert in einen Topf werfen kann? An christlichen Politikern sollte man doch hinsichtlich deren Fähigkeit zu differenzieren einen etwas strengeren Maßstab anlegen können. Verlangt man wirklich zuviel, wenn man gerade von christlichen Politikern erwartet, sie möchten doch im Geiste christlicher Brüderlichkeit mithelfen, Mauern und Zäune niederzureißen?

Es berührt anderseits eigenartig, wenn jene Partei, die gern betont dagegen zu kämpfen, daß man „den Glauben als Kriterium politischer Entscheidungen aus dem öffentlichen Leben entfernen will“, trotzdem Reverenz vor der anderen Seite macht, nämlich mit der einladenden Geste: „In ihren Reihen (der ÖVP!) haben alle ohne Unterschied der Klasse und Konfession Platz...“. Wählt man die ÖVP, ist das konfessionelle Bekenntnis gar nicht mehr so entscheidend ...!

Diese Zwiespältigkeit wird auch auf anderer Ebene deutlich: Im mitunter unterwürfigen Anbiedern an unbelehrbare („gottgläubige“) „Ehemalige“, die man durch die Art, wie man ihnen begegnet, geradezu ermuntert, ihre Gedankengut neu aufzumöbeln und die unter dem Schutt der Vergangenheit begrabenen Feldzeichen wieder hervorzuholen.

Linker und rechter „Materialismus“

Wie steht es eigentlich mit dem „Materialismus“, den die ÖVP in der Theorie so bekämpft?

Vor Jahresfrist schrieb Johann Schwabl in der „Furche“ (Nr. 10/1964) eine treffende Analyse der österreichischen Volkpartei, mit dem vielsagenden Titel „Wirtschafts- oder Volkspartei?“. Es lag nicht beim Verfasser, daß er zu dem Schluß kam, daß es sich bei der ÖVP der Gegenwart in erster Linie um eine Wirtschaftspartei handelt, die „alles Heil in einer besitz-bürgerlichen Gesellschaftsordnung zu finden“ hofft und welche die Männer am Schaltbrett der Partei primär danach auswählt, wie sie der „Wirtschaft“ dienlich sind. Riecht das nicht stark nach „Materialismus“?

„Die Menschen, die rechts von links stehen“ — so Dr. Drimmel in der „Burschenwacht*“ — „werden niemals so blind und taub sein, um nicht zu erkennen, wie im Sozialismus die Marxisten und die ,Links-katholiken' Schmiere stehen, während sich der Materialismus der Linken wie ein klebriger Schleim über die Gesellschaft von heute ergießt.“ — Aber den Materialismus von rechts gibt es anscheinend gar nicht oder ist er gänzlich ungefährlich? Jedenfalls ergießt er sich von dieser Seite nicht wie „ein klebriger Schleim über die Gesellschaft“.

Haben alle diejenigen unrecht, die den praktisch gelebten Materialismus einer konservativen Gesellschaft für genauso gefährlich halten als die Träumereien gewisser vereinzelter Theoretiker und Ideologen aus den Reihen der demokratischen Linken?

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