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Nüchterne Erkenntnis — klare Worte

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Zweifellos ein weitgespanntes Thema: „Das neue Welt- und Menschenbild der Wissenschaft.” War es in 14 Tagen zu bewältigen? Es wurde keine vollständige Zusammenstellung der neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse nach Art eines Lexikons geboten. Aber darum ging es auch nicht. Es galt vielmehr, die Struktur und Richtung Wissenschaftlichen Denkens von heute klarzulegen. In dieser, nicht der extensiven also, sondern der intensiven Hinsicht, wurden diese Studientage dem gestellten Thema gerecht.

Es mag paradox klingen: Was im Verlauf dieses Kollegs klar vor Augen trat, war weniger „das neue

Welt- und Menschenbild der Wissenschaft” als die Ueberwindung des alten. Das soll nicht negativ oder abwertend gemeint sein. Keineswegs waren diese Hochschulwochen etwa von apologetischem Interesse diktiert. Im Gegenteil. Man braucht nur die Liste der Dozenten durchzugehen, um zu sehen, daß hier nicht die Theologen, sondern die Naturwissenschafter das Wort hatten. Aber gerade in der Tatsache, daß die Naturwissenschaft sich auf Grund ihrer Forschung des alten, materialistischen Weltbildes entledigt hat, liegt das Faszinierende und Hoffnungsvolle der heutigen Situation. Aufjubeln möchte man — dieses. Wort wurde im Zusammenhang mit dem Vortrag Pascual Jordans gebraucht (es mag zur nüchternen Sprache der Wissenschaft nicht recht passen, hier aber war es am Platz) —, als man aus dem Munde des erwähnten Nobelpreisträgers hörte, daß die alte Auffassung lückenloser-Determinierung im’ Näfurgeschehen Wissenschaftlich- überholt -und damit der Kerngehalt materialistischer Naturvorstellung widerlegt ist. Was der Physiker für den Bereich der Materie feststellte, bestätigten die Vertreter der anderen Disziplinen für ihr Fachgebiet. Man denke nur an Professor Frankls kritische Bemerkungen zur Psychoanalyse.

Wenn die Naturwissenschaft heute zur Verneinung materialistisch-mechanistischer Weltauffassung gekommen ist, heißt das freilich nicht, daß sie damit schon auf dem Wege zu Gott sei, daß sie etwas beweise, was als religiöse Wahrheit genommen werden könnte. Das wäre ein Mißverständnis. Zweifellos aber ist durch die neuen Erkenntnisse — um wieder die Worte Jordans zu gebrauchen — jener mächtige Motor ausgeschaltet, der die abendländische Wissenschaft seit den Tagen Demokrits zur Irreligiosität drängte. Die Frage, welche Bedeutung diese neuen Erkenntnisse für unser Denken haben, kann heute noch nicht beantwortet werden. Die gemeinsame Arbeit mehrerer Generationen wird dazu nötig sein. Hier liegt die Aufgabe der Zukunft.

Im Lichte dieser Situation bekommt die Rede von Professor Dr. Kurt von Schuschnigg über „die christlich-europäische Universität” ihre besondere Bedeutung. Von einer solchen Hochschule wird gerade in Verbindung mit Salzburg schon lange gesprochen, fast zu lange. Heute aber scheint diese Forderung erst ihre tiefe und volle Bedeutung zu bekommen. Sind wir denn bereit, die neuen Erkenntnisse der Naturwissenschaft zu verarbeiten? Heute, nachdem die Barrieren beseitigt sind, die Naturwissenschaft und Theologie in feindlicher Abwehrstellung verharren ließen. Ist nicht jetzt der Kairos für eine christlich-abendländische Universität gekommen?

Am Schluß der Hochschulwochen stand der Vortrag Gabriel Marcels über die „existentiellen Urgewißheiten wahren Menschenseins”. Wer sich eine Sensation erwartet hatte wurde enttäuscht: klare und einfache Worte. Worte, die wir brauchen, dje wir alle kennen und doch so leicht vergaßen und vergessen unter dem Druck von Technik und totaler Macht: Daß der Mensch seiner Umwelt verbunden ist, aus der er nicht herausgerissen werden darf durch Willkür. Daß er mit dem anderen, dem Nebenmann, in wesenshafter Verbundenheit steht, und Einsamkeit und Verlassenheit nur Kehrseite dieser existentiellen Gemeinschaft sind. Daß nicht die Angst, das Gefühl der Todesverfallenheit, die wesentliche Urerfahrung des Menschen ist, sondern das „gaudium essendi”. Mit der Freude am Dasein aber verbindet sich die Hoffnung.

Schwer ist es, den Eindruck dieser Tage kurz zusammenzufassen. Vielleicht läßt es sich am besten in zwei Worten tun. Das eine stand am Ende der Ausführungen eines Biologen, einer klaren Aufzählung dir von der Naturwissenschaft -geleisteten: Arbeit; das- andere5sprach Marcel-am Schlüsse ¡seines Vertrages. Sie heißen: „Vidimus gloriam eins” — und — „Imago Dei”. Neues Weltbild — neues Menschenbild? Wir dürfen hoffen.

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