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Verräterische Weihnachten

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Der Weihnachtsmann sei nichts anderes als ein vergrößerter Gartenzwerg - und dieser sei ohnehin als Männlichkeitssymbol längst entlarvt. Falls es noch eines Beweises bedürfe: Eine weibliche Form wird weder als Weihnachtsfrau noch als Gartenzwergin akzeptiert. Wie denn überhaupt dieser ganze Festkreis von unterschwelligen Manneskulten unterwandert ist. Man müßte unseren Chnstbaum mit all seinem Schmuck einmal bei Sigmund Freud auf die Couch legen. Ein gewaltiger Mann steht da im Weihnachtszimmer, mit allen Würden der Macht angetan. Weiblich sind nur die Kuchen und Kekse, die süßen Ringlein und glänzenden Kugeln, das schmückende Beiwerk also wieder einmal. Da dürfen die Frauen herhalten und dienen, derweil Kerzen und Sternenspritzer den Ma-cho unterstreichen. Die Psychoanalyse des Christbaums im Vergleich zum weiblich-runden Adventkranz könnte den feiertäglich so notwendigen Familienfrieden stören.

Vielleicht ist es besser, nicht gleich so tief in die psychischen Abgründe hinabzusteigen. Der Christbaum eignet sich auch so zum Charakter-Test. Personalchefs werden für Einstellungs-Entscheidungen künftig die Fotos der häuslichen Christbäume der letzten fünf Jahre verlangen. Es beginnt bei der Auswahl des rohen Baums. Es ist dabei gleichgültig, ob diese legal oder illegal im Wald erfolgt, oder bei einem der Christbaumhändler, die an einer Ecke einen stimmungsvollen Stadtwald aufgebaut haben. In jedem Falle wählt der Suchende auch nach Einflüssen seines unterbewußten Charakters. Groß oder klein, ausladend oder schmal, Astwerk ein wirres Dickicht oder ein regelmäßiges Gezweige. Oder gar individualistisch-exotische Entscheidungen, allerlei nordische Gehölze, oder sparsam-recyclingbewußt einer aus naturechtem Plastik für Mehrfachweihnacht, Zweige mit Teleskopeinstellung. Steht der Baum erst nackt im Zimmer, so offenbart er die Charakterzüge seines Besitzers. So vielfältig wie der Mensch eben sein kann, dicht oder dünn verzweigt, stachelig oder mehr parallel, hoch emporstrebend oder vorsichtig geduckt, mit ausgefallenem Geschmack, innovationsbegeistert, oder eher durchschnittlich, konservativ, unauffällig, traditionsbewußt.

Auch Bräute könnten sich, ehe sie sich ewig binden, einmal den Christbaum ihres Erwählten unter solchen Gesichtspunkten ansehen� Oder umgekehrt, der Bräutigam den seiner Braut. Aber das ist auch familiär eher selten und schwierig, denn - o Macho! -Christbaumkauf ist in der Begel Männersache. So wie der Charakter Grundzüge aufweist, die sich dann entfalten, so offenbart der Schmuck des Christbaums erst die Facetten einer Persönlichkeit.

Voraussetzung für ein gültiges Urteil ist allerdings, daß die Einheitlichkeit von Käufer und Schmücker gegeben ist. Ein Mann, der kauft, und eine Frau, die schmückt, ergibt zwar oft ein erfreuliches Bild des Ausgleichs. Aber als Testobjekt ist der Christbaum wertlos. Man achte daher auf mono-cha-rakterliche Bäume! Viel Silber- und Goldglanz deuten auf einen zur Üppigkeit und Repräsentation neigenden Charakter, Strohsterne und kleine Laubsägefiguren verraten eher soziales Empfinden, Genügsamkeit und Introvertiertheit.

Bei der Farbe der Christbaumkerzen können die Farbwertigkeiten des Lüscher-Tests zu Rate gezogen werden. Rot ist Feuer und Leidenschaft, blau zeigt kühle Zurückhaltung und weiß ist die unentschlossene Unschuld. Ein Mann, der den Baum üppig mit Silberketten und Sternderlspritzern dekoriert, na ja - schau nach bei Freud -, den kennen wir schon. Und ob an der Baumspitze ein Engel trompetet - der Schmücker neigt zu lautstarker Kommunikation - oder ob ein Silberspitz gegen den Plafond weist, das ist wohl zu beachten. Der Spitz jedenfalls verrät Aggression. Ein Stern ganz oben hingegen verweist auf ausgebreitete Arme, auf einen Umfasser, der auch ein Umschlinger sein kann.

Die Christbaum-Deutung erspart nicht nur eine Menge Enttäuschungen und ähnliche Orakel zu Silvester. „Sage mir, welchen Christbaum du hast -und ich sage dir, wer du bist!"

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