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DER GLANZ VON GESTERN

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Jetzt beginnen die Christbäume wieder zu wandern. Aber nicht mehr ins Helle, sondern ins Dunkle.

Kinderhände haben sie gezaust und geplündert, aber der Stern blieb oben und, wieviel auch die kleinen gierigen Hände greifen mochten, der Baum schien unerschöpflich und immer wieder im Glanz des Goldenen, des Leuchtenden, des Seligen neu zu erblühen. Mit einem Mal ist der Baum nicht mehr da, er war schon Hausgenosse geworden, es war, als bliebe das Wunder bei uns, den Kleinen und Großen. Da eines Morgens, eines Tags, eines Abends — man weiß nicht, wie es zugegangen ist — findet man ihn nicht mehr. Fort ist er, verschwunden, aller Glanz ist ausgelöscht und kommt erst übers Jahr wieder. Erste Kindertränen der Enttäuschung, erste bange Kinderfragen ins rätselhafte Dunkel hinein stehen nun vor der schmerzlichen Erfahrung jedes Lebens: Keine Seligkeit ist, wenn man ihrer schon teilhaftig wird, zu halten.

„Mutter, warum haben die Heiligen Drei Könige den Christbaum fortgetragen?", fragte das Kind nach dem Dreikönigstag, als es den Christbaum nicht mehr fand. „Sie waren doch so fromm, sie haben vor der Krippe gekniet. Warum stehlen sie uns dann den Baum? Sind es Zigeunerkönige?“

„Sie haben ihn nicht gestohlen“, antwortete die Mutter, „sie wollten dich fragen, ehe sie ihn forttrugen, aber du schliefst so fest. Da habe ich es nicht erlaubt, daß sie dich wecken. Sie haben den Christbaum gebraucht.“

„Wozu haben sie den Christbaum gebraucht? Haben sie selber keinen gehabt?“

„Das war es nicht, aber das Kind in der Krippe fror. Das wollten die Heiligen Drei Könige nicht leiden. Im Stall war es so bitterlich kalt. Da holten sie von allen Kindern die Christbäume, und alle haben sie hergegeben und zündeten sie vor der Krippe an, und jetzt ist der Stall warm, und das Kind friert nicht mehr. Dafür gibst du doch auch deinen Christbaum her? Oder ist dein Herz ohne Erbarmen für die Armen und Frierenden?“

„Nein, dann sollen die Heiligen Drei Könige auch meinen Baum für das Jesukind haben… Ja, und da brennen vor der Krippe alle Bäume“, sagte das Kind und machte große Augen. „Lind verbrennen mit allen schönen Sachen, die drauf glänzten? Mit allen? Wirklich mit allen? Haben die Heiligen Drei Könige mir gar nichts dagelassen?“ Und dabei schaute das Kind die Mutter listig und fordernd an, aber auch mit dem sehr sicheren Vertrauen auf Mutters Zauberkünste, die noch immer alles Verschwundene wieder zur Stelle geschafft hatten. Auch diesmal wurde das Kind nicht enttäuscht, die Mutter ging in ein anderes, ganz dunkles Zimmer, seltsam raschelte es dort, das Kind wagte im Hellen vor Angst gar nicht zu atmen, dann kam die Mutter wieder und brachte den Stern, der hoch oben am Baum geglänzt hatte. „Den Stern haben dir die Heiligen Drei Könige hiergelassen, damit er dir leuchte das ganze Jahr, aber damit du ihn auch bewahrst bis zum nächsten Lichterbaum. Jeder Mensch hat so einen Stern und darf ihn nicht beschmutzen und zerstören. Denn nur dann erglänzen die Lichter am Baum, wenn dir dein Stern so schön und rein leuchtet wie an dem Tag, da du ihn bekamst, da er dir aufging. Andächtig hielt das Kirtd seinen Stern in der Hand, die Mutter beugte sich zu ihm nieder und küßte es mit einem unausgesprochenen Segensspruch im Sinn.

So leicht sind Kinder getröstet. Aber wir Erwachsenen, haben wir einen anderen Trost? Wir gingen von Weihnacht zu Silvester wie über den Alltag emporgehobene Menschen, und noch die ersten Tage jedes neuen Jahres sind festlich überglänzt.. Wenn wir aber die Christbäume abzuräumen beginnen, den schimmernden Glanz in die Schachteln legen und sie in den Kasten stellen, das ist dann ein sicheres Zeichen dafür, daß uns das Nüchterne wieder ergriffen hat, daß wir mitten im Alltag stehen. Das gehobene Lebensgefühl der Tage vor Weihnacht bis Neujahr ist mit dem Dreikönigstag vorbei, der Glanz von gestern ist gewesen, und wir stapfen wieder durch das Dämmernde in die Ungewißheit des Lebens hinein.

Auf den Baikonen oder in dunkle Winkel gedrückt, sehen wir dann noch eine Weile die allen Lichtes und allen Glanzes beraubten Christbäume stehen. Trauriger Anblick, Sinnbild der Erniedrigung: ehemals geschmückt und reich behängen und von allen geliebt, min verbannt, vergessen und im Elend. Aber das ist erst der Anfang. Dann kommen die Mörder mit den Messern und Äxten und schneiden zuerst die Äste weg und hacken danach den Stamm zu Kleinholz. Zuletzt wandert alles in den Ofen. Du schöner, lichter, freudiger Baum, wie vergiltst du alles Menschlich-Böse auch jetzt mit der Güte der Märchen und der Grünenden, denen beiden du entstammst. Denn Aroma des Waldes, würziger Geruch der Tannen steigt aus deinem Feuertod. In den flackrigen Flammen prasselt es jauchzend, und den Atem des Sommers schickst du uns in den Winter und in die Zimmer Gesperrten. Auch aus deiner Elegie, Christbaum, wird noch dein Loblied.

Glanz von gestern — das ist er nun ganz geworden. Ist es nicht, was ihm sein Ansehen gibt, daß er eben Glanz von gestern ist? Denn alles Gewesene wird von der Erinnerung verschönt und vergoldet.

Wo leuchtet denn dieser Glanz? Um uns oder in uns? Mag es um uns noch so festlich schimmern, wenn in uns selber kein Licht angesteckt ist, bleibt alles öde und trübe. Dieser Glanz in uns darf nicht von gestern sein, niemals und in keiner Stunde. Schönes, uraltes Sinnbild, das den Menschen mit einer brennenden Kerze vergleicht. Ja, das sind wir, leuchtende Lichter, und haben Glanz und haben Schimmer und haben Licht zu geben — aus uns selber.

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