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Wie konservativ ist Österreich?

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OSTERREICHISCHE PARTEIPROGRAMME 1MS-1986. Herause*eben und mit einer Ein-Ters ?. K1““9 *• Verlar für Geschichte und Politik, Wien.

Parteiprogramme sind in der Regel kein aufregender Lesestoff; Macht man sich aber die Mühe,'der sich der wissenschaftliche Assistent am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien unterzogen hat — Klaus Berchtold hat die Grundsatzerklärungen der historischen drei Lager der österreichischen Innenpolitik vom Beginn der Verfassungsära bis in die Gegenwart aufgespürt, gesichtet und

ediert —, so wird daraus ein Buch, das , jeden politisch interessierten Menschen in seinen Bann zu schlagen vermag. Der „konservative“ Charakter aller österreichischen Parteien und ihrer Wähler tritt deutlich in Erscheinung. Erst unsere Gegenwart, in der die österreichischen Parteien die von ihnen in den letzten Jahrzehnten gepflanzten Früchte der „Entideologisierung“ ernten, scheint eine Zäsur zu bilden.

Am beharrendsten erweist sich dabei das deutschnational-liberale Lager. Von dem nach seinem Verfasser als „Krickl-Programm“ 1868 vorgelegten Leitsätzen bis zu jenen 1957 in Klagenfurt konzipierten „Richtlinien freiheitlicher Politik“ wähnt man nicht einen Zeitraum von beinahe 100 Jahren vergangen. Nur wenige Kuliasen wurden verändert; das Stück, das gespielt wird, blieb das alte ...

Daß es aber nicht nur Beharrung, sondern auch gelegentlich einen Wandel gibt, zeigt sich, wenn man etwa die in der Hochsprache des Marxismus abgefaßte sozialistische Programmatik der Ersten Republik (Musterbeispiel: das Linzer Programm 1926) mit dem Parteiprogramm 1958 vergleicht. Es ist dabei nicht so sehr der veränderte Inhalt als der Wandel der Diktion, der als erster in die Augen springt. Der Höhenflug der gleich einer Prophe-fcie proklamierten Heilslehre kam dabei vielleicht zu kurz, die Realität auf jeden Fall stärker zu ihrem Recht.

Was das vom Verfasser als

„Christlich-konservativ“ etikettierte Lager betrifft, so muß man Doktor Berchtold danken, daß er nicht aus demokratischem „Purismus“ die Jahre 1934 bis 1938 ausgeklammert hat. Programmatik war nie die Stärke dieses Lagers: Das wird besonders in dessen „autoritärer Phase“ deutlich. Der Herausgeber hilft sich jedoch mit programmatischen Reden, wie der bekannten Trabrennplatzrede, wo Bundeskanzler Dr. Dollfuß die Grundlinien der Mai Verfassung 1934 erstmals ankündigte. Wenn die junge Volkspartei in ihren bereits im Juni 1945 veröffentlichten ersten Leitsätzen auch „intensive Arbeit am Aufbau der österreichischen Nation, die starkes, stolzes, Staats- und Kulturbewußtsein formen muß“ versprach, so darf man sich wundern, warum die heute führenden Repräsentanten dieser Partei, etwa anläßlich des vergangenen Nationalfeiertages, klaren Bekenntnissen gerne aus dem Wege gehen.

Das sind nur einige Gedanken, die sich bei einer „Vergleichsforschung“ österreichischer Parteiprogramme aufdrängen. So erfreulich und dankenswert die Sammler -und Editionsarbeit Dr. Berchtolds ist, so kann man nicht denselben Applaus dem Kommentator Berchtold spenden. Hier tut sich der Herausgeber schwer. Zeitgeschichte ist nicht sein Metier. So kommt es mitunter auch zu kleinen Kurzschlüssen, wenn er unter anderem Bundeskanzler Figl mit dem Gedanken einer „Dreierkoalition“ 1953 belastet (S. 67). Kenner der Situation wissen nur zu genau, daß Figl diesem ihm oktroyierten Plan aus Innerstem widerstrebte. Kein Wort auch gegen die Bücher von Vodo-pivec, „Wer regiert in Österreich“ und „Die Balkanisierung Österreichs“. Als „Quellen“ für historische Arbeiten — Berchtold bezieht sich mehrmals auf sie — erscheinen sie uns doch zu „engagiert“.

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