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Wien ohne Steffel

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Bereits zum viertenmal legt der Verlag für Jugend & Volk seine repräsentative Jahresschrift fUr Literatur, bildende Kunst und Musik „Protokolle“ vor: In diesem kurzen Zeitraum seit 1966 ist der stattliche, reichillustrierte Band, einst 180 Seiten stark, nun auf 280 erweitert, zu einem der bedeutsamsten Dokumente des Wiener künstlerischen Lebens der sechziger Jahre geworden, eine Situationsbestandaufnahme, in der neben längst bekannten Namen, Arrivierten, die Prominenz von morgen zum Nachrücken ansetzt. Otto Breicha und der vor kurzem aus dem Leben geschiedene Gerhard Fritsch sind die Herausgeber: „Etwas zu protokollieren, das nicht protokollarisch festgelegt ist“, schwebte den beiden initiativen Literaturexperten vor, und möglichst keine „Beispiele kanonisch anerkannter Literatur, bildender Kunst und Musik“ zu bieten. Der Wunsch, neue Beiträge in neuen geistig-kritischen Zusammenhängen vorzuführen, die Kunstsparten im Hinblick auf Wien von Wien aus und neuerdings auch Von anderswoher auf Wien zu erhellen, ist imponierende Realität geworden. Das Beweisverfahren, daß Osterreich und Wien durchaus kein Museum der „schönen Werte“ sind — die ohnedies dem Bankrott zuzusteuern scheinen —, nimmt von Jahr zu Jahr klarere Konturen an.

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Bereits zum viertenmal legt der Verlag für Jugend & Volk seine repräsentative Jahresschrift fUr Literatur, bildende Kunst und Musik „Protokolle“ vor: In diesem kurzen Zeitraum seit 1966 ist der stattliche, reichillustrierte Band, einst 180 Seiten stark, nun auf 280 erweitert, zu einem der bedeutsamsten Dokumente des Wiener künstlerischen Lebens der sechziger Jahre geworden, eine Situationsbestandaufnahme, in der neben längst bekannten Namen, Arrivierten, die Prominenz von morgen zum Nachrücken ansetzt. Otto Breicha und der vor kurzem aus dem Leben geschiedene Gerhard Fritsch sind die Herausgeber: „Etwas zu protokollieren, das nicht protokollarisch festgelegt ist“, schwebte den beiden initiativen Literaturexperten vor, und möglichst keine „Beispiele kanonisch anerkannter Literatur, bildender Kunst und Musik“ zu bieten. Der Wunsch, neue Beiträge in neuen geistig-kritischen Zusammenhängen vorzuführen, die Kunstsparten im Hinblick auf Wien von Wien aus und neuerdings auch Von anderswoher auf Wien zu erhellen, ist imponierende Realität geworden. Das Beweisverfahren, daß Osterreich und Wien durchaus kein Museum der „schönen Werte“ sind — die ohnedies dem Bankrott zuzusteuern scheinen —, nimmt von Jahr zu Jahr klarere Konturen an.

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Eine Brise des erfrischend Unkonventionellen macht es sich da seitenweise bequem; das langweilige „Erhebende — also Unerhebliche“ (Breicha) — -kleinbürgerlichen Geschmacks, das abgegriffene „große Erbe“, ist draußengeblieben. Es ist ein Band der Jungen und Junggebliebenen, derer, die gründlich aufräumen mit dem Wien der „Porzellan-lipizzaner, Totenmasken für Schubert und Beethoven und Luftballons mit dem Steffel“, derer, die für Kakanien neue Metaphern in einer neuen Sprache suchen.

Die Reihe der Beteiligten: lang genug, um auf ein hochspannendes „cross-reading“ durch die Wiener Künste vorzubereiten; jedoch knapp genug, schon jetzt auf das neugierig zu machen, was 1970 zu Protokoll gebracht wird. Breicha und Frttscft. haben ins volle Kunstleben gegriffen, Texte von Artmann, Frischmuth und Gerhard Rühm, dem jungen Peter Matejka, Peter Handke und Gütersloh, der Mayröcker, Jandl und Scharang mit originellen Illustrationen von Schmögner (reizvoller Comic strip „Die Verfolgung sowie Ermordung als auch Selbstvernich tunig des Pop“)., Peter Pongratz, Moldovan, Wolf-gang aeri&g,,, Hutterv—r4MRniaura ein paar zu nennen — kombiniert. Gar nicht graue Theorie, die sich wohl verwahrt, offene Türen einzurennen, stellt Bezüge her: Feuerstein mit seinen hart formulierten Thesen über die österreichische Kultursituation, Harald Kaufmann mit zeitgemäßen Alban-Berg-Kommentaren, Rüdiger von Engerth mit einer Analyse der Plastiken von Jozef Jan-koviö, Karlheinz Roschitz mit einem Beitrag zum Rotationsver-fahren bei Anestis Logothetis. Unbedingt Aktuelles steuerte Otto Antonia Graf bei, der in den , letzten Jahren in zäher Detailarbeit die Projekte der Architekturschüler Otto Wagners sichtete und zu einem wichtigen Band kompilierte (die „Furche“ bringt darüber demnächst eine ausführliche Besprechung); er legt einen kritisch-analytischen Bericht vor, der die exklusive, schon damals im Vergleich zur übrigen Architekturentwicklung unvergleichlich diszipliniertere, im Aufwand zeit-gemäßt reduzierte Modernität dieser Schule um 1900 dokumentiert, die auch, gemessen an den Werken der Fabulierer Hoffmann und Olbrich, durch eine ungewöhnliche technisch-logische Systematik der Projektionsentwicklung auffällt. (Die bereits vor einem Jahr angekündigte Ausstellung der Entwürfe müßte eigentlich jetzt Grafs Vorträgen, Buch und Essay auf den Fuß folgen, um die Verdienste der Schule auch dem breiten Publikum offenbar zu machen.)

Entdeckungen der Herausgeber: Für den, der nicht gerade Spezialist im Kunstbetrieb ist, eine Menge. Angefangen beim 20jährigen Peter Matejka, der hier noch eher bescheiden mit einem kleinen Mundartgedicht vertreten ist. (Spätere Nummern werden gewiß auf seine sprachkritischen Texte und das Romanfragment „Kuby“ zurückgreifen!) Oder bei ungedruckten Texten wie Art-manns „Uberlieferungen und Mythen aus Lappland“,

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