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1934 verleugnen ?

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Unter den zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen zum ominösen Österreichjahr 1934 ragt das Werk von Gottfried-Karl Kindermann, Professor für Internationale Politik an der Universität München, durch seine strenge, weit ausholende Wissenschaftlichkeit und durch sein persönliches Engagement für die Sache Österreichs in jenen schweren Tagen hervor.

Die Wissenschaftlichkeit wird erhärtet durch die sowohl für den Text wie für die auf 79(!) Seiten Anhang erfolgte Heranziehung von „Dokumenten zur Britischen Außenpolitik 1919-1939", aus dem österreichischen Staatsarchiv, dem Rot-Weiß-Rot Buch 1946 und anderen einschlägigen Dokumentensammlungen.

Das persönliche Engagement aber erweist sich bei dem in Wien beheimateten Autor (Sohn von Prof. Heinz Kindermann) in seiner eigenständigen geschichtsphi-losophischen Schau und Erweiterung des „bedenklich verengten" Geschichtsbewußtseins der Ersten Republik und in seinem erstaunlichen Weit- und Tiefblick auf die europa- und weltpolitische Bedeutung Österreichs als erstem Expansionsziel des Nationalsozialismus.

In diesem Uberlebenskampf der Ersten Republik und gerade im beispielhaften Patriotismus und Opfertod des Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß erkennt Kindermann den Ursprung und die Leitideen des neuen Österreichbewußtseins, das nach den vielen Verfolgungen und Läuterungen in den Verbannungs-, Kriegsund Gefangenschafts-, Kerkerund KZ-Jahren für ungezählte Österreicher zum existenziellen Erlebnis geworden ist und entscheidend mithalf, nach 1945 den Glauben an unsere Lebensfähigkeit und Unabhängigkeit zum Allgemeingut werden zu lassen.

Sehr interessant ist der Standpunkt Kindermanns zur Problematik der in Österreichs ge-schichtsbewußter Öffentlichkeit noch immer versuchten Verleugnung des Widerstandes, während in Deutschland die Geschehnisse um den 20. Juli 1944 und in Frankreich die Resistance von allen politischen Richtungen - trotz ihrer sonstigen innenpolitischen Orientierung - in nationalen Gedenktagen und -feiern geehrt werden (siehe auch FURCHE Nr. 31/84).

Woran das liege? In erster Linie wohl in der Tatsache, daß man mit einer Würdigung „des Widerstandes" zugleich und mit Recht ein schwerwiegendes innenpolitisches Fehlverhalten gegenüber der damaligen Form der parlamentarischen Demokratie feststellen kann und muß.

Wenn man dieses faktische Fehlverhalten verurteilt, sollte man aber auch den Mut haben, die beim Träger dieses Fehlverhaltens ebenso gegebenen konstruktiven Leistungen entsprechend zu würdigen. Zudem sei es sachlich weder richtig, der Dollfuß-Regierung allein die Zerstörung der österreichischen Demokratie zur Last zu legen, noch psychologisch vertretbar — wie das heute in den Massenmedien so oft geschieht -, die damalige Zeit mit politischen Erfahrungen und Begriffsinhalten unserer Gegenwart erklären zu wollen.

HITLERS NIEDERLAGE IN ÖSTERREICH. Bewaffneter NS-Putsch und Österreichs Abwehrsieg 1934. Von Gottfried-Karl Kindermann. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 1984. 280 Seiten, kart., öS 232,-.

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