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Austrofaschismus

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„Zugegebenermaßen war Schober frei von der jesuitischen Heuchelei, die für Dollfuß, Seipel und Schuschnigg so bezeichnend war.“ (Bruno Kreisky 1942.)

„Kein Wort davon will ich heute zurücknehmen.“ (Bundeskanzler Bruno Kreisky 1971.)

In Linz wurde im November 1918 ein aus dem Kriegslazarett entlassener junger Offizier auf der Straße von einem brüllenden Haufen, darunter zahlreiche Morddrohungen ausstoßende Weiber, überfallen, der Kriegsauszeichnungen beraubt und blutiggeschlagen. Faschist ist, wer sich wehrt. Der junge Starhemberg, schon als Halbwüchsiger oftmals siegreich in oberösterreichischen Wirtshausraufereien und deshalb unter seinen bäuerlichen Altersgenossen sehr angesehen, wehrte sich und prügelte zurück. Der Austrofaschismus war geboren.

Dabei brachte Starhemberg zeitlebens mehr Verständnis für die Nöte und Anliegen der Industriearbeiter auf als zahlreiche Christdemokraten seiner Generation, die später allerdings nur zu rasch bereit waren, das Gegenteil zu behaupten und für ein stichhältiges Alibi zu sorgen. Starhembergs Abneigung galt nicht der Industriegesellschaft und vor allem nicht ihren unteren Rängen, sondern ausschließlich dem Gestank, der Unnatur und dem seelischen Schmutz der großen Städte. Unordnung, Wehleidigkeit und Verfall — das war es, was er als Bedrohung empfand, und als Bedrohung empfand er auch gewisse höhere

Zahlenspiele der Demokratie. Zugegeben — demokratische Mathematik ist gewiß nicht immer leicht zu durchschauen. So etwa, wenn eine Stimmenmehrheit von 53 Prozent nicht genügen kann, um König Leopold III. den belgischen Thron zu sichern, wogegen eine (durch die Abwesenheit der kriegsgefangenen Armee manipulierte) Mehrheit von nur 51 Prozent durchaus genügt hatte, um Italien in eine Republik zu verwandeln. Beispiele dieser Art wiederholen sich nun seit Menschengedenken, und wenn es schon einem oberösterreichisch-wienerischen Mischling, wie dem hier Unterfertigten, schwerfällt, den tieferen Sinn zu erfassen, der doch gewiß hinter den komplizierten demokratischen Gleichungen steckt, um wieviel schwieriger und vollends unmöglich mußte dies für einen Starhemberg sein, in dem sich das Oberösterreichische, seit einem Jahrtausend hochgezüchtet, auf eine sehr überzeugende und intensive Weise verkörpert hatte.

Brennende Neugier und ein relativ gut entwickeltes politisches Gedächtnis haben auch den Unterfertigten im Laufe der Jahre zu manchen vorlauten Fragen verleitet (zu der Frage beispielsweise, warum nach demokratischen Grundsätzen alle Menschen als gleich zu gelten haben, jene ausgenommen, die durch demokratischen Mehrheitsbeschluß für ungleich erklärt wurden), was begreiflicherweise mehrfach dazu Anlaß gab, seine Fragen öffentlich als faschistoid zu tadeln; allerdings und leider ohne nachhaltigen Erfolg. Ernst Rüdiger Starhemberg hingegen ließ es nie bei den bloßen Fragen bewenden, er stand immer mitten im Getümmel, was ihm die spezielle Abneigung jener eintrug, die den Ereignissen, von Mut und Haß bewegt, in der Etappe beigewohnt hatten. Frontsoldaten von diesseits und jenseits der Feuerlinie, sogar im schauderhaften Fall eines Bürgerkrieges, kennen einander und finden nach einiger Zeit fast immer zu einer gewissen gegenseitigen Achtung, wenn nicht Wertschätzung, Kein Wunder also, wenn Begegnungen zwischen Heinrich Starhemberg, dem Sohn Ernst Rüdigers, und den Söhnen höherer Schutzbundführer der Ersten Republik nach einigen harten Anfangsworten immer noch mit gegenseitigen Sympathiebeweisen geendet haben.

So erzählt der Sohn denn auch, im Anschluß an die Memoiren seines Vaters, wie es nach 1938 weiterging, wie er seinen Vater in den Jahren des Exils und nach der Heimkehr erlebte. Einleitend aber findet Heinrich Drimmel nicht nur den Mut,

seine eigene Vergangenheit zu bewältigen, sondern auch den,,Heim- wehrfürsten“ so zu schildern, wie er von zahlreichen jungen Menschen, die ihm in jenen Tagen anhingen, gesehen wurde. Zwischen Einleitung und Nachwort aber steht dieser erstaunliche Text, stehen diese Memoiren ohne Schminke, für deren wort- und buchstabengetreue Wiedergabe Ada Benigni in emsigster Kleinarbeit gesorgt hat. Alles ist aufrichtig und grundehrlich an diesem soldatischen Text, der ohne Schonung mit allen seinen gelegentlichen gramatikalischen Fehlem, mit seinen sfilistischen Ausrutschern ln den Drude übernommen wurde.

Wo nämlich Ernst Rüdiger Starhemberg Gedanken auszuspinnen und zu definieren hat, wird seine Sprache (kein Verlagslektor hat es verschleiert) unbeholfen und flüchtet in jene stehenden Formeln halb sentimentaler, halb papierener Art, wie sie früheren Generationen in großer Fülle zu Gebote standen. Kaum aber beginnt Starhemberg, Ereignisse darzustellen, Erlebtes zu schildern, gewinnen seine Erinnerungen ialle Farben, alle Dramatik, alle Faszination und den Schwung eines vulkanischen Temperaments, wie es den Redner Starhemberg einst ausgezeichnet hat, leuchtet aus jeder Zeile die Hoffnung auf ein Österreich ohne Mißgunst, Neid, Unsauberkeit und Verfall, bekennt sich der Glaube an ein Ideal, das in dieser Form, wie wir längst wissen, nicht zu verwirklichen ist.

Noch ist alles spontan an diesem Buch, im Rohzustand erlebten Lebens sozusagen, und die Sprachregelungen der Zweiten österreichischen Republik, die papierenen Leer- und Lehr- formeln für Schule und Haus haben noch nicht Platz gegriffen. Starhem- berg spricht so, wie die meisten von uns sprachen (wenn sie sprechen konnten und durften), damals, unmittelbar nach Hitlers Überfall bei Nacht und Nebel, als die Erinnerung an die belagerte Festung Österreich mit ihren Ausnahmszuständen noch nicht verwischt war und Dollfuß- Beschimpfung noch nicht zur etablierten Mythologie gehörte.

Und ganz nebenbei spricht Star- hfpjberg mit der souveränen Gelassenheit des Grandseigneurs von Fehlern, die er nach eigener Überzeugung begangen hat, von den Grenzen seiner Fähigkeiten und von den Irrtümem, denen er erlegen ist. Und das ist es („genau das“, würde man heute sagen), was die Demokraten ihm erst einmal nachmachen sollten.

Emst Rüdiger Starhemberg, Memoiren. Mit einer Einleitung von Heinrich Drimmel. Amalthea-Verlag, Wien — München. 344 Seiten, zahlreiche Abbildungen.

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