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Arrangierter Boom

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Auf die Frage nach der italienischen Wirtschaftslage gab Fiat-König Agnelli die zweideutige Antwort: „Noch nie ist in Turin so viel gearbeitet worden.“ Wenige Sachverständige verausgaben sich mit Erklärungen über die Wirtschaft des Landes in ihrer Gesamtheit. Neben Anzeichen für eine Neubelebung, ja einen eigentlichen Boom, gibt es Symptome einer weiteren Stagnation, da und dort sogar für einen weiteren Rückgang. Viele kleine und mittelgroße Unternehmer halten sich nur mit Bankkrediten oder staatlichen Zuschüssen und Steuererleichterungen über Wasser, während ein Mammutbetrieb wie Fiat punkto Aufträge und Ausnützung der Betriebsanlagen fast aus den Nähten platzt.

Fachleute des In- und Auslandes sind sich einig, daß Schatzkanzler Malagodi mit seinen Währungsmaßnahmen in den letzten Monaten einseitig das Wohl der Exportindustrie im Auge hatte. Er ging dabei von der Überlegung aus, daß die Wirtschaftskrise lediglich durch vermehrte Produktion und Ausfuhr überwunden werden könne. Es galt also, die Lira, wenigstens im Verhältnis zu den starken europäischen Währungen,

derart abzuwerten, daß sich der Bezug italienischer Produkte für Nord-und Westeuropäer, möglichst auch für Amerikaner, wieder lohnte — so wie es bis Mitte der sechziger Jahre im großen Ganzen der Fall war. Zudem dürfte der Fremdenverkehr eine weitere starke Zunahme, vielleicht sogar über die 30-Millionen-Grenze hinaus, erwarten, wenn die Touristen für ihr „besseres Geld“ mehr Lire als bisher erhalten, und zwar dies- und jenseits der Grenzen. Tatsächlich ist Italien mit der seit einem Jahr ungefähr um ein Viertel ihres Kurses entwerteten Währung wiederum ein preiswertes, wenn auch kein billiges Land. Es kann preislich für die Touristen das Rennen mit Frankreich aufnehmen und ist nicht mehr viel teurer als die spanischen und jugosla-

wischen Reisezentren. Nicht umsonst machen viele Tessiner Hausfrauen ihre Einkäufe wiederum in Como, wie es nach dem Krieg bis 1962 der Fall war, dann aber mit steigenden Löhnen und der allgemeinen Teuerung in Italien die umgekehrte Tendenz für lombardische und piemon-tesische Käufer zur Folge hatte.

Ausgabenfreudiger Staat

Ein zweiter Grund, weshalb die „Economia“ auch Anzeichen eines neuen Booms verzeichnet, wie er bereits zwischen 1955 und 1962 von sich reden machte, ist die Tatsache, daß der italienische Staat unter der jetzigen Zentrumsregierung sich weit weniger zugeknöpft zeigt als unter den früheren Ministerien Colombo, Rumor und Moro. Daß diese „Auftauung eingefrorener öffentlicher Gelder“ den Konsum anregt, versteht sich von selbst. Bedenken treten jedoch auf, ob es sich bei diesem Antrieb nicht ebenfalls nur um eine künstliche Spritze, ja um eine Droge handle, die der Wirtschaft des Landes nur vorübergehend auf die Beine helfen könne.

Zu größerem Optimismus berech-

tigt die um sich greifende Einsicht in Gewerkschaftskreisen, daß bei anhaltender sozialer Unrast die Krise nicht beigelegt werden könne und all die geschickten währungs- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Regierung vom Arbeitsfrieden der Gewerkschaften sekundiert werden müßten, um ihr Ziel — eine wirkliche Gesundung der Wirtschaft — zu erreichen. Die Angst vor verheerend wirkenden rechts- und linksextremistischen Terrorgruppen und vor einem Rechtsrutsch durch den erstarkenden Neofaschismus läßt die Einsicht hoffentlich mehr als ein bloßes Strohfeuer sein und mag Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbände zu einer Gewissenserforschung über begangene Fehler und gar manchen Machtmißbrauch führen.

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