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Beben gegen Südafrika

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Bis vor etwa einem Jahr hatte die Madegassische Republik zu Recht den Ruf, eine Insel des Friedens und der politischen Ausgeglichenheit zu sein. Madagaskar, die viertgrößte Insel der Welt, etwa 450 km vor der Küste Afrikas im Indischen Ozean gelegen, war bis dahin von der politischen Unrast des süd- und ostafrikanischen Raums kaum berührt worden. Doch vor wenigen Tagen wurde Tananarive, die Hauptstadt des Inselstaates, von schweren Studentenunruhen erschüttert.

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Bis vor etwa einem Jahr hatte die Madegassische Republik zu Recht den Ruf, eine Insel des Friedens und der politischen Ausgeglichenheit zu sein. Madagaskar, die viertgrößte Insel der Welt, etwa 450 km vor der Küste Afrikas im Indischen Ozean gelegen, war bis dahin von der politischen Unrast des süd- und ostafrikanischen Raums kaum berührt worden. Doch vor wenigen Tagen wurde Tananarive, die Hauptstadt des Inselstaates, von schweren Studentenunruhen erschüttert.

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Studentisches Aufbegehren gehört zwar beinahe zum politischen Alltag auch zahlreicher afrikanischer Staaten, doch das Besondere an den jüngsten Ereignissen auf Madagaskar war die Tatsache, daß sich den demonstrierenden Hochschülern auch die Arbeiter- und Angestelltenschaft angeschlossen hatte. Die Regierung sah sich gezwungen, den Ausnahmezustand zu verhängen. Straßenschlachten der Exekutive mit den Demonstranten kosteten nach offiziellen Angaben 35 Todesopfer. Das Redaktionsgebäude der Regierungszeitung „Courrier de Madagas-car“ und das Stadthaus von Tananarive standen in Flammen. Um die Ereignisse nicht auf die Spitze zu treiben, war die Regierung schließlich zu Zugeständnissen bereit.

Die vergangenen Maiunruhen waren nur ein Glied in einer Kette von politischen Beben, welche die ehemalige französische Kolonie schon seit Monaten erschüttern. Präsident Tsiranana machte subversive kommunistische Elemente für die Rebellion verantwortlich.

Philibert Tsiranana, ein lebhafter, jovialer Mann, bauernschlau und voll kernigen Humors, wurde 1959 erster Präsident der Madegassischen Republik und konnte im Juni 1960, vor fast genau zwölf Jahren, die volle Unabhängigkeit für sein Land erringen. 1965 wurde er mit überwältigender Mehrheit wiederum zum Staats- und Regierungschef gewählt.

Obzwar es auf Madagaskar eine parlamentarische Opposition gibt, blieb diese doch bisher ohne besondere Bedeutung. Die Regierungspartei, die von Tsiranana gegründete Sozialdemokratische Partei (PSD), hat 104 von 107 Sitzen im Unterhaus inne. Allerdings steckt diese Partei seit Monaten in einer schweren Krise.

Präsident Tsiranana, der sich selbst zwar als „hundertprozentigen Sozialisten“ bezeichnet, betreibt eine sehr pragmatische und eher konservative Politik. Deren Grundpfeiler sind eine enge Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Mutterland Frankreich und die Förderung privater Investitionen durch die Heranziehung ausländischen Kapitals. Er ist weiters stets offen darüber gewesen, daß er die kommunistischen Aktivitäten in Afrika für eine große Gefahr hält. Immer dann, wenn sich Widerstand gegen die Regierung im Lande regt, macht Tsiranana kommunistischen Einfluß dafür verantwortlich.

Schon im Oktober 1971 gab die Regierung die Entlarvung und Zerschlagung einer subversiven „revolutionären Bewegung“ bekannt. Ziel der Bewegung sei es gewesen, mit Gewalt an die Macht zu kommen und alle Ausländer aus Madagaskar zu vertreiben. Diese Bewegung habe von Seiten der Intellektuellen und Studenten in Tananarive großen Zulauf erhalten und ein ganzes Netz von im Untergrund arbeitenden maoistischen Basiszellen über die Insel gelegt.

Abgesehen von persönlichen Rivalitäten innerhalb der Sozialdemokratischen Partei gibt es vor allem drei tiefere Ursachen für die Unzufriedenheit und politische Unruhe auf Madagaskar: Zunächst soziale und wirtschaftliche Probleme wie die immer höher und rascher steigenden Lebenshaltungskosten und die skandalös schlechte Versorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln. Weiters die Tatsache, daß Handel und Industrie Madagaskars fast ausschließlich in ausländischen Händen liegen. Und schließlich die Beziehungen des Inselstaates zum weißen Regime in Südafrika.

Kritik an den Kontakten mit Pretoria wird nicht nur in den Reihen der Opposition, sondern auch innerhalb der Regierungspartei immer lauter. Präsident Tsiranana sucht manchmal seine südafrikafreundliche Politik mit ideologischen Argumenten zu rechtfertigen. So betont er etwa die Notwendigkeit, den kommunistischen Einfluß in Afrika zurückzudrängen. Auch gehört er zu den Verfechtern der von Präsident Houphouet-Boigny zuerst propagierten Politik des „Dialoges“ mit Südafrika. Tatsächlich aber ist die gleiche pragmatische Haltung als Motiv für Madagaskars Kontakte zum Apartheidregime anzusehen, die auch Malawi zum Partner Südafrikas machte, nämlich wirtschaftliches Eigeninteresse. Der Inselstaat steht vor der drückenden Notwendigkeit, seinen Handel neu zu orientieren. Der Handel mit den traditionellen Partnern, mit Frankreich und den anderen EWG-Staaten, wurde durch die Schließung des Suezkanals beeinträchtigt und die geographische Nähe und das große Investitionspotential Südafrikas lassen die Intensivierung der Kontakte zu Pretoria als ein Gebot der wirtschaftspolitischen Vernunft erscheinen.

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