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Briefwahl ist richtig!

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Daß Erfolgsautor Johannes Mario Simmel von ÖVP-Chef Josef Taus nicht mit allen anderen Autoren in ein und denselben „Souffleurkasten“ geworfen wurde, hat er möglicherweise dem glücklichen Umstand zu verdanken, daß er sich bereits vor vier Jahren als unfreiwilliger ÖVP-Einflüsterer betätigt hat: Er brachte die Briefwahl auf eine recht originelle Art ins Gespräch - indem er sie bereits für verwirklicht hielt.

In einem Gespräch mit den „Salzburger Nachrichten“ im August 1975 erklärte der in Monte Carlo lebende und als „Österreicher für Kreisky“ kämpfende Schriftsteller jedenfalls auf die Frage, ob er am 5. Oktober in Österreich zur Wahl zu gehen gedenke: „Nein, ich werde brieflich wählen, beim Konsulat.“

Johannes Mario Simmel konnte freilich 1975 genausowenig brieflich an den Nationalratswahlen teilnehmen wie heuer: Briefwahl, der Stoff aus dem die Träume sind...

Der Umstand, daß ausgerechnet die Sozialisten dem Versuch der Demokratisierung eines weiteren Lebensbereiches, der Erleichterung der Ausübung des Wahlrechtes für alte, kranke und gebrechliche Personen, einen derart hartnäckigen Widerstand entgegensetzen, mutet sonderbar an. Im zeitgeschichtlichen Rückblick stellen sich die Sozialisten gerne als Vorkämpfer der gleichen und allgemeinen Grundrechte für alle Staatsbürger dar. Was sicher nicht an den Haaren herbeigezogen ist.

Heute, da die gleichen staatsbürgerlichen Rechte für alle Österreicher (vor allem für die traditionellen Schichten einer Arbeiterpartei, könnte man hinzufügen) bereits erkämpft und gesichert erscheinen, interessiert man sich nicht mehr für weitere Fortschritte auf diesem Gebiet.

Im Gegenteil: Zugunsten des parteipolitischen Engagements für eine eher nebulose soziale Demokratie sowie eine klassenkämpferische Wirtschaftsdemokratie wird die Briefwahl, die für mehrere 100.000 Wähler von Vorteil sein könnte, von der Tagesordnung der SPÖ-Anliegen gestrichen.

Erstmals in der Entwicklung Österreichs hin zur Demokratie hat man den Eindruck, daß im Ausbau des Wahlrechtes der vorgezeichnete Weg, der von der Dezemberverfassung 1867 über die Reformen von Taaffe, Badeni und Beck bis hin zum Frauenwahlrecht 1919 führte, nicht weiter beschritten wird: jener Weg, der immer mehr Österreichern die Teilnahme und Mitgestaltung an politischen Vorgängen erniöglicht hat.

Mehr noch: Im Bereich der Arbeiterkammern haben die Sozialisten im vergangenen Jahr das Wahlrecht in einer Art eingeschränkt, die nicht als bloßer Webfehler einer ansonsten demokratischen Rechtsordnung abgetan werden kann. Die Ausschließung einer bestimmten Arbeitnehmergruppe vom Wahlrecht kommt der Wiedereinführung des zu Beginn dieses Jahrhunderts abgeschafften Kurienwahlrechts gleich: durch die Schaffung der Kurie der Ausgeschlossenen.

Mit derselben Überlegung, mit der die deutschen Gewerkschafter nun über die 39-Stunden-Woche triumphieren, weil sie den entscheidenden Durchbruch in Richtung 35-Stun-den-Woche darstelle, muß man nun befürchten, daß dort, wo weitere Wählerschichten nicht genehm sind, Argumente gesucht und gefunden werden, um zusätzliche Ausge-schlossenen-Kurien zu schaffen.

Was die Arbeiterkammerwahl betrifft, ist in nächster Zeit bekanntlich ein hoffentlich einleuchtender Entschluß des Verfassungsgerichtshofes zu erwarten. Die Auseinandersetzung über die Briefwahl findet hingegen noch im parteipolitischen Gruselkabinett statt. Bei einzelnen Argumenten läuft einem ein kalter Schauer über den Rücken: Diese Argumente richten sich selbst!

Ein solches Argument ist etwa jenes, das von Innenminister Erwin Lanc stammt und im „Kurier“ am 6. Jänner 1978 abgedruckt wurde:

„Wenn bettlägerige Leute nicht transportabel sind, nützt ihnen auch die Briefwahl nichts, denn da sind sie eben nicht mehr in der Lage zur Stimmabgabe.“ Worauf der „Kurier“ interpretierte: „Daraus muß geschlossen werden, daß für Lanc bettlägerig gleich debil ist.“ Dem ist nichts hinzuzufügen; außer, daß der Innenminister herzlich eingeladen ist, auf der Leserbriefseite der FURCHE seine geriatrischen Pauschal-Diagnosen zu „relativieren“.

Die Argumente, welche die Volkspartei in die Briefwahldiskussion einbrachte, müssen auch Wählern, die nicht die Geschäfte dieser Partei vpllbringen wollen, durchaus einleuchten: Eine ganze Reihe demokratischer Staaten hat die Briefwahl längst als Selbstverständlichkeit akzeptiert. In der Bundesrepublik Deutschland darf seit 1957 brieflich gewählt werden. Bei der letzten Bundestagswahl machten rund vier Millionen oder zehn Prozent der Wähler von dieser Möglichkeit Gebrauch'.

Auch in Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Holland, Irland, Island, Norwegen, Portugal, San Marino, Großbritannien, Schweden, Schweiz, Spanien und in den Vereinigten Staaten gehört die Möglichkeit, auch mittels Postfuchses an der Wahl teilnehmen zu können, zum demokratischen Instrumentarium.

Aber nicht nur das: Selbst in Österreich hat noch keine Instanz etwas

daran gefunden, daß die Bundesbeamten ihre Personalvertreter, die Niederösterreicher und Steirer ihre Vertretung in der Landarbeiterkammer und die Vorarlberger ihre Landwirtschafts-Kammerräte brieflich wählen dürfen.

Freilich ist es umstritten, ob die Briefwahl für allgemeine Wahlen mit einfacher Mehrheit oder mit qualifizierter Mehrheit (weil verfassungsändernd) beschlossen werden kann. Die Diskussionen, ob die Briefwahl unserer jetzigen Bundesverfassung entspricht, sind bis zu einem gewissen Grad müßig, weil es ja dem Gesetzgeber anheimsteht, auch die Verfassung - eben mit qualifizierter Mehrheit - zu ändern.

Aber auch mit einfacher Mehrheit könnte die Briefwahl realisiert werden, meinen einzelne Experten. Das Prinzip der Unmittelbarkeit und der Persönlichkeit scheint ihnen am wenigsten gefährdet, eher schon das Erfordernis der geheimen Wahl. Aber sprechen nicht auch hier die ausländischen Erfahrungen für die Briefwahl? Außerdem bedroht das Strafgesetzbuch Verletzungen des Wahlgeheimnisses mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten. (Hier muß doch nicht auch schon wieder liberalisiert werden?)

Das einzige Zugeständnis, das die SPÖ zu machen bereit ist, wäre die Ermöglichung der Teilnahme an Wahlen vor österreichischen Vertretungsbehörden im Ausland sowie im Rahmen österreichischer UNO-Truppen. Weil mit einem solchen Schritt für die SPÖ die Briefwahl für alle Zeiten gestorben wäre, sollte sich die Volkspartei die Zustimmung zu einer solchen Mini-Reform sehr gut überlegen.

Und der sonst sehr verbindliche und überlegt handelnde SPÖ-Sozial-experte Edgar Schranz sollte die Briefwahl auch nicht stereotyp als „mögliches Instrument für die Bevormundung der betagten Mitbürger“ sehen. Wäre diese übertriebene Vorsicht in seiner Partei weit verbreitet, hätte man aus Angst vor Mißbräuchen den Aufbau des gesamten österreichischen Sozialsystems nicht in Angriff nehmen dürfen.

Der Kampfruf „Mehr Gleichheit!“ hat bei den Sozialisten bisher immer noch eine gewisse Zugkraft besessen. Warum sollte diese alte sozialistische Idee bei der Briefwahl nicht gelten?

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