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Ein Parteiduell mit neuen Waffen

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In Wien duellieren sich die Parteien mit Volksbefragungen, in Niederösterreich mit indirekten Volksbegehren. Die Regie im Hintergrund ist allerdings durchsichtig.

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In Wien duellieren sich die Parteien mit Volksbefragungen, in Niederösterreich mit indirekten Volksbegehren. Die Regie im Hintergrund ist allerdings durchsichtig.

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In Niederösterreich sind ÖVP und SPÖ stolz auf die gemeinsam beschlossene bürgernahe Landesverfassung. Nun soll ein in dieser Verfassung verankertes Instrument der „Basis“-Demo- kratie erstmals erprobt werden. Aber nicht vom Volk. Die beiden im blau-gelben Landtag vertretenen Parteien wollen es gegeneinander einsetzen.

Vordergründig geht es um das von der ÖVP angestrebte Briefwahlrecht und um die von der SPÖ gewünschte Abschaffung der Landesumlage. Letztlich aber werden sich ÖVP und SPÖ in den kommenden Monaten vor den Augen der Landesbürger in Niederösterreich um das Etikett „Bürgernähe“ duellieren. Als Waffe dient dabei das Initiativrecht der Gemeinden — eine Art indirekten Volksbegehrens.

Durch verschiedene Aktionen, wie Sprechtage des Landeshauptmannes in den Bezirken, Bürgerservice in den Landesamtsstuben, hat sich die ÖVP Niederösterreich

und Siegfried Ludwig ein Image der Bürgernähe aufzubauen begonnen.

Ihr neuester Zug in Richtung Bürgernähe war geschickt eingefädelt. Bei der Anpassung der Landtagswahlordnung an die des Nationalrates beantragte die ÖVP die Einführung der Briefwahl. Wissend, daß die SPÖ einer solchen Verfassungsbestimmung nie zustimmen würde. Tatsächlich machten sich im Landtag am 1. Oktober mehrere SP-Manda- tare gegen die Briefwahl stark.

Ihre sorgsam vorbereitete „Bombe“ zündete die ÖVP am nächsten Tag bei einer Klubklausur in Maria Taferl. Ludwigs Vorwurf: Ausgerechnet im „Jahr der Behinderten“ versage die SPÖ

Alten und Kranken die Erleichterung der Wahl. Als Anwalt dieser Benachteiligten werde die ÖVP eine „Bürgerinitiative“ für die Einführung der Briefwahl starten. Ludwig sprach in Maria Taferl sogar von einem „Volksbegehren“.

Aber — wie erwähnt — die Gemeinden, nicht die Landesbürger sollen initiativ werden. Die neue blau-gelbe Landesverfassung sieht nämlich unter anderem auch vor, daß Gesetzesanträge dann vom Landtag behandelt werden müssen, wenn sie von mindestens 15 Prozent aller Gemeinden im Land unterstützt werden.

Ludwig braucht sich um sein Quasi-Volksbegehren keine Sorgen machen. 15 Prozent von 559 Gemeinden sind genau 84. In über 400 Gemeinden aber regiert in Niederösterreich die ÖVP. Weit über 84 Gemeinden werden also auf „Knopfdruck“ initiativ werden …

Daß vom Landtag die Briefwahl tatsächlich beschlossen wird, wenn — voraussichtlich im Frühjahr 1982 - ein entsprechender Antrag vorliegen sollte, garantiert niemand. Man braucht die Zwei-Drittel-Mehrheit, also auch die Stimmen der SPÖ.

Was zählt ist der Augenblickserfolg. Ludwig kann sich als Fürsprecher von Minderheiten fühlen, für die die meisten zumindest Mitleid übrig haben. Man spricht nicht nur in Niederösterreich von ihm, denn die Briefwahl ist schon seit Jahren stets von der SPÖ zurückgewiesenes Anliegen der gesamten ÖVP.

Schließlich: Durch die Ankündigung dieser Initiative hat die ÖVP dem Landesparteitag der SPÖ, der am 3. Oktober in Ybbs über die Bühne ging, viel Wind aus den Segeln genommen.

Die SPÖ hat die Herausforderung inzwischen angenommen — und auch die Wahl der Waffen akzeptiert. Der SP-Gemeindever- treterverband hat inzwischen seitens der blau-gelben SPÖ ebenfalls ein „Quasi-Volksbegehren“ angekündigt: zur Abschaffung der „Landesumlage“.

Das sind jene rund 470 Millionen Schilling, die das Land aus den für die Gemeinden bestimmten Bundesertragsanteilen für einen landesinternen Finanzausgleich zugunsten ärmerer Gemeinden zurückbehält.

Auch dieses „Volksbegehren“ wird vom Landtag behandelt werden müssen. Die SPÖ wird dafür ebenso mehr als die für eine Unterstützung notwendigen 84 Gemeinden in Bewegung setzen können.

Wie wird das Duell der Bürgerinitiativen“ um die Bürgernähe ausgehen?

Nun, die SPÖ hat sich bereits gegen die Briefwahl eingeschworen. Nicht weil sie gegen die Behinderten, Alten und Kranken ist (wie es die ÖVP in ihrer Propaganda trommelt), da es ohnehin „fliegende Wahlkommissionen“ und „Schlepperdienste“ gebe (über deren Humanität sich streiten läßt). Die Briefwahl sollen laut ÖVP aber auch Leute beanspruchen können, die am Wahltag das Geschäft von der Urne abhält. Oder der Urlaub. Das aber sind wiederum weniger SP-Wähler.

Die OVP wird ihrerseits gegen das Begehren der SP-Gemeinden für Abschaffung der Landesumlage kaum nachdrücklich an die Parteidisziplin „ihrer“ Gemeinden appellieren müssen. Davon würden nämlich vor allem die Großgemeinden profitieren. Und die meisten Großgemeinden sind SP-dominiert.

Ändern wird sich also wenig. Zu befürchten aber ist, daß das als Instrument der direkteren Demokratie gedachte Initiativrecht der Gemeinden durch die Parteienregie entwertet wird.

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