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Vernarbte Schrammen

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Niederösterreichs Landespolitiker können heuer ruhige Ferien genießen. Die 10. Bundesgesetzgebungsperiode im Landtag hat recht friedlich begonnen. ÖVP und SPÖ hatten sich nach mehreren Verhandlungsrunden über die Kompetenzaufteilung in der Landesregierung geeinigt. Die Wahl der Regierungsmitglieder erfolgte daher auch mit den Stimmen beider Parteien. Der Grundstein für eine weitere Zusammenarbeit im Landhaus in der Wiener Herrengasse ist gelegt.

Die kleinen Schrammen, die die Politiker aus dam Landtagswahlkampf mitbekommen haben, scheinen vernarbt zu sein. Der scharfe politische Wind, der auf Bundesebene weht, war in Niederösterreich nur im Wahlkampf spürbar. Am Beginn der Regierungsverhandlungen im Landhaus gab es allerdings dort und da Anzeichen, daß es auch in Niederösterreich zu einem grundsätzlichen Klimawechsel kommen könnte. Ein Scheitern der Verhandlungen hätte auch tatsächlich eine Zusammenarbeit in der Landesregierung und im Landtag erschwert. Die Volkspartei hätte es in der Hand gehabt, durch eine Mehrheitsentscheidung noch mehr Kompetenzen an sich zu ziehen. Daß es zu einem Kompromiß kam, zeigt, daß jene Kräfte in den beiden Parteien gesiegt haben, die eine sachliche Kooperation vorziehen.

Nun, wie sieht der neue „Koalitionspakt“ in Niederösterreich aus? Was bringt die Parteienrvereinbarung für die nächsten fünf Jahre? Nimmt man das Ergebnis der Verhandlungen kurz unter die Lupe, so fällt vorerst auf, daß der sozialistische Gemeindereferent, Landeshauptmannstellvertreter Czettel, auf die Agenden der örtlichen Raumplanung verzichtet hat. Sie werden nun von Landeshauptmannstellvertreter Ludwig wahrgenommen, der ja bekanntlich seit jeher für die überörtliche Raumplanung zuständig ist.

Was steckt hier dahinter? Die sogenannte örtliche Raumplanung bezieht sich in erster Linie auf die Flächenwidmungspläne der Gemeinden. Von größerer politischer Tragweite ist die sogenannte überörtliche Raumplanung, die sich mit der Aufstellung der großen Raumordnungspragramme beschäftigt. (In Nieder-ästerreich wurden bereits sieben solche Raumordnungsprogramme — für Industrie, Fremdenverkehr, Gesundheitswesen, Landwirtschaft usw. — in Kraft gesetzt.) Die Trennung der Kompetenzen war sachlich und verwaltungstechnisch nde eine ideale Lösung. Sie erfolgte allein aus politischen Gründen. Czettel erhält aber nun ein Einsdchtsrecht.

Die zweite kleine „Machtverschiebung“ betrifft den Finanzreferenten und Landeshauptmannstellvertreter Ludwig, dem das Recht eingeräumt wird, bei der von Czettel vorzunehmenden Verteilung der Bedarfszu-wedsungen an die Gemeinden mitzuwirken. Dazu ist zu sagen, daß der Gemeindereferent die Verteilung der vielen Millionen an die Gemeinden auch bisher selten ohne Kontakt-nahme mit ÖVP-Regierungsmitglie-dern vorgenommen hat. Außerdem gibt es ja genaue Förderungsrichtlinien. Nun wird aber die Mitwirkung der Volkspartei in der Regierungsvereinbarung schriftlich abgesichert.

Einschneidender ist auf den ersten Blick, daß ein Teil aus der Vollziehung des neuen großen Sozialhilfegesetzes aus der Kompetenz der So-zdalreferentin Anna Kömer herausgenommen wird. Für verschiedene Sozialhilfeeinrichtungen — es betrifft im wesentlichen die Errichtung und den Ausbau verschiedener Alters- und Pflegeheime — wird in Hinkunft auch ein ÖVP-Regierungs-mitglied zuständig sein.

Auf sozialistischer Seite hat man sich gegen diese Maßnahme vorerst heftig zur Wehr gesetzt. Die Volkspartei argumentierte damit, daß es sich bei vielen Kompetenzen aus dem neuen Sozialhilfegesetz eben um neue Kompetenzen für das Sozialreferat handle. Nicht nur, daß neue Aufgabenbereiche geschaffen wurden, durch die Auflösung der Be-zdrksfürsorgeverbände wurde dem Land ein weiterer Machtbereich zugeordnet. Und von diesem Kuchen wollte sich auch die Volkspartei „ein Stück abschneiden“.

Eine größere Machtverschiebung war auf Grund des Gewinnes von einem Mandat durch die Volkspartei aber dennoch nicht zu erwarten und zu ihr ist es auch nicht gekommen. Allerdings kam es auch nicht zu der großen Kompetenzbereinigung, von der man vor den Verhandlungen — besonders in Kreisen der Volkspartei — gesprochen hat.

Es deuten fredlich einige Zeichen darauf hin, daß es im Zuge der Verfassungsreform, die ja Präsident Robl erneut angekündigt hat, auch zu einer großen Kompetenzbereinigung in der Landesverwaltung kommen könnte. Übrigens wird nun in diesem Zusammenhang die Möglichkeit einer Erweiterung der Landesregierung von sieben auf neun Mitglieder immer öfters ventiliert.

Macht man einen kurzen Ausblick auf die kommende Gesetzgebungsperiode, so muß man die Reform der Landesverfassung, für die ja beide Parteien bereits Gesetzentwürfe ausgearbeitet haben, als das größte und wichtigste Anliegen ansehen. Landeshauptmann Maurer und sein Stellvertreter Czettel — er erholt sich von einer schweren Herzattacke in einem Kurheim an der Hohen Wand — haben in der eben beendeten Gesetzgebungsperiode durch die recht schwierige Kommunalstrukturreform gezeigt, daß sie imstande sind, auch gegensätzliche Standpunkte auf einen Nenner zu bringen.

Für die sicher ebenso schwierige Reform der Landesverfassung — es geht hier auch um den Einbau von Elementen der direkten Demokratie — ist ein gutes politisches Klima Voraussetzung. Das ist nun, nach der Einigung bei den Parteienverhandlungen und der einstimmigen Wahl der Regierungsmitglieder, gegeben.

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