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Nachdem allenthalben Bürgerinitiativen und Volksbegehren den Wunsch des Bürgers nach Mitgestaltung augenfällig demonstrierten, ist offenbar die Zeit gekommen, die rechtlichen Grundlagen der Länder und Gemeinden diesem Wollen anzupassen. So legte der Landtagsklub der niederösterreichischen ÖVP einen Entwurf für ein neues Landesverfassungsgesetz vor, der tiefgreifende Änderungen und nicht bloß Oberflächenkosmetik der seit immerhin 1920 geltenden Verfassung Niederösterreichs vorsieht.

Der vorgelegte Verfassungsentwurf beschreitet über weite Strecken tatsächlich neue Wege. So etwa

• bei der Festlegung eines verfassungsgesetzlichen Rahmens für „Lebensbedingungen“ („Das Land Niederösterreich hat dafür zu sorgen, daß zum Schutz der Lebensbereiche von Menschen, Tieren, Pflanzen [Umwelt] gegen Eingriffe, die einen schädigenden Einfluß auf sie auszuüben geeignet sind, sowie zur Verbesserung der Vmweltbedinungen alle erforderlichen Maßnahmen getroffen werden.“);

• oder durch unmittelbare Mitwirkung des Volkes an der Gesetzgebung und an der Vollziehung sowie

• die Schaffung eines Landesbeirates für Jugend-, Familien- und Außenpolitik, denen ein Begutachtungsrecht für Landesgesetze eingeräumt wird.

Im einzelnen haben entweder 5 Prozent der Landesbürger oder 10 Prozent der Gemeinden Niederösterreichs das Recht, Initiativen „auf Erlassung, Abänderung oder Aufhebung von Landesgesetzen“ zu ergreifen. Dieses Initiativrecht, das in Form einer einfachen Anregung oder eines ausgearbeiteten Gesetzesentwurfs ausgeübt werden kann, steht auch wahlwerbenden Parteien zu, „die bei der zuletzt vorangegangenen Landtagswahl wohl mindestens 5 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen auf sich vereini-

gen konnten, aber kein Mandat im Landtag erreicht haben“.

Gegen Gesetzesbeschlüsse des Landtages haben gleichfalls 5 Prozent der Wahlberechtigten das Recht, vor Kundmachung des Gesetzes einen Einspruch zu erheben. Das Gesetz tritt dann bis zum Abschluß des Verfahrens nicht in Kraft.

Außer diesen neuen Verfassungsinstituten, die zum Teil echtes demokratisches Neuland betreten, gibt es noch einige Verzierungen. So die Verlängerung der Legislaturperiode und der Amtsdauer der Landesregierung von fünf auf sechs Jahre oder die Schaffung einer Landesbürgerschaft: österreichische Staatsbürger, die in einer Gemeinde des Landes Niederösterreich ihren ordentlichen Wohnsitz haben, sind — unbeschadet staatsbürgerlicher Vorschriften — niederösterreichische Landesbürger.“ Der Sinn dieser Bestimmung „liegt darin, das Niederösterreichbewußtsein der Bevölkerung anzuheben und den Kreis der Mitwirkungsberechtigten an Gesetzgebung und Vollziehung zu umschreiben“.

Parallel zu diesen Bemühungen der Landtagsklubs — auch die SPÖ arbeitete einen Verfassungsentwurf aus — um eine moderne Landesverfassung für Niederösterreich, werden zwischen den Parteien Verhandlungen über eine Novellierung der Landtagswahlordnung geführt. Dabei geht es vor allem darum, den Kleinparteien, sprich der FPÖ, bei den nächsten Landtagswahlen im kommenden Jahr den Sprung in den Landtag zu ermöglichen. Beide Parteien sind daran interessiert, dem Zünglein an der Waage Vorleistungen zu erbringen. Die Verhandlungen scheinen schon weit gediehen. Ob freilich der Wähler bei den Landtagswahlen dieses Unterfangen honorieren wird, bleibt abzuwarten. Im Augenblick, nach den Landtagswahlen in Wien und Oberösterreich und den bekannten Ergebnissen für die Freiheitlichen, darf daran gezweifelt werden.

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