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Brüderlichkeit als Lösung
Die Dreiheit der Leitworte der französischen Revolution (Freiheit — Gleichheit — Brüderlichkeit) ist auseinandergefallen: Das Schlagwort Freiheit mit seinem Hauptrepräsentanten USA und das Schlagwort Gleichheit mit seinem Wortführer UdSSR stehen miteinander in Konflikt.
Der Gegensatz wird nicht dadurch gemildert, daß in Amerika die Freiheit nicht völlig verwirklicht ist (z. B. Negerproblem) und in Rußland nicht die Gleichheit (z. B. Nomenklatura). Die beiden Unvollkommenheiten verhärten die Standpunkte nur noch mehr.
Man behauptet leichthin, Frieden würde sich quasi von selbst einstellen, wenn man nur die Freiheit bzw. die Gleichheit auf der ganzen Welt verwirklichen könnte - und damit kommt man immer mehr in den Konflikt.
Für die Länder mit der Erfahrung der unbegrenzten Möglichkeiten ist die Einsicht der Begrenztheit der Welt offensichtlich schwer zu erlangen. Entscheidend
hat wohl auch die Technisierung mit ihren Möglichkeiten wesentlich an dem Bild der unbegrenzten Welt beigetragen.
Freiheit der Wirtschaft kann auf die Dauer nicht zur Freiheit der Menschen führen, bestenfalls zum Überleben der einen auf Kosten der anderen.
Mit der Gleichheit hinter dem Eisernen Vorhang gibt es auch so Probleme. Vor allem scheint der Kommunismus das Kind mit dem Bade ausgegossen zu haben, als er mit der Abschaffung des Industriekapitalismus auch gleich die privatwirtschaftliche Struktur der bäuerlichen und gewerblichen Betriebe sowie des konsumentennahen Handels an die staatliche Planung überführte. Damit hat er seine Organisationskapazität weit überschätzt.
Die beiden angesprochenen Sy
steme in Ost und West sind offensichtlich nicht in der Lage, sich aus sich heraus zu rechtfertigen — eine Rechtfertigung bezieht man jeweils aus den Fehlern des anderen.
Von den vier Milliarden Menschen der Welt leben drei Viertel im Bereich, der überwiegend marktwirtschaftlich orientiert ist. Hier sind beileibe nicht alle Menschen frei von politischer Unterdrückung oder wirtschaftlicher Notlage. Wenn der Kommunismus aber das Arbeiterparadies hätte schaffen können, würde sein Siegeszug ohnedies kaum aufzuhalten sein.
Zu sehr hat sich offensichtlich die Tradition der zwischenmenschlichen Beziehungen des zaristischen Rußlands auf die Wirklichkeit der Sowjetunion übertragen. Die Führungstechnik
läuft irgendwie unberührt neben dem politischen Ideal einher und gestaltet die Wirklichkeit.
Die Wahlen in Spanien und in Frankreich, die von den sozialistischen Parteien gewonnen wurden, werden nicht ohne Rückwirkung auf Österreich bleiben. Eindeutig hat man das „österreichische Modell" dort als Vorbild genommen. Und mit der Hoffnung auf „Solidarität“ durch eine gemäßigte Partei ist auch gleichzeitig der Einfluß des Kommunismus entscheidend zurückgedrängt worden.
Es ist erstaunlich, wie sehr sich die OVP in Österreich die Früchte einer Entwicklung, die sie entscheidend mitvollzogen hat, aus der Hand nehmen läßt: Um der/ gegenwärtigen Krise davonzureiten, setzt sie immer mehr auf die liberale Strömung.
Wahrscheinlich ist das mitteleuropäische Prinzip der kooperativen Wirtschaftsführung durch Sozialpartnerschaft die beste Annäherung an das, was in der christlichen Soziallehre als „Brüderlichkeit" verstanden werden kann. Brüderlichkeit ist sicher kein Verhältnis, das konfliktfrei vorstellbar ist; es kann aber doch das Eintreten füreinander im Bedarfsfall nicht ausschließen.
Einkommen müssen wohl nicht gleich, aber doch vergleichbar bleiben. Die österreichischen Einkommen umfassen die Spanne von eins zu hundert, von Mindestrentnern und Wehrmännern auf der einen und von Generaldirektoren auf der anderen Seite — ob dies wohl noch im Einklang mit Brüderlichkeit zu verstehen ist?!
Frieden basiert auf einem Mindestmaß von Einverständnis —jedenfalls zeigen sich zwischen österreichischem Sozial- und Wirtschaftssystem als soziale Marktwirtschaft und den jugoslawischen und ungarischen Systemen eine viel größere Gemeinschaftlichkeit als zwischen den Systemen der Führungsblocks in Ost und West.
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