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Die Differenzierung

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Der OPEC-Überfall vom 21. Dezember in Wien war die Vorschau. Tat, Flucht, vor allem das gute Ende in Algerien und in Libyen kündeten die Ausbruchsstellen und den Ablauf zukünftiger Krisen in der Dritten Welt an. Da die Krisen sich meistens an den Fragen der Beziehungen zum industrialisierten Westen eÄtzüntfen. wählen die Radikalen die Demokratien des Westens als Schauplätze ihrer Aktionen — risikolos und ohne große Angst vor den persönlichen Folgen kann man hier den Gemäßigten der Dritten Welt eine Lehre erteilen und zugleich die Demokratien demütigen.

Theoretisch kann man die Szene vom 21. Dezember auf jeden Ort künftiger Verhandlungen projizieren. Wie die OPEC-Minister in Wien, könnten dann die Teilnehmer an Gesprächen, soweit nicht besser be-r wacht, von Piraten aufgebracht werden. Der Raubzug endet, wie in der Vorschau, im Land der Auftraggeber. Dort können die Piraten, geschützt und geehrt, auf lühre nächste Berufung warten; die Geiseln werden, geht alles gut, in ihre Staaten entlassen. Die jeweils Radikalen haben den Gemäßigten und den Demokratien des Westens ihren Willen, zumindest temporär, aufgezwungen. Die Verhandlung ist verschoben, die Tagesordnung traumatisch belastet. Terror, in zahllosen Varianten, kann alle Versuche der Annäherung auf das Tempo einer Springprozession, einen Schritt vor und zwei zurück, drücken. Zeit und Terror werden, glauben die Radikalen, für sie arbeiten. Peking und Moskau, unter dem Zwang des gegenseitigen Hinauflizi-tierens, müssen diesen Glauben stärken.

In der EG wird der 21. Dezember , als Ausgangspunkt genommen, einen Pakt gegen den Terrorismus vorzubereiten, der sich auch gegen die Auftrags- und Schutzstaaten der Terroristen richtet. Er soll die Vorstufe für eine internationale Konvention gegen den Terrorismus sein, der sich natürlich auch die Staaten der Dritten Welt anschließen können — und sollen. Die aggressiven Staaten werden Farbe bekennen, wenn sie sich weigern, der Konvention beizutreten. Andere Staaten, statt von den Radikalen überschattet zu werden, finden sich dann in einer neuen Interessengemeinschaft mit den Demokratien des Westens. Der Abwehrwille der westlichen Demokratien gegen Terroristen und deren staatliche Beschützer ist auch eine politische Kraft, stärkt den Gemäßigten der Dritten Welt den Rücken und isoliert die Aggressiven, die Radikalen. Im Prozeß der Differenzierungen in der Dritten Welt wird dann das Bekenntnis für oder gegen O-en Terror eine große Rolle spielen. Die Reaktionen Ägyptens und Senegals auf den OPEC-Überfall beweisen, daß d; s keine illusionären Über-legungen sand.

Der 21. Dezember zeigte den Dif-ferenzierungsprozeß in der Dritten Welt klar und deutlich. Die Auftraggeber der Terroristen wollten der OPEC-Ordnung den Kampfansagen, die OPEC-Politik in die Richtung ihrer Wünsche zwingen. Den Kräften, die eine Wechselbeziehung zwischen arabischem ölreichtum und westlicher Produktionskraft anstrebten, sollte die Bedeutung des Erdöls als Waffe im Kampf gegen den „Imperialismus“ eingebleut werden.

Der 21. Dezember in Wien zeigte: zwei „Klassenkämpfe“ beherrschen, ineinander verschachtelt, die Politik der Dritten Welt. Da ist der alte Kampf der armen Länder gegen die reichen, der Rohstoffproduzenten gegen die Rohstoffverbraucher, der Diktaturen der Dritten Welt gegen die westliche Demokratie. Erhärtet noch die äußer* So!wariUit. beherrscht noch die Sentiments. In dieser Klassenfront sind einige sehr reich geworden, andere sehr arm geblieben, eine neue Gruppierung zeichnet sich ab. Einige, nicht unbedingt die Armen, glauben, daß der Weg zu ihren Zielen über die Zerstörung der westlichen Demokratie geht. Die anderen, geduldig und weise, wollen die Wirtschaftskraft des Westens sich erst profitabel und später dienstbar machen.

Doch die Anziehungskraft des radikalen Rassen-, Glaubens- und Klassenkampfes ist noch stärker als die Kraft der Spekulation mit der westlichen Produktionskapazität. Für die Arbeitslosen in den armen Ländern ist der Warenüberfluß des Westens kaum eine Versuchung In den arabischen Ländern wiegt die panislamitische Kraft mehr als der Überfluß des Westens. Bricht ein Konflikt zwischen gegnerischen Kräften der Dritten Welt auf einem Schauplatz im Westen aus, so werden selbst die Gegner sich in der Solidarität gegen den Westen finden. Sie haben ühre eigenen Methoden, mit Attentätern aus dem gegnerischen Lager fertig zu werden. Auslieferung an eine westliche Demokratie gehört nicht dazu.

Das Problem des Terrorismus wird von den Schützern der Terroristen gern als ein politisches bezeichnet, gut. So ist auch der Kampf gegen den Terrorismus und dessen Zentren ein politischer. Die „Frankfurter Allgemeine“ mahnt die deutsche Bundesregierung: Wenn es auch kein Auslieferungsabkommen gebe, so müsse Bonn doch einen (Räuber-) Staat, der Verbrecher dem Arm der deutschen Justiz entzieht, vor die Wahl: Auslieferung oder Verschlechterung der Beziehungen stellen.

Wieviel bessere Mittel hätte das neutrale Österreich, Schauplatz des Verbrechens, Beobachter auf den Konferenzen der Blocklosen. Es könnte den Weg in eine Internationale der Terrorbekämpfung weisen, würde es die Auslieferung zur politischen Forderung machen: von einem neutralen Staat erhoben, an die Blocklosen adressiert, vor jedem politischen Forum vorgetragen.

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