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Die Grünen haben sich stabilisiert

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Trotz gescheitertem Protest gegen j die NATO-Nachrüstung und innerparteilichen Streitereien haben sich die Grünen in der Bundesrepublik schon eindeutig als dritte politische Kraft konsolidiert.

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Trotz gescheitertem Protest gegen j die NATO-Nachrüstung und innerparteilichen Streitereien haben sich die Grünen in der Bundesrepublik schon eindeutig als dritte politische Kraft konsolidiert.

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Die Wahlen des ersten Halbjahres in der Bundesrepublik (Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Kommunalwahlen in Bayern, Rheinland-Pfalz und dem Saarland sowie Europawahlen) haben trotz unterschiedlicher Bedeutung und Ausgangslage doch einige gemeinsame Erkenntnisse gebracht:

Erstens kann fast zwei Jahre nach der Wende in Bonn die FDP noch nicht als konsolidiert betrachtet werden. Zweitens ist es der SPD trotz „Oppositions-Bo-

nus" nicht gelungen, Schwächen der Regierung für sich in Wahlerfolge umzumünzen. Während die CDU oder etwa in Österreich die ÖVP nach Verweis auf die Oppositionsbänke relativ bald bei Regionalwahlen zum Teil spektakuläre Erfolge buchen konnte, rutschte die SPD vor allem bei der Europawahl und den Landtagswahlen in Baden-Württemberg um weitere Prozentpunkte ab.

Nutznießer des Abbröcke-lungsprozesses der drei etablierten politischen Lager in der Bundesrepublik waren die Grünen, die dritte Erkenntnis aus den letzten Wahlen. Obwohl das Thema Umweltschutz von den übrigen Parteien übernommen wurde und das zweite Standbein der Grünen, die „Friedensbewegung", seit Jahreswende nach dem Scheitern des Protests gegen die Nachrüstung vergleichsweise an Bedeutung verloren hatte, gelang es ihnen in den letzten Wahlen, die FDP zu überrunden und sich eindeutig als dritte politische Kraft zu konsolidieren.

Das alles auch trotz der häufigen Streitereien: General d. D. Bastian ist aus der Fraktion ausgetreten, und die Diskussion um die Rotation, das heißt des Austausches der Mandate in der Mitte der Legislaturperiode, wird in einer unwürdigen Weise geführt.

Würde das alles sich bei einer etablierten Partei abspielen, so würden ihr beim nächsten Urnengang die Wähler in Scharen weglaufen. Bei den Grünen gehen die Uhren offenbar anders, sie legten bei den Landtagswahlen kräftig zu. In der Universitätsstadt Tübingen etwa erreichten sie fast 20 Prozent.

Wer sind nun die Wähler der Grünen, die seit gut fünf Jahren wie in keinem anderen Land des demokratischen Westens angetreten sind, das herkömmliche Parteiensystem durcheinanderzubringen?

Bereits Ende 1981 wurde in einer Untersuchung des Allensbacher Instituts für Demoskopie (Professor Noelle-Neumann) 'das Wählerpotential auf 15 Prozent geschätzt. Daran hat sich im Prinzip wenig geändert. Den Grünen gelingt es jedoch, bei jedem Urnengang dieses Potential immer stärker auszuschöpfen. Die Altersgruppe unter 30 Jahren ist dabei stark überpräsentiert. 60 Prozent der grünen Wähler sind unter 30 Jahren (die Dreißigjährigen machen an der Gesamtbevölkerung nur 26 Prozent aus!).

Uberpräsentiert sind auch die Leute mit Oberschulbildung (56 zu 39 Prozent an der Gesamtbevölkerung) und die Konfessionslosen (18 zu 9 Prozent). Wie überhaupt das Thema Kirche beziehungsweise Religion in der offiziellen Arbeit der Grünen nicht vorkommt (weder negativ noch

positiv), während bei gewissen Teilen beider Kirchen grün-alternative Themen angenommen werden.

In der Berufsstruktur des grünen Wählerpotentials zeigen sich deutliche Unterschiede zur Gesamtbevölkerung. Jeder zweite ist Schüler, Lehrling oder Student, darüber hinaus sind pädagogische Berufe (Lehrer) und soziale Berufe (Sozialhelfer) sehr stark vertreten. Berufe, die Grundeinsichten in wirtschaftliche Dinge mit sich bringen, etwa, daß man nicht mehr ausgeben kann, als man erwirtschaftet, sind stark unterrepr ä sentiert.

Mit Recht hat Elisabeth Noelle-Neumann vor kurzem festgestellt,

daß ejn solcher Parteitypus in der parlamentarisch-demokratischen Welt einzigartig ist. Auch in verschiedenen Wertvorstellungen differieren die Grünen zur Gesamtbevölkerung, so in der Einstellung zur Moral, zum demokratischen Rechtsstaat, zur Gewalt, zu Fragen der Verteidigung usw.

In einer jüngst vorgelegten Studie Elisabeth Noelle-Neumanns über die Ubereinstimmung der Generationen bei Wertvorstellungen, die in verschiedenen Staaten der ganzen Welt durchgeführt wurde, hat sich gezeigt, daß die Ubereinstimmung der Generationen in der Bundesrepublik am geringsten ist. Stimmen in den USA die Jugendlichen zu 48 Prozent in politischen Ansichten mit ihren Eltern überein, so sind es in Europa 36, in der Bundesrepublik nur 28 Prozent.

Ein paralleler Trend findet sich auch bei anderen Wertvorstellungen. Während bis Anfang der sechziger Jahre ähnlich gleiche Werte in den untersuchten Ländern zu beobachten waren, begann danach die Differenzierung vor allem in der Bundesrepublik, wo diese Kluft am größten ist. Noelle-Neumann sieht in dieser

Kluft eine wesentliche Ursache für die grüne Bewegung.

Nach ihr ist die Studentenbewegung des Jahres 1968, verbunden mit den antiautoritären und emanzipatorischen Bewegungen, für diese Kluft verantwortlich. Zwar sind diese Erscheinungen auch in anderen Ländern zu beobachten gewesen (etwa in den USA oder in Frankreich), doch haben sie dort nie diese Bedeutung wie in der Bundesrepublik erlangt.

Mit Sorge beobachten die westeuropäischen Partner den ÖkoPazifismus in der BRD, jüngstes Beispiel ist das Buch des französischen Intellektuellen Andre

Glucksmann „Philosophie der Abschreckung", der vor den Grünen und der mit ihr verbundenen Friedensbewegung warnt.

Obwohl Österreich auch zum deutschen Kulturraum gehört, weist Noelle-Neumann darauf hin, daß in dieser Beziehung ein deutlicher Unterschied zur Bundesrepublik besteht. Daß deren westliche Nachbarn Angst vor einem wieder unruhigen Deutschland haben, in dem ein neuer, diesmal aber linker Nationalismus entstehen könnte, kann man ihnen nach den historischen Erfahrungen nicht verübeln.

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