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Diskret neoliberal
Bischöfe reden heute wie Kommunisten, Sozialisten wie Liberale.” Diese starken Worte sprach letzte Woche Hans-Peter Martin bei einer Diskussion in Wien. Nun wird niemand die Bischöfe ernsthaft in die Nähe der leninistischen Version des Kommunismus rücken. Ihre Kritik am herrschenden Wirtschaftssystem ist vielmehr in der Tradition der Bergpredigt zu interpretieren. Aber ist es nicht auch abwegig, gerade der Sozialdemokratie Affinitäten zum Neoliberalismus zu unterstellen? Plagt-sie sich nicht redlich damit ab, Sozialstaat, Umverteilung und Arbeitsplätze zu verteidigen?
Der Schein täuscht: Den zeitgenössischen Sozialismus trennen vom ökonomischen Liberalismus keine nennenswerten Meinungsverschiedenheiten. Beide gehen davon aus, daß der Mensch seinen Nutzen am Markt maximiert, daß Beichtum in Geld zu messen ist und alle ein Interesse am Wachstum des Sozialprodukts haben. Dieses System braucht zum Überleben neue Märkte und Verwertungsfelder. Es genügt ihm nicht mehr, Waren nur als Mittel zum Leben zu begreifen. Das Verhältnis von Menschen und Waren wird auf den Kopf gestellt. Der Mensch wird zum kalkulierbaren Zwischenglied zwischen Fabrik und Müllkippe, seine Fähigkeit zum Erleben und Fühlen zur Ansammlung von Rezeptoren für industriell erzeugte Erlebniswaren.
Wenn Bischöfe darin eine Zerstörung der Menschenwürde und eine Erniedrigung der integralen menschlichen Persönlichkeit sehen, so drücken sie damit eine im Zustand wacher Selbstbesinnung jederzeit erlebbare Wahrheit aus. Sozialdemokraten, die diesen Prozeß in ihrer neoliberalen Verblendung als Fortschritt verstehen, weil die neuen Märkte Arbeit und Einkommen sichern, geben den humanistischen Kern ihrer Identität preis. Indem sie sich nur als (Um-)-Verteilungsagentur begreifen, machen sie sich zu Komplizen einer „Zivilisation des Todes”. Die Menschen werden dadurch um eine ehemals strahlende Hoffnung ärmer: Umso größer ist die Verantwortung der Religionen, der Versuchung eines pragmatischen Arrangements zu widerstehen.
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