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Ein System des Widerspruches

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Das Jahr 1948, als Tito mit Stalin brach und Jugoslawien aus der Gemeinschaft der kommunistischen Staaten ausgeschlossen wurde, war die Geburtsstunde des „Titoismus".

Was bedeutet dieser heute wieder so aktuell gewordene Begriff? Darauf läßt sich mit Ernst Fischer eine sehr einfache Antwort geben: Titoismus sei zwar kein theoretisch abgerundetes und in sich geschlossenes ideologisches System, aber eine „geschichtliche Tat". .

Worin bestand sie? Schon bald nach dem Angriff Nazi-Deutschlands auf Jugoslawien wurden Titos kommunistische Partisanen die militärisch stärkste Widerstandskraft am Balkan; dies brachte ihnen Respekt bei den Westallierten wie bei der Sowjetunion, die Unterstützung beider Seiten und damit eine gewisse Unabhängigkeit von beiden. Damit war der Konflikt mit dem damaligen kommunistischen Weltzentrum Moskau potentiell gelegt und er mußte ausbrechen, als das jugoslawische Selbstbewußtsein, verkörpert in Tito, mit sowjetischem Machtbewußtsein zusammenstieß.

Tito und seine Partisanen glaubten nämlich, für ihr Land das gleiche vollbracht zu haben wie seinerzeit Lenin und seine Bolschewiki für Rußland. Aus dieser Erkenntnis heraus konnte Tito formulieren: „Gleichgültig, wie sehr jeder von uns das Land des Sozialismus, die UdSSR, liebt, keinesfalls kann er sein eigenes Land, das ebenfalls den Sozialismus aufbaut, weniger lieben."

Diese revolutionäre „Ebenbürtigkeit" und „Anmaßung" war für Stalin unerträglich und er mußte Tito „exkommunizieren". Aus der Not des Moskauer Bannfluchs macht aber der in Moskau geschulte und „disziplinierte Kommunist" (Tito über Tito) eine Tugend: Er zeigte - um mit Arnold Toynbee zu reden -, wie man auf eine „lebensgefährliche Herausforderung eine rettende und schöpferische Antwort" gibt. Tito entwik-kelte den „Titoismus" als ein politisches System, das nicht aus der Theorie, sondern aus der Praxis geboren wurde.

Der eine Eckpfeiler des Titoismus war und ist die Blockfreiheit.

1946 saßen die jugoslawischen Führer zwischen zwei Stühlen: Vom Osten waren sie ausgeschlossen, in den Westen wollten und konnten sie als „Kommunisten", die sie in ihrem Selbstverständnis waren und sind, nicht gehen. So ergab sich zwingend die Notwendigkeit, sich als kleines Land zwischen den Machtblöcken mit fremder oder feindlicher Ideologie zu behaupten - und daher Bundesgenossen zu suchen, die schließlich in den Staaten der Dritten Welt gefunden wurden.

Aus der praWizierten Politik- der Blockfreiheit lassen sich heute gewisse Regeln ableiten: Es gilt Balance zu halten zwischen Ost und West, nicht ein stur und stets eingehaltenes Gleichgewicht zwischen den Blöcken.

Blockfreiheit ist grundsätzlich anders als Neutralität, die gebietet, sich aus Krisen herauszuhalten, während Blockfreiheit Engagement in eben diesen Krisen - wenn es dafür eine ideologische Rechtfertigung gibt -erfordert.

Neben der Blockfreiheit ist das zweite Fundament des Titoismus der sogenannte „Selbstverwaltungssozialismus", geschaffen 1948 aus der Notwendigkeit, sich vom Sowjetsystem abzugrenzen. Heraus kam dabei ein Bündel von Kompromissen.

Ein System des Widerspruchs also: Machtdezentralisierung zugunsten einzelner Republiken, jedoch eine allgegenwärtige zentralistische Kaderpartei; Versuche das Feuer sozialistischer Planbürokratie mit dem Wasser der Mitbestimmung der Werktätigen über ihre Produktionsprozesse zu vereinen; mit der marxistischen These von den „gemeinsamen Interessen der Arbeiterschaft" nationale Gegensätze zusammenzuklammern; einen dritten Weg zwischen Privat- und Staatskapitalismus zu gehen - und in Resten beide in der Gesellschaft zu erhalten.

Es hieße wohl, den Wert der Persönlichkeit in Geschichte und Politik zu gering zu veranschlagen, wenn man behauptete, der „Titoismus" ohne Tito könnte derselbe bleiben wie der Titoismus mit Josip Broz. Ein Wandel ist unausbleiblich.

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