7013596-1988_18_06.jpg
Digital In Arbeit

Endlose Haft

19451960198020002020

Manche Menschen verbringen Jahre, ja Jahrzehnte ohne Urteil oder wegen lächerlicher Gründe in Haft. Mancher Fall erregt zunächst Aufsehen. Aber nur allzu rasch gerät der Betroffene in Vergessenheit. „Amnesty International“ versucht, das Bewußtsein wachzuhalten und die internationale öffentliche Meinung zu mobilisieren. Im folgenden einige Fälle.

19451960198020002020

Manche Menschen verbringen Jahre, ja Jahrzehnte ohne Urteil oder wegen lächerlicher Gründe in Haft. Mancher Fall erregt zunächst Aufsehen. Aber nur allzu rasch gerät der Betroffene in Vergessenheit. „Amnesty International“ versucht, das Bewußtsein wachzuhalten und die internationale öffentliche Meinung zu mobilisieren. Im folgenden einige Fälle.

Werbung
Werbung
Werbung

Weil er es ablehnte, der regierenden Partei seines Landes beizutreten oder diese zu unterstützen, befindet sich der somalische Rechtsanwalt Yusuf Osman Sa-mantar seit nunmehr zwölf Jahren ohne Anklage oder Gerichtsverfahren in Haft. Der inzwischen 55 Jahre alte Jurist wird in einem Hochsicherheitsgefängnis in ständiger Einzelhaft gehalten.

In den zurückliegenden zwölf Jahren erhielten seine Angehörigen nicht ein einziges Mal die Genehmigung, den Gefangenen zu besuchen. Persönlicher Kontakt zu seinem Rechtsanwalt ist ihm untersagt, mit seiner Familie darf er nicht korrespondieren, und jegliches Lesematerial wird ihm vorenthalten.

Recep Marasli wurde zu 36 Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Nahezu sechs Jahre hat der erst 31jährige bereits im Gefängnis zugebracht. Welchen Vergehens

er sich schuldig gemacht hat, das es rechtfertigen würde, ihn so wichtige Jahre seines Lebens hinter Gefängnismauern festzuhalten? Recep Marasli hat Bücher über die kurdische Minderheit in der Türkei publiziert. In erster Linie wegen dieses „Verbrechens“ wurde er verurteilt.

Lu Hsiu-Lien, Rechtsanwältin, Schriftstellerin und Taiwans führende Frauenrechtlerin, wurde 1980 unter der Anklage des Aufruhrs zu zwölf Jahren Haft verurteilt, weil sie im Rahmen einer Kundgebung anläßlich des Tages der Menschenrechte, die in gewalttätigen Zusammenstößen mit der Polizei endete, eine Ansprache gehalten hatte.

Man hielt sie ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft und unterwarf sie langwierigen Verhören. Am Ende, so erinnert sich Lu Hsiu-Lien, „wurde ich gezwungen, Dinge zu gestehen, über die ich

gar nichts wußte und die ich auch nicht getan hatte“.

In der Sowjetunion werden mindestens 450 Menschen in Haft gehalten, deren einziges Vergehen darin besteht, sich kritisch mit der Staatsführung auseinanderzusetzen. Wladimir Maksimow beispielsweise war 17 Jahre alt, als er erstmals verhaftet wurde.

Konstruierte Anklage

Die meisten der seitdem vergangenen 50 Jahre hat der heute 67jährige in Gefängnissen oder psychiatrischen Kliniken zugebracht - ein halbes Jahrhundert Haft für kritische Äußerungen gegenüber staatlichen Stellen und für einen gegenüber Journalisten abgegebenen Erfahrungsbericht über seine Behandlung in einer psychiatrischen Sondereinrich-oung in Sychowka.

Ein Termin, ab dem er wieder in Freiheit wird leben dürfen, ist nicht festgesetzt.

Der inzwischen 56jährige Napoleon Ortigoza aus Paraguay hat bereits mehr als die Hälfte seines Erwachsenenlebens als politischer Gefangener in Haft verbracht. 1962 wurde der ehemalige Hauptmann der Armee beschuldigt, in eine Verschwörung zum Sturz der Regierung verwickelt gewesen zu sein. Die Anklage jedoch war konstruiert und Napoleon Ortigoza unschuldig. Dennoch hat er die zurückliegenden 24 Jahre hinter Gefängnismauern und in Einzelhaft verbracht.

Sieben Jahre schon befindet sich Tsehai Tolessa unrechtmäßigerweise in Haft, ohne daß die Behörden je eine Rechtfertigung für ihre Inhaftierung vorgebracht hätten. Verhaftet wurde die Frau

im Februar 1980 in Addis Abeba (Äthiopien) zusammen mit mehreren hundert Angehörigen der ethnischen Minderheit der Oro-mo, denen allesamt Verbindung zu einer bewaffneten Oppositionsgruppierung unterstellt wurde.

Sieben Monate vor ihrer Verhaftung waren Tsehai Tolessa und ihr Mann, Reverend Gudina Tumsa von der äthiopischen evangelischen Mekane Jesus Kirche, entführt worden — von, wie man annimmt, Agenten der Regierung. Während Tsehai damals bereits nach Stunden wieder frei war, blieb ihr Mann bis heute „verschwunden“.

Tsehai Tolessa wird bis heute widerrechtlich, ohne angeklagt und verurteilt zu sein, im Frauentrakt des Zentralgefängnisses in Addis Abeba angehalten.

Auszug aus einer Mitteilung von AI. Nähere Auskunft AI-Büro Eßlinggasse 15/4, Tel.: 0222/63 77 47.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung