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Katholik und dafür Kerker

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Sie verweigern nicht den Wehr-, sondern nur den Waffendienst. Trotzdem reagiert der Osten hart (FURCHE 49/1985), auch in Ungarn. Kärol Kiszely, 32, hat es erlebt.

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Sie verweigern nicht den Wehr-, sondern nur den Waffendienst. Trotzdem reagiert der Osten hart (FURCHE 49/1985), auch in Ungarn. Kärol Kiszely, 32, hat es erlebt.

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33 Monate Haft mußten Sie — weil Katholik — zur Gänze verbüßen. Was haben Sie seit Mai 1979, seit Ihrer Entlassung aus dem Gefängnis Baracsa, getan?

KAROL KISZELY: Ich habe nach meiner Entlassung Theologie studiert, und zwar im Fernstudium, doch berechtigt diese zu nichts. Drei Jahre war ich bei Erdvermessungen Hilfsarbeiter, dann arbeitete ich ein Jahr bei einem Freund, der Kunstgewerbler ist, jetzt bin ich Arbeiter bei der Schmutzwasserableitung eines chemischen Werkes.

Wissen Ihre Kollegen von Ihrem Fall?

KISZELY: Ja, sie wundern sich und glauben, ich übertreibe wenn ich davon erzähle, wie viele Unschuldige in Ungarn inhaftiert sind. Manchmal sehe ich auch an den ungläubigen Gesichtern der mich gelegentlich verhörenden Polizeioffiziere, daß auch sie 150 inhaftierte Waffendienstverweigerer nicht für möglich halten. Die Rechtslage kennen sie ebensowenig: Sie glauben, es handle sich um Militärdienstverweigerung.

Vor Ihrer Einberufung waren Sie Student. Haben Sie versucht, wieder an die Universität zurückzukommen?

KISZELY: Dazu braucht man ein Führungszeugnis. Und Waffendienstverweigerer gelten noch zehn Jahre nach der Strafverbü-ßung als vorbestraft.

Haben Sie um Dispens angesucht?

KISZELY: Ich bat darum, doch man stellte mir die Bedingung, daß ich mich vorher zum Waffendienst melden muß.

Hoben Sie einen Reisepaß?

KISZELY: In den Westen durfte und darf ich überhaupt nicht

reisen. 1980 erhielt ich einen Reisepaß für die sozialistischen Länder, der aber im Frühjahr 1983 mit der Begründung, daß ich vorbestraft sei, eingezogen wurde. Ein lächerlicher Vorwand. Ich war ja bereits bei der Ausstellung des Passes „vorbestraft“. Das ist eben auch so eine Art, einen Menschen zu erniedrigen.

Sie haben sich an das Europäische Kulturforum im letzten Herbst in Budapest gewandt und auf das Schicksal der ungarischen Waffendienstverweigerer aus Gewissensgründen hingewiesen. Sie haben auch schwerwiegende Vorwürfe gegen die ungarische Justiz erhoben.

KISZELY: Gabor Csizmadia, ein Budapester Bautechniker,

wurde im Februar 1982 22jährig zum Militärdienst einberufen. Schriftlich und mündlich bat er um das Recht auf Alternativdienst, weil er aus religiösen und Gewissensgründen keinen Waffendienst leisten kann. Auch er ist Katholik. Die Budapester Militärstaatsanwaltschaft ließ ihn verhaften und erhob gegen ihn Anklage wegen „Militärdienstverweigerung“. Das Budapester Militärgericht verurteilte ihn zu 32 Monaten Haft. Seiner „öffentlichen“ durfte nur seine Frau beiwohnen ...

Nach seiner Freilassung forderte er einen Vermerk in seinem Militärausweis, daß er keine Waffe in die Hand nehmen werde. Diese Bitte wurde ihm abgeschlagen,

statt dessen wurde er neuerlich angeklagt: wegen „Umgehung des Militärdienstes“.

Der zweite Prozeß fand 1985 statt. Seine Verhandlung beim Budapester Militärgericht wurde als „öffentliche Verhandlung“ angesetzt, doch durfte außer dem Richter, dem Staatsanwalt und dem Beschuldigten niemand anwesend sein. Sogar der Ehefrau des Angeklagten erlaubte man nur, daß sie vor dem Gebäude das Ende dieser „öffentlichen“ Verhandlung abwarte. Das neue Urteil brachte eine Geldstrafe und wurde später vom Obersten Gerichtshof bestätigt.

Ein Ausnahmefall?

KISZELY: Ein zweites Beispiel: György Hegy ist Katholik. Seine Eltern sind schwerkrank. Aus religiösen und Gewissensgründen nimmt er keine Waffe in die Hand. Im September 1985 verurteilte ihn der Militärrichter zu zwei Jahren und zehn Monaten Freiheitsent-

zug, und zwar im Gegensatz zur bisherigen Gerichtspraxis nicht zur Haft-, sondern zur Kerkerstrafe. Diese Strafverschärfung begründete der Richter damit, daß der Beschuldigte Katholik sei.

In Ihrem Brief an das Europäische Kulturforum haben sie behauptet, daß gegenwärtig rund 150 Männer wegen Waffendienstverweigerung inhaftiert sind. Worauf stützt sich diese Behauptung?

KISZELY: Fast alle Waffendienstverweigerer sind im Gefängnis von Baracska konzentriert. Dort sind es ungefähr 150. In anderen Gefängnissen können nicht mehr als 20 bis 30 Waffendienstverweigerer sitzen, sonst hätten das die Häftlinge aus den Uberführungen von einem Gefängnis ins andere erfahren...

Das Gespräch mit Kärol Kiszely führte Karl Pfeifer.

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