6958607-1984_39_14.jpg
Digital In Arbeit

Erst im Abstand groß

19451960198020002020

Eine „kleine Geschichte der österreichischen Philosophie" schrieb der Autor mit seinem demnächst im Bundesverlag erscheinenden Werk „Zwischen Schein und Wirklichkeit"; hier das - leicht gekürzte -Vorwort.

19451960198020002020

Eine „kleine Geschichte der österreichischen Philosophie" schrieb der Autor mit seinem demnächst im Bundesverlag erscheinenden Werk „Zwischen Schein und Wirklichkeit"; hier das - leicht gekürzte -Vorwort.

Werbung
Werbung
Werbung

Der Verfasser ist sich auch darüber im klaren, daß er die Forschung, die in Hinblick auf eine „österreichische Philosophie" schon beachtlich angewachsen ist, wahrscheinlich kaum bereichern wird. Trotz eines in den letzten Jahren beobachtbaren verstärkten Interesses an der österreichischen Kultur und Geistigkeit ist gerade eine Geschichte der österreichischen Philosophie immer noch ausständig. Daß diese Beschäftigung mit österreichischer Kultur und Geistigkeit inzwischen beinahe schon den Charakter modischer Aktualität angenommen hat, sollte dabei nicht stören.

Die nahezu unerschöpfliche Vielfalt des österreichischen Geisteslebens ist in seiner Bedeutung für die Gegenwart schon so oft gerühmt worden, daß sie als bekannt vorausgesetzt werden kann. Ebenso bekannt — weil Bestandteil österreichischer Lebensform und Daseinswirklichkeit - ist auch, daß dieses Land in Vergangenheit und Gegenwart mit der Fülle seiner Begabungen nur auf dem Wege des Exportes und der Nichtbeachtung im eigenen Lande fertig zu werden vermag. Der bis zu seiner Selbstauslöschung differenzierte Wirklichkeitssinn des Österreichers bringt es auch mit sich, Größe erst im geziemenden Abstand wahrzunehmen oder, anders ausgedrückt, sie erst nach dem Tod der jeweils Betroffenen zu entdecken, dann aber um so gründlicher zu preisen.

Dieses Verfahrens bedient sich auch die nachfolgende „Kleine Geschichte der österreichischen Philosophie". Sie schließt etwa mit dem Ende der Ersten österreichischen Republik, beginnt aber, um diesen Mangel am anderen Ende zu kompensieren, dafür mit der römischen Kaiserzeit. Uber die damit verbundene Ausdehnung beziehungsweise Eingrenzung des Begriffes „Österreich" versucht die nachstehende Einführung — zumindest ansatzweise — Gründe zu erbringen.

Mit dieser Eingrenzung ist keineswegs eine Mißachtung des österreichischen Philosophierens nach 1945 verbunden, das über eine beachtliche Vielseitigkeit verfügt. Der Autor teilt mithin keineswegs die vielkolportierte Auffassung Thomas Bernhards von einer allgemeinen „philosophisch-ökonomisch-mechanischen Monotonie", der vornehmlich der Österreicher verfallen sei, oder von Österreich als einem „Nichts in Kultur und Kunst", noch frönt er einer nostalgischen Österreichidee im Sinne von Hugo von Hof mannsthal oder Anton Wildgans, wenn er sich auf die österreichische Philosophie in der Vergangenheit beschränkt. Weder eine Bekräftigung des „habs-burgischen Mythos" (Claudio Magris) noch dessen eilfertige Liquidation ist in den folgenden Ausführungen vorgesehen. So zutreffend Bernhards Bemerkung auch ist, daß es „nirgends schwieriger als in Österreich ist, eine Kopfarbeit vorwärts oder gar zu Ende zu bringen", so sehr gilt sie nicht allein für die Gegenwart, sondern auch für die Geschichte.

Mehr ins Gewicht als diese zeitliche Beschränkung fällt eine andere. Aus der nahezu überwältigenden Fülle von philosophischen Konzeptionen und auch solchen, die in die Philosophie, deren exakte Begrenzung ja nur dogmatisch festsetzbar sein kann, hinüberspielen, mußte eine Auswahl getroffen werden. Um allfälliger Kritik gleich vorweg Material zu liefern: sie ist subjektiv. Dem Verfasser wäre außerordentlich geholfen, wenn man ihm ausreichende „objektive" Kriterien für die Bedeutung eines Philosophen oder einer Schule in die Hände geben könnte. Viele „bedeutende" Denker sind in diesem Buch nicht einmal erwähnt worden, über die Bedeutung anderer mag man ernsthaft in Streit geraten.

Eine weitere Beschränkung und Eingrenzung ist dagegen eher objektivierbar: diejenige auf den Bereich dessen, was als „deutschösterreichisch", das deutschsprachige Österreich betreffend, notdürftig genug bezeichnet werden kann.

Um der ganzen Vielfalt von durchaus eigenständigen philosophischen Konzeptionen im jeweils wechselnden geographischen Bereich Österreichs nachzugehen, bedürfe es mehr als des Versuches einer „kleinen" Geschichte der österreichischen Philosophie. Vom späten Mittelalter bis zur Gegenwart läßt sich in Böhmen, Kroatien, Ungarn und im zeitweilig zu Österreich gehörigen Italien eine rege Entfaltung verschiedenster philosophischer Konzeptionen verfolgen, deren „nationale Eigenständigkeit" vornehmlich im 19. Jahrhundert hervorgekehrt wurde. Da Czernowitz ebenso zum „Reiche" Österreich gehörte wie etwa das Trentinum, da nicht allein Wien, sondern Prag, Budapest, Krakau und Agram lebendige, miteinander auch immer wieder in Beziehung stehende Zentren darstellten, schmerzt die Beschränkung auf das „Deutschsprachig-Österreichische" den Autor am meisten. Es wird nur dadurch einigermaßen ausgeglichen, daß sich der Verfasser weigert, Österreich anders denn als geistige Realität zu verstehen.

Nicht nur die daraus entspringenden Schwierigkeiten geben dem Buch einen fragmentarischen und vorläufigen Charakter. Daß der Versuch, einige österreichische Philosophen in ihrem Leben und Werk darzustellen, noch lange nicht den Anspruch auf eine vollständige Geschichte österreichischer Philosophie erheben kann, ist dem Verfasser wohl bewußt. Wenn er es dennoch unternommen hat, so etwas wie eine österreichische Philosophiegeschichte anhand einer Darstellung des Lebens und des Werkes einiger österreichischer Philosophen zu schreiben, so geschah dies in der Absicht, durch Geschichten auf das aufmerksam zu machen, was andere als Geschichte vereinnehmen mögen.

Der Autor ist Professor für Philosophie in Wien.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung