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Gemeinsamer Rückblick
Durch unglückliche Nationalismen verzerrte „Feindbilder“ sitzen tief. Aber wir wissen doch zu gut, wie sehr etwa der Geschichtsunterricht an den höheren Schulen auch heute noch von dem abhängt, was (und wie) der betreffende Lehrer selbst im Laufe seines Studiums historisch sehen und denken gelernt hat.
24 der Vorträge, die bei den gemeinsamen Tagungen österreichischer und italienischer Historiker in Innsbruck und Venedig gehalten wurden, liegen nun in einem Band gesammelt vor. Er umfaßt die Zeit von 1815 bis zur Gegenwart, wobei insbesondere die Südtirolfrage von ihren historischen Wurzeln bis zu den Verträgen von 1969 eingehend behandelt wird und neben der politischen Geschichte auch die österrei-Aisch-ltalienischen Kulturabkommen ihren Platz finden.
Probleme der neuen und neuesten Geschichte Österreichs und Italiens und vor allem ihrer Beziehungen zueinander werden hier aus der Sicht beider Länder gegenübergestellt. So entstand ein Gegenstück zu dem von Silvio Foriiani und Adam Wandruszka 1974 herausgegebenen Band „Österreich und Italien — ein bilaterales Geschichtsbuch“, also ein weiterer Schritt der Annäherung der Geschichtsauffassungen dieser Länder und damit ein ebenso wertvoller Beitrag zur Uberwindung des Nationalismus in der Geschichtsschreibung Europas auf einem wahrhaft europäischen Geschichtsschauplatz.
Hier bestätigen sich Neuere Geschichte und Zeitgeschichte in ihrer vornehmsten Funktion: der Schaffung eines wissenschaftlich fundierten und von nationalen Emotionen befreiten Geschichtsbildes. Je näher die Geschichte an die Gegenwart heranrückt, je geringer die Distanz von ihr ist, desto schwieriger und wichtiger ist das.
Ein besonderes Kapitel ist die Beurteilung der Rolle Österreichs im italienischen „Risorgd-mento“. Erst die Forschung in den europäischen Archiven förderte die praktische Nutzanwendung des Prinzips ..audiatur et altera pars“, und erst das neue geistig-politischa Klima nach dem Zweiten Weltkrieg brachte die radikale Änderung: das nationale Prinzip findet seine Grenzen in der Geschichtsbetrachtung im Rahmen einer europäischen Gemeinschaft, da auch der „Gegner“ und dessen geschichtliche Entwicklung in einem größeren Zusammenhang gesehen und so auch in scheinbar ausschließlich nationaler Prozeß wie das „Risorgimento“ zum europäischen Problem wird.
Mit Büchern dieser Art wird dem historisch Interessierten ein Musterbeispiel an die Hand gegeben, was im wahrsten Sinne . moderne Geschichtswissenschaft heute zu leisten vermag.
INNSBRUCK — VENEDIG. Österreichisch-italienisches Historikertreffen 1971/72. Herausgegeben von Adam Wandruszka und Ludwig J edlicka. Verlag der österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien, 598 Seiten, S 600,—.
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