6996850-1987_12_08.jpg
Digital In Arbeit

Kein Platz mehr für Träumereien

19451960198020002020

Das zehnte KinderFilmFest der Berlinale 1987 liefert eine nüchterne Bilanz: das Kino für die Kleinen verliert an Phantasie und gibt Regieanweisung zum Er- wachsenwerden.

19451960198020002020

Das zehnte KinderFilmFest der Berlinale 1987 liefert eine nüchterne Bilanz: das Kino für die Kleinen verliert an Phantasie und gibt Regieanweisung zum Er- wachsenwerden.

Werbung
Werbung
Werbung

Die Bedeutung des Kinderfilms wird allenthalben immer wieder betont, und doch ist der Kinderfilm nicht nur in Österreich nach wie vor ein Stiefkind. Gerade das Kino aber böte die Möglichkeit, den Kindern ihre sinnlichen und authentischen Erfahrungs- und Erlebnisräume zurückzuerobern — entgegen der Abstraktheit von Schullernen und dem weitreichenden Einfluß der elektronischen Medien.

Ambitioniertes Kinderkino könnte einen erheblichen Beitrag zu einer qualitativen Veränderung des Medienalltags von Kindern leisten. Seit einigen Jahren existieren nun endlich Versuche mit verschiedenen konzeptionellen Ansätzen, Kinder kino jenseits von rein kommerziellen Interessen als attraktiven „Kulturort“ für Kinder zu erschließen und zu etablieren.

Neben der Veranstaltung von Informationsseminaren und Fachtagungen, Projekten in Kinder- und Jugendzentren ist die Installation von Kinderfilm-Festivals ein solcher Versuch. Filmfestivals können zwar nichts an den Produktionsbedingungen ändern, aber sie können immer wieder die Aufmerksamkeit des Publikums, der Medien und auch der Produzenten darauf lenken, daß die Besucher von Kinderfilm-Festivals die Kinogänger von morgen sind.

In diesem Jahr wurde das „Kinder FümFest“ der Internationalen Filmfestspiele in Berlin zehn Jahre alt. Es bietet eine der wenigen Möglichkeiten im deutschsprachigen Raum, Neues aus der internationalen Kinderfilmproduktion kennenzulernen und sich ein Büd über die jeweiligen Entwicklungen und Tendenzen beim Kinderfilm zu machen.

Das Berliner KinderFilmFest hat sich von einer zunächst kleinen Programmreihe mit Kinderfilmen aus aller Welt zu einem Wettbewerb mit einer eigenen Kinderjury und zwei Erwachsenenjurys von UNICEF und C.I.F.E.J. (Centre International du Film pour l’Enfance et la Jeunesse) entwickelt.

Insgesamt wurden mittlerweile über 120 Filme gezeigt, aber nicht alle haben den Weg ins Kino gefunden. Die Gründe sind vielfältig: Bei ausländischen Produktionen scheuen die Verleihfirmen die Kosten für eine Synchronisation, deutsche Untertitel würden die Kinder überfordem, und eine eingesprochene Übersetzung nimmt den Filmen ihren Reiz. Schafft es einmal ein deutschsprachiger Beitrag, auf den Spielplan zu kommen, verschwindet er nach kurzer Laufzeit wieder im Archiv.

Und auch sie vernachlässigt den Kinderfilm: Während die Presse jeden anderen Film aufmerksam registriert und rezensiert, wird der Kinderfilm zum Teil ganz vergessen. Kinder- und Jugendbücher finden in den Medien Berücksichtigung wie jedes andere Bucherzeugnis auch, Kinder- und Jugendfilme dagegen müssen immer noch um Anerkennung kämpfen.

Die Gattung „Kinderfilm“ zeigt sich ohnedies problematisch. Oft werden nur eng umgrenzte Altersgruppen und nicht generell „Leute ab sechs“ angesprochen. Manche Filme sind erst für Kinder ab zehn empfehlenswert, andere sogar erst für 13- bis 15jährige.

Doch sie, die zumeist Spielberg und Lucas als ihr Kino betrachten, lassen sich durch die Bezeichnung „Kinderfilm“ eher ab- schrecken als anlocken. Es muß zwar nicht immer E. T. sein, was den Kindern geboten wird, doch beim Betrachten manchen Kinderfilms wird klar, was den Erfolg dieses Spielberg-Klassikers ausmacht: Die geniale Mischung aus Realität und Phantasie, aus Tempo und Witz, aus Alltäglichem und Ungewöhnlichem, aus bekannten Märchenmotiven und Abenteuer.

Der Kinderfilm 1987 gibt sich anders. Die Zeit der zuckersüßen Träume ist ebenso vorbei, wie die der künstlerischen Experimentierfreude und der Lust am Ge- schichten-Erfinden. Der Kinderfilm 1987 will, daß die Kleinen erwachsen werden. In zurückhaltend sozialkritischer Haltung schildern Regisseure den Alltag besonders jugendlicher Außenseiter eher in informativen Dokumentationen als durch packende Handlungen.

Identifikationsfiguren für die Zuschauerkinder sind natürlich Kinder, wobei die Jungen weitaus dominieren. Mädchen spielen dabei keine so wichtige Rolle — mit wenigen Ausnahmen selbstverständlich.

In sehr unterschiedlicher Weise beleuchten Kinderfilme auch immer wieder das Verhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern. Das Diktat der pädagogischen Absicht läßt sich in diesem Zusammenhang schwer verheimlichen. Und Kinder spüren es dann allzu deutlich.

Hätte man die Publikumsreaktionen — wie es in England der Fall ist — sorgfältig erforscht, wüßten auch deutschsprachige Filmemacher besser, aus welchem Stoff sich für Kinder ab sechs Kinounterhaltung basteln läßt.

Der englische Kinderfilm hat eine lange Tradition. Schon 1930 wurden die ersten Kinderfilme produziert, zu einem Zeitpunkt, als es im Land eine Kinderfilmclub-Bewegung gab. Heute ist es aber etwas still geworden um den englischen Kinderfilm, zu hausbacken wirkt er momentan.

Statt dessen haben die Kinderfilme aus Ostblockländem, vor allem aus der DDR, der Tschechoslowakei und der UdSSR, an Einfluß und Bedeutung gewonnen. Erdachte Gestalten, Märchenfiguren, Indianer oder tapfere Schulschwänzer bevölkern die Leinwand, wenn es im Kino dunkel wird. Es tut sich eine eigene Welt auf, die zwischen Träumen und Realität schwebt.

Auffällig an den Kinderfilmen aus sozialistischen Ländern ist, daß sie keine besondere Kinderwelt aufbauen und bei der Schilderung vom Alltag in Schule und Elternhaus ein Vertrauensverhältnis und Gleichberechtigung zwischen Jung und Alt propagieren: Die Erwachsenen scheinen nicht als Allmächtige, die die Probleme lösen, sondern haben häufig selbst an „ihren“ Problemen zu knacken.

Ein bemerkenswerter Unterschied zu westlichen Kinderfilmen, in denen Erwachsene häufig lächerliche Figuren abgeben, da ihnen der Zugang zur Weitsicht der Kinder verlorengegangen scheint.

Am ansprechendsten sind derzeit allerdings die skandinavischen Kinder- und Jugendfilme, die - frei von ideologischer Weltanschauung, aber durchaus pro blembewußt — kindliche Natürlichkeit und Eigenheit gewähren lassen. Ganz in der Tradition von Astrid Lindgren und Selma Lagerlöf schildern die nordeuropäischen Kinderfilme das ungezwungene Verhältnis zwischen den Generationen, eingebettet in eine starke Natur- und Land Verbundenheit. \

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung