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Kompromißbereitschaft

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Auf dem 6. Kongreß der stärksten ungarischen Regierungspartei, dem Demokratenforum (MDF), durfte Jozsef Antall wieder als Hüter der Einheit und Garant der Fortsetzung der Politik der Mitte glänzen. Im 21köpfigen Präsidium wird er sich künftig auf 15 treue Anhänger stützen können; sein Gegenspieler Istvän Csurka hat nur vier Gesinnungsfreunde im Vorstand.

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Auf dem 6. Kongreß der stärksten ungarischen Regierungspartei, dem Demokratenforum (MDF), durfte Jozsef Antall wieder als Hüter der Einheit und Garant der Fortsetzung der Politik der Mitte glänzen. Im 21köpfigen Präsidium wird er sich künftig auf 15 treue Anhänger stützen können; sein Gegenspieler Istvän Csurka hat nur vier Gesinnungsfreunde im Vorstand.

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Den gemäßigten Zentristen um Jozsef Antall wirft Csurka vor, gleich nach den ersten freien Nachkriegswahlen im Mai 1990 hinter dem Rücken der Öffentlichkeit einen Pakt mit der liberalen Opposition geschlo s-sen zu haben; der Systemwechsel sei dadurch aufgeschoben worden. Was Csurka und seine Anhänger inmitten einer demagogischen Phrasendrescherei beanstanden, wird vom ungarischen Alltagsbürger als eine entmutigende Tagesrealität erlebt.

Ehemalige Kommunisten, die sich seinerzeit bereicherten, sind nach dem Machtwechsel als kapitalstarke Kräfte imstande gewesen, von der Repri-vatisierung des staatlichen Eigentums zu profitieren, während breite Bevölkerungsschichten von Vermögensbildung nur träumen können. Darüber hinaus ist auch die Vergangenheitsbewältigung ausgeblieben.

Gefährdete Stabilität

Scharen von hohen und mittleren Funktionären, die sich durch Menschenrechtsverletzungen und Wirtschaftskriminalität schuldig gemacht haben, empfangen weiterhin hohe Renten. Das von der Regierung ver-nachläßigte Sozial- und Wohnungswesen dürfte mit der Zeit auch die innere Stabilität gefährden.

Ministerpräsident Antall ist es immerhin gelungen, einen Vorstoß der Nationalpopulisten mit dem Versprechen abzuwehren, ihre Forderungen künftig zum Bestandteil der Regierungspolitik zu machen. Für seinen Rückzieher ist Csurka sogar sofort auf dem Parteitag belohnt worden. Antall verhinderte nämlich die Verstärkung des liberalen Flügels im Präsidium. Da sitzt nur noch ein Vertreter der „Parteilinken”.

In der neuen Grundsatzerklärung sowie in mehreren programmatischen Beschlüssen werden die Forderungen der Nationalpopulisten berücksichtigt.

So sind nicht nur eine Reihe sozialer Maßnahmen vorgesehen, sondern auch das Gesetz über die Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen im Kommunismus. In Wirklichkeit glaubt allerdings niemand an ein Ende der Auseinandersetzungen. Antall, der nach eigenen Worten „als ein zäher, harter, doch nicht unberechenbarer Ministerpräsident” in die Geschichte einzugehen wünscht, hat nun Zeit gewonnen, die er jedoch kaum wird nützen können.

All das, was seine Regierung in den vergangenen zweieinhalb Jahren versäumt hat, dürfte bis zu den Wahlen im Mai 1994 nicht einmal teilweise nachgeholt werden. Es sei denn, er legt sich mit jenen Kräften an, die in den Aufsichtsräten, in den Ministerien und auf mehreren Ebenen der Verwaltung ihre im „Interesse der inneren Stabilität” von der Regierung tolerierten Bereicherungsmanipulationen fortsetzen.

Blinde Justiz

Die Frage, warum sich die Justizbehörden über das Treiben so großzügig hinwegsetzen, läßt sich jedoch keineswegs mit dem Argument beantworten, es gäbe für ein effektives Durchgreifen kein Gesetz.

Die Lösung des jetzigen Dilemmas fordert offensichtlich mehr als die Qualitäten, über die Antall verfügt. Das systematische Unterlassen des rechtsstaatlichen Durchgreifens gegen all das, was im Interesse der Regierbarkeit des Landes so weise toleriert wird, stellt auf Dauer gerade jene innere Stabilität in Frage, die durch diese Kompromißbereitschaft gehütet werden soll.

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