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Probleme mit der Identität

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Kirche und Sozialdemokratie haben — historisch betrachtet - oft Schwierigkeiten gehabt, miteinander vernünftig ins Gespräch zu kommen. Zur Zeit der Monarchie und der Ersten Republik war dies schon so. Die Kirche exponierte sich parteipolitisch und stand — von rühmlichen Ausnahmen wie Michael Pfliegler abgesehen - auf der Seite jener Politik, die Hunderttausende Arbeitslose produzierte — viele davon ausgesteuert und daher ohne Unterstützung der öffentlichen Hand - und die schließlich im Jahr 1934 der Demokratie ein gewaltsames Ende bereitete.

Die Sozialdemokratie hatte — nicht zuletzt aufgrund der vorgefundenen kirchlichen Bindungen an die Mächtigen — Probleme, gesellschaftliches Engagement zugunsten einer menschlicheren Gesellschaft und Weltanschauungsanspruch zu trennen. Für viele war der Sozialismus - wenn dies auch nicht der offiziellen Parteiposition entsprach - die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens, war so besehen Religion.

Beide Seiten haben im Kerker des Nazi-Terrors gelernt. Die Kirche verzichtete nach 1945 sukzessive und glaubwürdig auf Parteipolitik, ohne die Artikulation politischer Grundsatzfragen aufzugeben. Die Partei betonte glaubhaft den weltanschaulichen Pluralismus in ihren Reihen.

Uber diese beiderseitige und vernünftige Selbstbeschränkung hinaus entwickelten Kirche und Sozialdemokratie Gemeinsamkeiten im jeweiligen Anspruch: Die als vorteilhaft betrachtete Kooperation von Arbeit und Kapital; die im Einvernehmen vorgenommene Regelung vieler Fragen im Verhältnis von Kirche und Staat; die Verpflichtung zum Teilen im nationalen und internationalen Maßstab; später auch die Verantwortung zur Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen gegenüber den Bedrohungen von Rüstung und Umweltzerstörung.

Diese Phase war die fruchtbarste im Verhältnis beider Seiten zueinander. Das Gespräch wurde möglich und weiterentwickelt. Menschen, die Christentum und sozialistisches Engagement miteinander verbinden wollten, verloren den Hauch des Häretischen. Die Kirche — speziell Kardinal Franz König - wurde zu einer moralischen Autorität auch für viele Sozialist/inn/en, die konfessionell nicht gebunden waren — eine bemerkenswerte Leistung der Kirche nach Jahrzehnten der Parteipolitik im Gotteshaus. Die Partei wiederum gewann Anerkennung für ihr gesellschaftliches Engagement bei vielen überzeugten Katholik/inn/en.

Mittlerweile hat sich das Blatt wieder gewendet. Das Gespräch stockt, der Dialog kommt in Schwierigkeiten. Dies hat vor allem Gründe, die in beiden Organisationen selbst liegen.

Die Sozialdemokratie ist mit einer Tendenz der ideologischen Verdünnung konfrontiert, die ihr Identitätsprobleme beschert. Diese Verdünnung ist nicht in erster Linie „Verschulden“ der Partei, sondern Folge des Differenzierungsprozesses früher wesentlich homogenerer gesellschaftlicher Klassen. Besonders deutlich ist dies im Bereich der unselb-

Ideologische Verdünnung ständig Erwerbstätigen, der traditionellen „Kernschicht“ der Sozialdemokratie. Was Sozialismus heute ist oder sein könnte, steht in viel größerem Ausmaß zur Disposition als in früheren Jahrzehnten — besonders bei den Parteigängern der Sozialdemokratie selbst. Pointiert formuliert: Ich wette, daß keine zehn Prozent der heutigen Parteivorstandsmitglieder Karl Marx intensiv studiert haben. Und von denen, die unter diese kleine Minderheit fallen, billigen ihm wiederum keine zehn

Prozent Relevanz für die aktuellen Probleme zu.

Daß die Identitätsprobleme der österreichischen Sozialdemokratie sich just im hundertsten Jahr ihres Bestehens im persönlichen Versagen mancher hoher Parteifunktionäre in aller Peinlichkeit öffentlichkeitswirksam äußern, muß in der SPÖ mehr als nur Betroffenheit auslösen. Es muß Anlaß dafür sein, die Identitätssuche innerhalb der Sozialdemokratie voranzutreiben und einer vorläufigen Klärung zuzuführen. Diese Klärung müßte auch einen überprüfbaren Verhaltenskodex für Parteifunktionäre umfassen, in dessen Zentrum eine rigorose Beschränkung der Anzahl bezahlter politischer Funktionen pro Person auf eine solche Funktion stehen sollte.

Fazit: Die Gesprächsfähigkeit der Sozialdemokratie hängt maßgeblich davon ab, daß sie mit sich selbst ins Reine kommt, daß sie weiß, wer sie ist, was sie will und wie das, was sie anstrebt, unter heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen umsetzbar ist.

Aber auch die Kirche hat Identitätsprobleme. Während den einen — mir zum Beispiel — die Weiterentwicklung der Kirche im Geist des Zweiten Vatikanums zu langsam gegangen ist, wurden andere von der postvatikanischen Entwicklung offenbar überfordert und sehnen sich nun nach klaren Direktiven, nach Recht und Ordnung. Augenscheinlich werden diese Identitätsprobleme an den Bischöfen, die man uns in jüngster Zeit entweder schon beschert hat oder dem Vernehmen nach demnächst bescheren wird.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welches Bild der österreichischen Kirche im Vatikan vorherrscht, daß man es dort für angebracht hält, uns eine derartige Radikalkur zu verordnen. Und es stellt sich weiters die Frage, wer sein Scherflein dazu beiträgt, dieses Kirchenbild zu nähren - und aus welchen Motiven dies geschieht.

Ich kann hier nur in freimütiger Offenheit die Reaktionen wiedergeben, die ich — im übrigen bei Angehörigen unterschiedlicher politischer Richtungen — immer häufiger erlebe, wenn die Rede von dem ist, was Rom uns zumutet: Kopfschütteln, resignatives Schulterzucken, Verbitterung — und zunehmend nachsichtiges Lächeln. Ja, es greift wieder um sich, über die Kirche geringschätzig zu lächeln, sie nicht mehr ernst zu nehmen.

Ich frage mich nun: Kann es der Kirche gleichgültig sein, daß ihre Gesprächsfähigkeit immer stärker darunter leidet, daß zunehmend Vertreter extrem konservativer Positionen in höchste kirchliche Ämter berufen werden und damit die Kirche nach außen repräsentieren? Haben wirklich jene recht, die behaupten, es gebe in der Kirche eine einflußreiche Gruppe, die nach dem Motto handelt: Lieber eine kleine Herde, aber die dafür ideologisch „zuverlässig“ und einheitlich orientiert?

Der Dialog zwischen Kirche und Sozialdemokratie ist ins Stocken geraten, weil beide Identitätsprobleme haben und daher zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind. Es liegt an den Mitgliedern beider Organisationen und an denen, die es noch werden wollen, diesen Selbstfindungsprozeß, der in beiden Organisationen ansteht, zu unterstützen.

Der Autor ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christentum und Sozialismus.

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