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Rechts- Überholer oder Doppel stratege?

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Die Reihe unterschiedlich brauchbarer, jedenfalls aber unpopulärer Vorschläge, mit welchen der Vizekanzler-Finanzminister in jüngster Zeit Schlagzeilen gemacht hat, wurde angemessen bis enthusiastisch gewürdigt; mit Recht angemessen, angesichts der tief eingewurzelten Scheu in diesem Lande, längst fällige Wahrheiten nicht einmal dann offen auszusprechen, wenn das Wasser bis zum Hals gestiegen ist.

Darüber hinaus aber waren es zunächst Vorschußlorbeeren für jemanden, an dessen Adresse solche Ratschläge in ihrer Mehrheit selbst zu richten gewesen wären. Zunächst fehlen noch die Taten, die überzeugen, auch davon überzeugen, daß es sich nicht nur um eine neue Facette der phantasiereichen „Doppelstrategie“ handelt, die auch dem anspruchsvollen, kritischen Wähler Vertrauenerweckendes bieten soll. Der Finanzminister, dem die Kontrolle über die Budgetpolitik offensichtlich längstens seit 1973 entglitten ist, muß nun konkrete Taten setzten, um seinen Gesinnungswandel über das Verbale hinaus glaubhaft zu machen - oder, wenn er damit nicht durchdringt, muß er sein Amjt zur Verfügung stellen. Das würde ihm denselben hohen Respekt ein- bringen, der seinerzeit Josef Klaus mit Recht entgegengebracht wurde. Dieser hatte sich das damals allerdings - falls überhaupt Parallelen vorliegen - zwar reiflichst überlegt, sich aber nicht so lange geziert.

Für seinen mittelbaren Nachfolger in der Leitung des Finanzressorts ist das sicherlich noch um einiges schwerer, für einen Spitzenfunktionär einer Partei, die für politische Sologänge keinen Platz läßt. Überdies muß man dafür Verständnis aufbringen, daß es sein Regierungschef, der sogar seinen Verteidigungsminister entgegen allen politischen Gravitätsgesetzen hält, erst recht Grund genug dafür hätte, dem bisher Hauptverantwortlichen für die Wirtschafts- und Finanzpolitik seiner Regierung den (vielleicht gar nicht so unangenehmen) Fluchtweg aus der selbstverschuldeten Sackgasse zu verweigern.

Zu allzu vielem Jubel sollte aber im nicht-sozialistischen Lager kein Anlaß sein, wenn man die ordnungspolitischen Aussagenernst nimmt, zu denen sich der Finanzressortchef, seit er als Vizekanzler rangiert, immer wieder veranlaßt sieht. Sein gestörtes Verhältnis zum System der Sozialen Marktwirtschaft etwa ignoriert eine tragende Epoche der jüngsten Wirtschaftsgeschichte - die bisher erfolgreichste überhaupt! - und die Arbeit dreier Generationen überaus produktiver und konstruktiver Wissenschafter und damit ein Wirtschafts- und Sozialsystem, das in bezug auf die Verwirklichungschancen eines zeitgerecht definierten Gemeinwohles auf der Basis eines christlich-realistischen Menschenbildes bisher ohne Konkurrenz geblieben ist.

Was immer sich hier innerhalb „Kreiskys und seines Teams“ abspielen mag, für die große Oppositionspartei sollte dies jedenfalls ein Alarmsignal sein: Da und dort gibt es Anzeichen dafür, daß sich pragmatisch denkende sozialistische Politiker - von ihrer eigenen Politik in die Ecke gedrängt - gezwungen sehen, lange gehegte Dogmen fallenzulassen und nach den Maßnahmen zu greifen, die wirklich Erfolg versprechen, ob sie nun populär sind oder nicht und welchem Instrumentenkasten sie immer auch entnommen sein mögen, wohl wissend, daß das totale Scheitern auf alle Fälle noch um vieles unpopulärer wäre, wenn es kurzfristig nicht mehr kaschierbar ist. Der Zwang zur Entscheidung ist mitunter ein ebenso heilsamer wie der Zwang zum Erfolg.

Die Opposition unterliegt einem solchen Entscheidungs-Zwang nicht. Das ist ein zusätzliches Handicap, zusätzlich zu ihrer traditionellen Besorgnis, eventuell irgendeine Wählerschicht vergrämen zu können. Die Gefahr des „Rechts-Uberholtwerdens“ ist nicht zu übersehen. Vielleicht aber sollten sich die Ubervorsichtigen in der Volkspartei vor Augen halten, wo ihre realistischen Chancen heute wirklich liegen: bei den Wechselwählern und bei den Nichtwählern soweit diese nicht völlig uninteressiert sind, in ihrer Empfänglichkeit für Argumente vielleicht etwas anspruchsvoller und könnten einer aggressiveren (aber realistischen!) Gesellschaftspolitik unter Umständen mehr Geschmack abgewinnen.

Ein wirklich entschlossenes und auf breiter Front vorgetragenes Programm zur Lösung aufgestauter Strukturprobleme kann auch der Opposition nur sehr schwer von der Regierung wirklich „weggenommen“ werden.

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