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Rechtsstreit um die Schöpfung

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Schöpfung kontra Evolution: Diese unsinnige Frontstellung beschäftigt (wie schon in Nr. 2 der FURCHE glossiert) in den USA die Gerichte, ist aber auch hierzulande von Interesse.

Am 5. Jänner 1982 erklärte ein amerikanisches Bundesgericht das Gesetz Nr. 590 (1982) des Bundesstaates Arkansas, das die Gleichbehandlung von „Schöpfungs-Wissenschaft" (creation-sciene) und „Evolutions-Wissenschaft" in den öffentlichen Schulen dieses Bundesstaates vorsah, für verfassungswidrig. Damit wurde den Klägern, unter ihnen der katholische Ortsbischof und Vertreter der meisten evangelischen Glaubensgemeinschaften, stattgegeben, die die Anwendung dieses Gesetzes zu unterbinden gesucht hatten.

Christliche Fundamentalisten hatten durch dieses Gesetz verlangt, u. a. die folgenden Sätze als „wissenschaftlich" in die Lehrpläne einzuführen: 1. Universum, Energie und Leben sind plötzlich und aus dem Nichts erschaffen; 2. Mutation und Selektion sind unzureichend für die Entwicklung der Arten, 3. getrennte Abstammung von Mensch und Affe; 4. Erklärung der Geologie der Erde durch eine Katastrophe (Sintflut); und 5. ein „relativ junges" Alter der Erde (6000 bis 20.000 Jahre).

Das Urteil war natürlich nicht unerwartet; was den Fall jedoch weit über die Grenzen eines mittelgroßen, politisch ultrakonservativen amerikanischen Bundesstaates hinaushebt, ist die rund 30 Seiten umfassende Urteilsbegründung von Bundesrichter William R. Overton, ein Essay über das Verhältnis von Wissenschaft und Religion im allgemeinen und seine Konsequenzen im amerikanischen Rechtssystem im besonderen.

Mit bemerkenswerter Klarheit und Einsicht in die Problemlage wird darin versucht, den Anspruch der christlichen Fundamentalisten ein- für allemal zu entkräften, daß ihre literalisti-sche Auslegung des biblischen Schöpfungsberichtes „wissenschaftlich" sei. Diese an sich nicht gerade neue Erkenntnis wird dadurch bedeutsam, daß derzeit über ein Dutzend amerikanischer Bundesstaaten über die Einführung von Gesetzen ähnlich dem von Arkansas beraten; ein Staat (Louisiana) hat ein solches Gesetz bereits verabschiedet.

Demgegenüber stellte Richter Overton fest, daß die sogenannte „Schöpfungs-Wissenschaft" schon deshalb keine Wissenschaft sein könne, weil sie sich nicht der anerkannten wissenschaftlichen Methodologie bediene, sondern ihr vorgebliches Forschungsziel bereits als unabänderliche Tatsache voraussetze; dadurch schließe sie sich auch automatisch von jeder Kommunikation mit den Vertretern der „wirklichen" Wissenschaft aus.

„Schöpfungs-Wissenschaft" diene daher einzig und allein der Einführung einer religionsgebundenen Auffassung in den öffentlichen Schulen und verletze damit die verfassungsmäßige Trennung von Religion und Staat.

Die grundlegende Trennung von Religion und Staat, die in der amerikanischen Rechtstradition schärfer ist als ähnliche Bestimmungen in europäischen Verfassungen, war und ist auch für die Entwicklung der Religionsgemeinschaften von Nutzen. Sie gibt allerdings auch zur Sorge Anlaß,daß Gegner der Religion ihren weltanschaulichen Atheismus ungehindert in die öffentlichen Schulen hineintragen können, sofern sie ihn nur für „wissenschaftlich" ausgeben.

Bei der Bewertung der Zeugenaussagen durch das Gericht fällt die Tatsache auf, daß die Fundamentalisten keinen einzigen international anerkannten Wissenschaftler aufbieten konnten, der ihre Interpretation der Erdgeschichte wenigstens wohlwollend in Erwägung gezogen hätte; ja, die Nominierung des berühmten Kosmologen Ch. Wickramasing-he, als Zeugen der Verteidigung erwies sich als Bumerang, als dieser aussagte, daß, .kein vernünftiger Wissenschaftler" annehmen könne, die Erde sei weniger als eine Million Jahre alt (bester Wert etwa 4500 Millionen Jahre).

Die Kläger andererseits beriefen sich nicht nur auf Wissenschaftler so verschiedener weltanschaulicher Richtungen wie den laisierten Priester Francisco Ayala und den engagierten Marxisten Stephen Jay Gould (beide weltberühmte Biologen), sondern boten darüberhinaus eine Reihe von Wissenschaftstheoretikern und Theologen auf.

Daß das Gericht aufgrund dieser Aussagen zur Erkenntnis kam, daß die Evolutionstheorie (und implizit Naturwissenschaft im allgemeinen) keineswegs die „Abwesenheit eines Schöpfers" oder „Nichtexistenz Gottes" voraussetze, wurde von der amerika-. nischen Öffentlichkeit zwar vorerst kaum gewürdigt, stellt aber meiner Ansicht nach eine der wichtigsten Aussagen dieses bemerkenswerten Gerichtsurteils dar.

Es ist als erster Erfolg von Richter Overtons Gründlichkeit zu werten, daß der Vertreter der unterlegenen Schulbehörde von Arkansas schon wenige Tage nach der Urteilsverkündung eine Berufung wegen Aussichtslosigkeit ablehnte. Dies verzögert zwar die eines Tages unausweichliche Auseinandersetzung vor dem Obersten Gerichtshof der USA, verleiht aber dem Urteil zusätzlich juridisches Gewicht.

Obgleich der juridische Kontext des Urteils spezifisch amerikanisch ist, ist diese Entscheidung als ein wichtiger Meilenstein anzusehen in dem Bestreben, die allgemeine Problematik von Wissenschaft, Erziehung und Religion auch auf legistischem Gebiet einer gerechten und vernünftigen Lösung zuzuführen.

Oer Autor ist Geologe an der Universität von New Mexico (USA).

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