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Sorge um den Wohlstand

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Im Tiroler Alpbach fand kürzlich der Dialogkongreß „Westeuropa-USA-Japan" statt. Schwerpunkt der Überlegungen waren der Strukturwandel und die Internationalisierung.

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Im Tiroler Alpbach fand kürzlich der Dialogkongreß „Westeuropa-USA-Japan" statt. Schwerpunkt der Überlegungen waren der Strukturwandel und die Internationalisierung.

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Wenn sich auch zwischen den rund 300 Teilnehmern in den fünf Plattformen Politik, Wirtschaft, Kultur, Soziologie und Geschichte „Dialog" vielfach auf das Referieren des eigenen Standpunktes beschränkte und eine Linie schwer zu erkennen war, in diesem Punkt war man sich einig: Die Entwicklung der arbeitsteiligen Industriegesellschaft, die vor 200 Jahren die „alte Welt" in eine Aufbruchseuphorie versetzte, steht in einem Wandlungsprozeß, dessen Folgen noch kaum abzuschätzen sind.

Einig waren sich die Vertreter aller drei Räume — unter ihnen auch zahlreiche Minister und führende Wirtschaftsleute — auch darüber, daß ihnen in einer Zeit des Wandels Verantwortung für Sicherheit und Wohlfahrt für alle über ihre Grenzen hinaus zukäme. Ob sie dieser Verantwortung auch stets gerecht werden, stellten sie wechselseitig zum Teil in Abrede — nicht immer zu Unrecht.

Heikle Themen wie der zunehmende Konkurrenzdruck zwischen den Industriestaaten, der in einen regelrechten Handelskrieg ausarten könnte, standen zwar auf der Tagesordnung, wurden jedoch sehr ausweichend behandelt. So verlagerten sich die interessantesten Aspekte des Kongresses auf die Probleme der geistigen Bewältigung des immensen Veränderungsdrucks unseres Gesellschaftssystems.

Die Frage, an der sich die Geister scheiden, lautet: Wie meistern wir ohne Wohlstandsverluste, ohne soziale Konflikte und vor allem ohne Gefährdung der demokratischen Ordnung den Ubergang von der „Erdölzivilisation" zur „Kommunikations-" bzw. „Informationsgesellschaft"?

Zweifellos hat die Koppelung von wissenschaftlichem Fortschritt mit der Entwicklung des Wohlfahrtsstaates Massenelend in ungeahntem Ausmaß überwinden können. Doch eine Gesellschaft, die sich bloß auf rationale Konstruktion von stets mehr Wohlstand und Sicherheit verläßt und ihre moralische Basis erodieren läßt, verliert ihr Ziel. Fortschritt habe eine Balance zwischen Tradition und Modernität zu sein.

Von Fortschrittsverneinung weit entfernt, „haben wir gelernt, daß eine Gesellschaft ohne letzte moralische und religiöse Werte, die in einer lebendigen Tradition verwurzelt sind, keinerlei befriedigende Kriterien für die Wahl ihres Weges hat." (Thomas M. Gan-non SJ, Washington). Die weitere Entwicklung unserer demokratischen Gesellschaften habe sich auf ihre Grundidee, die Würde jeder einzelnen menschlichen Person, zu besinnen, um demokratisch bleiben zu können (Alois Mertes, Staatsminister im Bonner Auswärtigen Amt).

Es hat sich in Alpbach abermals gezeigt, daß Wandel notwendig ist und veraltete Strukturen aufgebrochen werden müssen. Gleichzeitig können die anstehenden Probleme auf industrieller, gesellschaftspolitischer, umweltpolitischer und wissenschaftlicher Ebene nur durch Internationalisierung der Lösungsansätze angegangen werden.

Wir haben die Wahl — so der Tenor auch in den Wirtschaftsgesprächen — entweder gemeinsam unser Wohlstandsniveau zu halten und durch Strukturänderungen der eigenen Volkswirtschaften auch Entwicklungsländern den Zugang zu mehr Wohlstand zu öffnen — oder, jeder für sich, in Isolation zu verarmen.

Der Weg zur Weltgesellschaft ist nicht zu stoppen. Wenn jedoch die moralische und religiöse Basis des aufgeklärten Zeitalters in der Betriebsamkeit zu raschen Wandels untergeht, fehlt dem Menschen das Maß: Die Aufklärung läuft Gefahr, sich selbst aufzuheben.

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