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Spiel um Schuld und Sühne

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Auch Krems hat jetzt so etwas wie einen „Jedermann“. Ob man den Mut haben wird, ihn auch in kommenden Jahren vorzuzeigen? Zum Nachteil der Stadt wäre es sicher nicht. Denn Walter Hessler, 50, Lehrer und. gründlicher Experte der Kremser Geschichte, hat da ein Stück (aber gottlob kein Mysterienspiel!) mäßgeschneidert. Nach Maß gebaut für den stimmungsvollen Hohen Markt vor der gotischen Gozzo-Burg. Ein hochpolitisches Stück über Gozzo, den reichen und berühmten Kremser Richter und Prokurator (gestorben 1291), dessen Name als ein Symbol für Gerechtigkeit und Wahrheitsliebe galt. Wobei Gozzo auch im Stück zu einem Symbol wird. Für Gerechtigkeit und bürgerliche Besonnenheit. Denn im Mittelpunkt des Dramas steht die Judenverfoleune des Jahres 1349.

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Auch Krems hat jetzt so etwas wie einen „Jedermann“. Ob man den Mut haben wird, ihn auch in kommenden Jahren vorzuzeigen? Zum Nachteil der Stadt wäre es sicher nicht. Denn Walter Hessler, 50, Lehrer und. gründlicher Experte der Kremser Geschichte, hat da ein Stück (aber gottlob kein Mysterienspiel!) mäßgeschneidert. Nach Maß gebaut für den stimmungsvollen Hohen Markt vor der gotischen Gozzo-Burg. Ein hochpolitisches Stück über Gozzo, den reichen und berühmten Kremser Richter und Prokurator (gestorben 1291), dessen Name als ein Symbol für Gerechtigkeit und Wahrheitsliebe galt. Wobei Gozzo auch im Stück zu einem Symbol wird. Für Gerechtigkeit und bürgerliche Besonnenheit. Denn im Mittelpunkt des Dramas steht die Judenverfoleune des Jahres 1349.

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Pest wütet. Horden von Kreuzfahrern ziehen plündernd, brennend und moTidenid durch die Städte. Pas Reich ist ins finsterste Chaos des Interregnums 'gestürzt Und im Namen des Volkes wüten die Kreuz-faihrenhorden. Im Naimen des Volkes und der Gerechtigkeit werden Juden aus ihren Häusern vertrieben, gelyncht, ermordet...

Hessiler, der selbst während des Zweiten Weltkriegs aus sogenanter Vaterlandsverräter zum Tode verurteilt war, hat so seine Erfahrungen mit der Willkür der Macht gehabt. Er hat sie sich im ^Gozizo“ aus der Erinnerung geschrieben, in ein plakatives, effektvolles Drama gegossen, das den 100.000-Sohillinjg-Preis der Stadt Krems, des Landes Niederösterreioh und des ORF-Studios betaum und nun von Hans Gratzens „Werkstatt“ als Uraufführung vorgestellt wurde.

Ein Jude und seine Tochter, von räubernden Kreuzfahrern blaugeprügelt, aus ihrem Haus getrieben, auf der Flucht, sind die Zentral-figuren. Ein Gerechter, der Krämer, will ihnen helfen. Er versucht, sie vor dem Anführer des Kreuzfahrer-tnupps, Harns, zu schützen. Und wie der gerechte Gozzo früher, soll er hier zu Gericht sitzen, über Ur-schuilld des Judentums oder Unschuld urteilen. Man einigt sich auf ein Schauspiel. Auf einen Sohaupro-zeß, in dem jeder bald diesen, bald jenen spielt. Der Spielleiter und Banideniführer Hans verwandelt sich in König Ottokar von Böhmen, das TisChlerweib in die Königin Margarethe, ein Färbergeselle markiert den Herrn von Österreich, Albero von Kuerarfag, der Krämer ist Gozzo.

Als aber der Gerechte sein Urteil fällt, den Juden freispricht, explodiert in Hans der ganze Stau aus Volkswirt, Judenhaß, Gier... Hans tritt als Henker auf. Im Rausch des Zorns tötet er, den Gozzo. Der Jude entkommt zwar. Aber Hans resümiert Endschlüssiges: Es wird immer einen geben, der „der Jud“ ist, immer eine Mdnderheät, der namens der Gerechtigkeit Kollektivschuld und Sühne zugespielt werden ...

Hessler und Gratzer haben aus dieser Spielvorlage ein effektvolles Freiluftstück geformt. Halb moralpolitische Demonstration, halb Volksstück. Theater auf dem Thea-

ter, in dem mit Verkleidungen, historischen Anspielungen nicht gespart wird. In dem alles in vielfältige Bewegung. aufgelöst erscheint. Scheinbar Improvisiertes und Spontanes verhindern, daß mit dem Zeigefinger lehrhaft auf Historie und ihre Probleme gedeutet wird.

Das einzige Problem: Hesslers Figuren sind nicht sonderlich dynamisch erdacht, sie wirken statisch, Keine Charaktere, die Erotwick-

lungen durchmachen. Nicht im Politischen, nicht in Glaiuibensfragen, nicht moralisch. Die innere Schicht jeder Figur, der psychische Zwiespalt, der sie erst übers Klischee erhebt, fehlt. Und das läßt manche Figur doch schematischer wirken, als es , notwendig ist. Für Krista Stadler als Jüdin Ethel etwa könnte man sich im Text mehr vom inneren Brennen dieser Gequälten vorstellen. Heinrich Trimibur als Vater ist besser mit Zwischenwerten bedacht: Larmoyanz wie Fanatismus leuchten da durch die fahle Gesichtsmaske. Hans Gratzers Kreuzfahrer Hans: ein Kraftprotz und Gewaltmensch durch und durch Der Krämer Gozzo Albert Rueprechtis: Gerechtigkeit, Edelmut, und geradlinig, redlich, waihnheitsllebewd :..' aber eindimensional. Eine Exposition des Zwiespalts täte gut. Hagnot Elischkas Förber-geseH: in edler Einfalt befan Dennoch, im ganzen eine sehr runde Aufführung. Ein Glanzstüok im niederösterreichischen Theatersommer.

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