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Sternstunde

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Als Otto Habsburg dieser Tage in Graz sprach, kamen etwa 1.000 Menschen in den viel zu kleinen Minoritensaal. Der Sohn des letzten Kaisers war nicht zum ersten Mal hier, aber in der gegenwärtigen Situation war die Erwartung offenbar besonders groß, was der Europa-Parlamentarier Habsburg zum Thema „Europa ohne Grenzen?“ zu sagen hatte.

Otto Habsburg meint Europa, wenn er „wir“ sagt. Das verwirrt manchmal, denn viele der Zuhörer sind geneigt, seine Person mit Österreich zu identifizieren. Unser Europa, so erzählt er da, sei auf dem besten Weg eine der ersten Mächte der Welt zu werden. Habsburg meldet seine Zweifel an, ob die Sowjetunion im zweiten Jahrtausend noch zu diesen Großmächten gehören werde. Japan und die ASEAN-Staaten hätten da mehr Chancen, versichert er und weiß gleich eine Anekdote beizusteuern: 1962 habe ihm der französische Staatspräsident Charles de Gaulle gesagt, die Sowjetunion tue ihm leid, denn sie habe ihr Algerien innerhalb der eigenen Grenzen. Ein Hinweis auf die derzeit immer drängender werdenden Nationalitätenprobleme in der Sowjetunion.

Habsburg berichtet, daß der Beitritt Spaniens und Portugals zur Europäischen Gemeinschaft zum „totalen Durchbruch“ beigetragen habe. Die Spanier hätten ihre besten Leute nach Brüssel geschickt und eine besondere Dynamik in der EG entwickelt. Von diesen Spaniern könnten die Österreicher übrigens lernen, wie man einen Beitritt zielbewußt vorantreibt, rät Otto, beide Hände in die Hüften gestützt. Die Österreicher müßten zunächst vor allem ihren Defätismus überwinden, wenn sie in die Gemeinschaft aufgenommen werden wollten.

Unüberhörbar ist die Kritik an den EG-Bürokraten. Nach der Verwirklichung des Binnenmarktes 1992 beginne eine neue Phase der Europäischen Gemeinschaft, bemerkt Otto Habsburg: „Denn ab 1. Jänner 1993 geht es um die Grundsatzentscheidung, ob dieses Europa zentralistisch oder föderalistisch wird.“ Ohne Föderalismus, so betont Otto, werde es aber nicht möglich sein, die individuelle Freiheit in diesem Europa zu erhalten...

Kein gutes Haar läßt der Abgeordnete zum Europaparlament an den Bürokraten in Brüssel, die viel zu wenig Geld für den Aufbruch des Ostblocks zur Verfügung stellten. Erweist auf die wichtige Rolle Österreichs in dieser Entwicklung hin, eine Rolle, die zu wenig wahrgenommen werde: „ Österreich hat doch zum Beispiel für Ungarn das Fenster offen gehalten. “

„Die Geschichte wartet auf uns “, erläutert Otto Habsburg: „Wir müssen uns beeilen, diese Sternstunde zu nützen. “Mit diesem „wir“ hatte er aber schon wieder die Europäer gemeint.

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