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Türkische Lehren für Osterreich"

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In der Türkei putschten die Generäle, weil die Politiker nicht mehr miteinander reden wollten. Die Inflation pendelt um die 100-Prozent-Marke, jeden Tag starben mehrere Türken den Terrortod, mafiose Gruppen tyrannisierten die Wirtschaft - aber die Politiker der beiden Großparteien konnten sich zu keiner Koalition miteinander entschließen, so daß eine Kleinpartei einmal die efne und einmal die andere Regierungspartei erpressen konnte.

Verständlich, daß manche nun den Armeeputsch als lange ersehnte Ordnungshandlung begrüßten, obwohl in der Massenverhaftung demokratisch gewählter Politiker gewiß keine erfreuliche Entwicklung zu beklatschen ist.

Natürlich drängt sich hierzulande zuerst das pharisäische Dankgebet auf die Lippen: Herr, wir danken dir, daß wir nicht wie die Türken sind!

Aber pharisäisch bleibt es doch, auch wenn die Verhältnisse in Österreich mit jenen in der Türkei in vielerlei Hinsicht nicht zu vergleichen sind. Außer in einem: Immer weniger können führende Bundespolitiker der Großparteien auch in Österreich miteinander reden.

Ältere unter uns erinnern sich noch an die Nachkriegsjahre der großen Koalition, als Sozialdemokraten und Christdemokraten, die in den Hitler-schen Gefängnissen und Konzentrationslagern Schulter an Schulter Zellengenossen und Todeskandidaten gewesen waren, die neugeschmiedete Achse Pro Austria trotz aller harten politischen Auseinandersetzungen in der privaten Begegnung immer wieder durchklingen ließen.

„Politik beim Heurigen", sagte man später leichthin und rühmte den „neuen Stil der Sachlichkeit", der sich allmählich breitzumachen begann. Sicher: Des Aushandelns und Packeins hatte die große Koalition späterhin genug und zuviel getan.

Dennoch sollte niemand glauben, daß die Kälte auch im privaten Umgangston vieler Parlamentarier heute ein sinnvoller Fortschritt wäre. Im Gegenteil: Der immer deutlicher spürbar werdende Verlust einer menschlichen Dimension in der Politik bringt Kälte, Herzlosigkeit, Lieblosigkeit - und längst schon nicht mehr ein Mehr an Sachlichkeit in die Diskussion.

Man muß zugeben, daß viele Parteimitglieder von ihren Führern diesen Ton verlangen. „Was redet ihr mit den Schwarzen, wenn ihr sie für eine Mehrheit ohnehin nicht braucht?!" mahnt bisweilen sozialistisches Fußvolk. Und das volksparteiliche steht diesem nicht nach: „Wenn man glaubwürdig Opposition machen will, darf der Attacke im Parlament nicht ein gemeinsamer Heuriger folgen!" heißt es da.

Ein verhängnisvoller Irrtum, dem die Politiker entgegenwirken müßten. Man kann sehr wohl sachlich hart argumentieren und menschlich einander in der gemeinsamen Sache für Österreich verbunden bleiben. Nur wer das unerläßliche Fundament der Gemeinsamkeiten auch öffentlich sichtbar macht, kann auf solcher Basis glaubwürdig auch Opposition und Kontroverse pflegen.

Man sollte beizeiten auch in Österreich türkischen Anfängen wehren.

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