6953459-1984_21_01.jpg
Digital In Arbeit

Was hat Vorrang:

Werbung
Werbung
Werbung

Wieder ging eine „Friedenswoche" zu Ende. Die Veranstalter meinten, noch nie sei eine Friedensaktion in Österreich von so vielen Organisationen und Initiativen unterstützt worden.

Auch wenn an der Wiener Menschenkette Tausende teilnahmen, auch wenn es in vielen Orten Veranstaltungen gab, mehr als an irgendeinem anderen „Friedenstag" — der Elan hat nachgelassen, die Selbstsicherheit abgenommen, sicher auch auf Grund von Auseinandersetzungen um die politische Linie.

Große und kleine Gruppen, die sich zur Friedensbewegung zählen, hatten die Unterschrift unter den mit Mehrheit beschlossenen Aktionsaufruf abgelehnt. Dort wurden die Dinge so dargestellt, daß es klang, als seien nur die Amerikaner an der eurostrategischen Hochrüstung schuld, und die Sowjetunion hätte nur „im Gegenzug" reagiert; der Antrag, neben den Pershing II und den Cruise Missiles auch die östlichen SS 20 zu erwähnen, wurde abgelehnt.

Zu den großen Verbänden, die die Zustimmung verweigerten, gehörten — mit verschiedenen Begründungen — immerhin die Gewerkschaftsjugend, die Junge Volkspartei und die Katholische Jugend.

Die Lage im Wettrüsten hat sich seit Herbst 1983, was die harten Tatsachen anlangt, nicht entspannt, sie ist bedrohlicher geworden.

Die Gründe zur Besorgnis vor einer Nuklearkatastrophe haben also zugenommen, Friedensbewegungen, die diese Sorge politisch zum Ausdruck bringen und auf eine Umkehr der verhängnisvollen Tendenzen dringen wollen, haben dafür heute noch mehr Anlaß als vor einem oder vor zwei Jahren.

Wenn es aus den Geschehnissen der letzten Monate — aus der Abfolge von „Zügen" und „Gegenzügen" samt der jeweiligen Begleitpropaganda — überhaupt eine schlüssige Folgerung gibt, dann diese: Eine Wendung zum Besseren gibt es nur, wenn es gelingt, das Uberlegenheitsstreben durch eine andere Grundlinie der Sicherheitspolitik zu ersetzen.

Hinweise darauf, wie diese aussehen könnte, gibt es in der Denkschrift der Palme-Kommission, in kirchlichen Texten (etwa im

Friedensappell der österreichischen Bischöfe, aber auch in vatikanischen Dokumenten) und in vielen anderen Denkanstößen und Diskussionsbeiträgen.

Erfordert der Ausbruch aus dem Teufelskreis des gegenseitigen Vorrechnens und Uberbieten-wollens den politischen Entschluß, den Uberlegenheitswahn durch die Orientierung am Prinzip gemeinsamer Sicherheitsinteressen zu ersetzen, dann sollte auch die Friedensbewegung dies zum Maßstab ihrer Forderungen machen. Dann darf sie aber diese Perspektive nicht dadurch ad absurdum führen, daß sie in ihrer eigenen „Politik" das Gegenteil praktiziert und demonstriert.

Man bringt sich selbst um Wirkungschancen und um die eigene Glaubwürdigkeit, wenn man den Abbau des Gegeneinanders und der Feindbilder fordert, aber sich selbst am politischen Schlagabtausch zwischen den Machtblökken und ihren Propagandakompanien beteiligt. Eine Friedensbewegung, die die Politik einer Seite verurteilt, die der anderen aber (und sei's auch nur indirekt) rechtfertigt, gliedert sich in eben jenes Gegeneinander ein, statt es aufzubrechen.

In der „österreichischen Friedensbewegung" ist die Diskussionslage, gelinde gesagt, problematisch. Die Thesen der einen Seite werden kolportiert und bekräftigt, die der anderen nicht zur Kenntnis genommen oder ausgepfiffen.

So ist die Kritik an der Einseitigkeit von Parolen der Friedensbewegung berechtigt; überdies hält nicht nur die Mehrheit der Österreicher, sondern auch die Mehrheit jener, die sich mit der Friedensbewegung identifizieren, diese Einseitigkeit für verfehlt; Umfrageergebnisse lassen da keinen Zweifel. Die Wortführer der Friedensbewegung verzichten, wie es scheint, auf ihre eigene Basis.

Die Antwort ist simpel: Weil im Friedensplenum jene Kräfte bestimmen, die mehr Leute aufbieten — wer kommt, ist da, Kriterien für das Stimmrecht gibt es nicht. In einer Partei, die seit langem bei Parlamentswahlen durchfällt und deren Wählerstamm schmilzt, die sich aber seit langem der Friedensparole verschrieben hat, sieht man natürlich Chancen, über die Friedensbewegung endlich wieder öffentlich wahrgenommen zu werden und Einfluß auf jüngere Menschen zu gewinnen. Und so engagiert man sich unermüdlich und mit Verve. Nicht so in anderen politischen Lagern: Da sah man es vielleicht überhaupt nicht gern, daß die eigene Jugend mit Friedensparolen demonstriert, und auch noch zusammen mit Gruppen, die einem nickt geheuer oder zuwider sind, die aber dadurch aufgewertet wurden. Was hat Vorrang? Die „Einheit der Friedensbewegung"? Die Vernünftigkeit ihrer Politik?

Wieder einmal stehen die Friedensengagierten an einer Wegkreuzung.

Der Autor ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Wien.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung