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Zwischen Genuß und Askese

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Die Hindu-Religionen im indischen Subkontinent und der Hinayana-Buddhismus liefern markante Beispiele für die Sexualmoral in Asien

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Die Hindu-Religionen im indischen Subkontinent und der Hinayana-Buddhismus liefern markante Beispiele für die Sexualmoral in Asien

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Kama (sinnlicher Genuß), wozu wesentlich die Sexualität, gehört, durchzieht im Hinduismus den öffentlichen Bereich. Tempel mit . eindeutig erotischen Skulpturen sind weitgehend bekannt, Mythen über den Gott Krishna und seine Geliebte Radha erzählen ungeschminkt erotische Inhalte. Lingam (Phallus) und Yoni (Vulva) sind zentrale Verehrungsobjekte und Symbole der Götter Shiva und Parvati.

Zugleich klingt - als Kehrseite -ein Transzendieren an: Die Mythen und Bilder erzählen „eigentlich" die Liebe der Seele zu Gott, genauso wird betont, daß purer Genuß letztlich dem Heil der Seele abträglich ist und Askese mit der Verinnerlichung der Sexualkraft als Leitbild für ethisches Handeln stehen soll. Daher ist der reale Platz für Sexualität die Ehe, im Normalfall die Einehe. Konnte es der Mann sich leisten, so kannte das klassische Indien die Polygamie, eine kinderlose Frau mußte damit rechnen, daß ihr Gatte eine Zweit- oder Drittfrau ehelichte.

Die männlich dominierte Gesellschaft erwartet von der Frau, daß sie liebevolle Mutter und treue Gattin ist, Traditionen, die noch 1987 bei einer Witwenverbrennung deutlich wurden. Diesem Bild der Ehemoral entspricht, daß Heiraten noch oft

von den Eltern arrangiert werden. Männer können wesentlich größere Freiheiten beanspruchen, Kama in ihrem Leben zu verwirklichen.

Liebeslehrbücher, etwa das Ka-masutra, erläutern, wie der Genuß gesteigert werden kann, wobei freilich nicht die Ehefrau, sondern eine Kurtisane als Partnerin gesucht wird. Gebildete Kurtisanen konnten einst mit finanziellem Gewinn und mit gesellschaftlicher Hochachtung rechnen. Die puritanischen Kolonialherren führten einen Wandel herbei. Nun ist die Bildung der Kurtisanen völlig geschwunden, sie müssen als Prostituierte der unteren Gesellschaftsschicht ihr Dasein fristen, allerdings ohne nachhaltige negative moralische Bewertung.

Es gibt fließende Obergänge zwischen religiöser und profaner Sexualität: Die Devadasis waren Tempel-dienerinnen, zu deren Aufgaben auch die Hingabe zum religiös gedeuteten Koitus mit Pilgern gehörte. Im unabhängigen Indien wurde die Tätigkeit der Devadasis untersagt, da die Grenze zur gewerblichen Pro-

stitution nicht mehr zu ziehen war. Somit hat sexueller Genuß - obgleich heute weitgehend transzen-diert - einen legitimen Platz im Hinduismus. Sexuelle Verfehlungen in der realen Welt werden nicht als moralisch verwerflich charakterisiert, auch wenn oft anklingt, daß Verzicht und Askese höher gelten.

Die buddhistische Sexualmoral ist ohne Bezug zur buddhistischen Weltsicht nicht zu verstehen. Gauta-ma Buddhas Lehre betont die Vergänglichkeit und Leidhaftigkeit der Welt. Man soll sich nicht in weltliche Dinge verstricken, da diese nicht zur Erlangung des Nirvana beizutragen vermögen. Insofern warnen buddhistische Texte häufig vor dem Umgang mit Frauen, da deren Ausstrahlung und Schönheit allzuleicht zu einem Anlaß werden, vom Stre-

ben nach dem Nirvana abzulenken.

Da im Hinayana-Buddhismus nur Mönche und mit Abstrichen Nonnen als „Vollbuddhisten" gelten, sind sie einer rigorosen Sexualmoral unterwerfen, solche Aussagen sollen den Mönchen das Festhalten am Zölibat erleichtern.Verfehlungen gegen die Enthaltsamkeit durch Mönche oder Nonnen führen zum Ordensausschluß, doch kann ein Mönch oder eine Nonne jederzeit das Gelübde lösen, ohne daß ihm oder ihr deshalb ein moralisch begründeter gesellschaftlicher Makel anhaften würde.

In der gesellschaftlichen Sexualmoral unterscheiden sich die patriarchalisch geprägten Länder des Hinayana (Sri Lanka, Myanmar, Thailand) wenig von der Welt des Hinduismus - mit einigen Besonderheiten der buddhistischen Weltsicht:

Innerhalb der Ehe ist die Zeugung von Nachkommen kein primäres Ziel, Buddhisten stehen Verhütungsmitteln durchaus offen gegenüber. Abgelehnt werden Mittel, die die Einnistung oder Entwicklung des befruchteten Eies verhindern; denn darin sieht ein Buddhist einen Verstoß gegen das Gebot der Ehrfurcht vor jeder Form des Lebens. Aus diesem Grund wird die Abtreibung -außer bei medizinischer Notwendigkeit - abgelehnt.

Buddha, der einen mittleren Weg zwischen Ausschweifung und übertriebener Askese gelehrt hat, und der Hinduismus, in dem immer wieder betont wird, daß Askese und (sexueller) Genuß zwei komplementäre Seiten eines Ganzen sind, ermöglichen durch diese Positionen eine unverkrampfte und flexible Sexualmoral. Wenn tantrische Richtungen in Hinduismus und Buddhismus die Sexualität - und das Brechen aller traditionellen sexuellen Normen oder Tabus - als direkten Weg zur Erlösung propagieren, so handelt es sich dabei um Extremfälle, die von der „Orthodoxie" abgelehnt werden. Denn eine zu tiefe Verstrickung in die Bande der Sexualität häuft un-heilsames Karma für den einzelnen an, so daß dadurch die Erlangung des Heils verzögert wird.

Der Autor ist Assistenz-Professor am Institut für Religionswissenschaft der Universität Graz

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